Lettland

Brisante Ehrung in Riga

Riga (n-ost) – Für Touristen ist es ein gespenstisches Bild: Wie jedes Jahr am 16. März marschierten auch 2007 wieder etwa 150 ehemalige lettische SS-Legionäre durch die Innenstadt der Hauptstadt Riga und legten am lettischen Freiheitsdenkmal Kränze nieder. Laut eigenem Bekunden gedenken sie ihrer im Zweiten Weltkrieg gefallenen Kameraden und dem Kampf gegen das Sowjetregime. Rund um das lettische Freiheitsdenkmal im Herzen der Stadt bildeten unzählige Polizisten eine Art Schutzwall.Die Genehmigung des Gedenkmarsches wird international kritisiert. Auch die Meinung in der lettischen Bevölkerung ist gespalten. Denn rechtsradikale Gruppen nutzen die Veranstaltung alljährlich als willkommene Bühne: Am Abend marschieren Anhänger der rechtsextremen Gruppe „Visu Latvijai“ (Alles für Lettland) mit erhobenen Staatsflaggen zum Freiheitsdenkmal. „Lettland den Letten!“ skandieren einige – auch Zuschauer sind darunter. Etwa 500 Schaulustige sind versammelt.Veteranen seien keine Träger nationalsozialistischer IdeologieWas genau bedeutet der alljährliche Aufmarsch der Veteranen? Ein harmloses Treffen ehemaliger Soldaten, die nichts weiter im Sinn haben, als ihrer Kameraden zu gedenken? Oder doch eine jährliche Veranstaltung von Alt-Nazis, die ihre Überzeugung legal ausleben dürfen? Um zu verstehen, weshalb weite Teile der Bevölkerung den Marsch akzeptieren, ist ein Blick auf die lettische Geschichte notwendig.Wechselnde Okkupationsmächte in LettlandSchon seit Jahrhunderten steht Lettland im Spannungsfeld der Interessen zweier Großmächte: Deutschland und Russland, später der Sowjetunion. Seit dem 13. Jahrhundert gibt es im Baltikum eine deutschsprachige Oberschicht, die Deutschbalten, die bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein das wirtschaftliche und kulturelle Leben bestimmt. Auch die erste Besetzung Lettlands durch Russland Anfang des 18. Jahrhunderts ändert daran nicht viel. Aber nach dem Ersten Weltkrieg beginnen die Letten, sich gegen die äußere Unterdrückung zu wehren: Im November 1918 verkünden sie ihre Unabhängigkeit.Die neue Freiheit dauert jedoch nur rund zwanzig Jahre, denn 1940 besetzt die Sowjetunion das Baltikum erneut. Es beginnt eine brutale Terrorherrschaft. Am 14. Juni 1941 werden rund 15.000 Zivilisten nach Sibirien deportiert, teils in die Gulags. Im Vergleich zu den nationalsozialistischen Konzentrationslagern, in denen Menschen systematisch ermordet werden, bedient man sich in den sowjetischen Gulags anderer Methoden: Die Häftlinge sind Bedingungen ausgeliefert, die ein Überleben in den meisten Fällen unmöglich machen.
Als im Sommer 1941 die deutsche Wehrmacht in Lettland einrückt, wird diese als Befreierarmee gefeiert, beendet sie doch den sowjetischen Terror. In der deutschen Armee sehen Viele die einzige Möglichkeit, die lettische Heimat vor den Rotarmisten und einer erneuten Besatzung zu schützen. Über 100.000 Letten kämpfen auf Seiten der deutschen Truppen in verschiedenen Formationen gegen die Sowjetunion.Lettische Beteiligung in der Waffen-SS ist StreitpunktDie zeitweilige lettische Beteiligung in der deutschen Waffen-SS ist seit Jahren ein Streitpunkt unter Historikern. Gemessen an der Bevölkerungsgröße gab es in Lettland sehr viele Legionäre, die mobilisiert wurden, mehrere Zehntausend sollen es gewesen sein. Ist diese Tatsache ausschließlich mit dem lettischen Patriotismus und der Angst vor der Sowjetunion zu erklären? Die Menschen seien so sehr vom sowjetischen Terror eingeschüchtert gewesen, dass sie sich nicht gegen die Mobilisierung zum Kampf auf deutscher Seite wehrten, erklärt der Leiter des Jüdischen Museums in Riga, Margers Vestermanis, der selbst durch seine Flucht aus einem Konzentrationslager nur knapp dem Holocaust entging. Nazi-Deutschland habe in Lettland damals die sowjetischen Okkupanten bekämpft. Es scheint ihm daher wahrscheinlich, dass für die meisten Letten die Unterstützung im Kampf gegen ihren Staatsfeind vorrangig war, und nicht eine faschistische Überzeugung. Viele der SS-Veteranen betonen auch heute immer wieder, dass sie als Patrioten gegen die sowjetische Okkupation gekämpft hätten.Kaum freiwillige lettische LegionäreZwar habe es unter den lettischen SS-Legionären kaum Freiwillige gegeben und sie seien nicht gleichberechtigt mit den Mitgliedern der SS oder der Waffen-SS gewesen, so Vestermanis. Jedoch – auch wenn es sich bloß um eine äußere Angleichung handelte – sei klar, dass die lettische Legion „unabhängig von persönlicher Überzeugung und gewollt oder nicht, die zusammenbrechende deutsche Front gestützt und dem Hitler-Regime Waffenhilfe gewährt hat“, sagt der Historiker. Aus heutiger Perspektive sei es dennoch leicht zu sagen, die lettischen Legionäre hätten „in die Wälder gehen müssen“, mahnt er, der selbst nach seiner Flucht aus dem Konzentrationslager als Widerständler in den kurländischen Wäldern gelebt hat. Denn Regime-Gegner seien erschossen worden, zudem habe das Prinzip der Sippenhaft gegolten. Litauen sabotierte MobilmachungEr fügt jedoch auch hinzu, dass einer der baltischen Staaten die Situation anders gehandhabt habe: So seien die Litauer lediglich in den Schutzmannbataillons angetreten, die allgemeine Mobilmachung sabotierten sie jedoch. Hätte es auch in Lettland eine solche Massenbewegung gegeben, wäre es den Nationalsozialisten wahrscheinlich nicht möglich gewesen, den Willen eines ganzen Volkes zu brechen, vermutet der 1925 geborene Historiker. – Das ist wohl der wunde Punkt. Der Punkt, den viele Letten bis heute nicht gerne hören. Lettland ist seit drei Jahren Mitglied der Europäischen Union – die ehemaligen SS-Veteranen sind für manche Beobachter eine von Jahr zu Jahr kleiner werdende Gruppe alter Menschen, die friedlich durch die Altstadt zieht und anschließend zu Ehren ihrer gefallenen Kameraden Blumen am Freiheitsdenkmal niederlegt. Andere wiederum sprechen von einer „Verklärung der faschistischen Organisation“. Wie auch immer die Gedenkzeremonie zu bewerten ist, sie schadet dem internationalen Ansehen des Landes. Der Holocaust-Überlebende Vestermanis nimmt die Marschierer ein wenig gegen diese Kritik in Schutz. „Dass Kriegsveteranen ihrer gefallenen Kameraden gedenken, das ist doch ganz normal.“ Er fügt zwar hinzu, dass auch ihm dieser Aufmarsch nicht gefalle, aber „wenn man ehrlich ist, kann man bei diesen Veteranen nicht behaupten, dass sie Träger einer nationalsozialistischen Überzeugung sind“, so der Historiker. *** Ende ***--------------------------------------------------------------------
Wenn Sie einen Artikel übernehmen oder neu in den n-ost-Verteiler aufgenommen werden möchten, genügt eine kurze E-Mail an n-ost@n-ost.org. Der Artikel wird sofort für Sie reserviert und für andere Medien aus Ihrem Verbreitungsgebiet gesperrt. Nadja CorneliusBelegexemplar gerne auch als pdf bitte UNBEDINGT an die folgenden Adressen:n-ost
Schillerstraße 57
10627 Berlin
n-ost@n-ost.org


Weitere Artikel