Fundamentalisten auf dem Vormarsch
In Bosnien und Herzegowina nehmen die Spannungen zwischen radikalen Anhängern des Wahabismus und der muslimischen Bevölkerung zu. Allein in den letzten Wochen kam es zu mehreren Zwischenfällen. Vorläufiger Höhepunkt der Konflikte war am 22. Februar die erzwungene Schließung der Careva- (Kaiser) Moschee im Zentrum von Sarajevo. Wenige Tage später wurde ein Mann in der nordostbosnischen Kleinstadt Kalesija verletzt. Die innerreligiösen Auseinandersetzungen haben damit eine neue Dimension erreicht. Einst galt Jugoslawien als Vorzeigestaat an religiöser Toleranz. Insbesondere die Teilrepublik Bosnien-Herzegowina mitsamt ihrer katholischen, orthodoxen, jüdischen und muslimischen Bevölkerung erschien als Symbol eines gelungenen Mit- und Nebeneinanders. In den Balkan-Kriegen entschied Religionszugehörigkeit dann wieder über Leben und Tod. Spätestens seit dem 11. September kann auch die Bevölkerung Bosnien und Herzegowinas das Problem wachsender religiöser Intoleranz nicht mehr leugnen. Das Land gilt Islamisten als "muslimischer Brückenkopf" in Europa, die bei dem Versuch mehr Macht zu erlangen nicht zimperlicher sind als serbische oder kroatische Nationalisten.
Die von Saudi-Arabien errichtete König-Fahd-Moschee ist das Zentrum der Wahabiten in Sarajevo / Bozica Babic, n-ost
Es sind vor allem wahabitische Radikale, die lautstark auf sich aufmerksam machen. Zu ihren letzten Aktionen gehörte die Besetzung der Cereva- Moschee im Zentrum Sarajevos.
In Folge dessen musste die Kaiser-Moschee zum ersten Mal seit 500 Jahren geschlossen werden. Der Imam der 1462 erbauten Moschee, Sadrudin Iseric, sah sich gezwungen das Gebetshaus zu schließen um wahabitischen Islamisten an radikal-islamischer Agitation zu hindern. Die unter der Führung von Jusuf Barcic stehende Gruppe wollte nicht beten, sondern den Ort für politische Aktionen missbrauchen, so der Imam.Der Vertreter der islamischen Gemeinde und Mufti von Sarajevo, Husein Smajic, sprach in der größten bosnischen Tageszeitung, Oslobodjenje, von einer unbedeutenden Gruppe, die nicht von der Mehrheit der bosnischen Muslime unterstützt wird. Nichtsdestotrotz kann von einem wachsenden Einfluss der Wahabiten in Bosnien gesprochen werden. Zu seinen Ursachen zählen sowohl die immensen finanziellen Hilfsmittel Saudi-Arabiens als auch die uneindeutige Position von Mustafa Ceric, dem Oberhaupt der bosnischen Muslime, der in offiziellen Interviews die Einmaligkeit eines bosnischen 'Euro-Islam' betont, doch zugleich mit viel Rücksicht die Radikalen zu integrieren versucht. Radikale Islamisten, hauptsächlich aus dem Iran und Saudi-Arabien, sind in Bosnien und Herzegowina seit den 90er Jahren ein zunehmendes Problem. Sie erlangten Einfluss durch finanzielle und militärische Hilfe während des Krieges. Zusätzlich wuchs die Bedeutung der islamischen Staaten und ihrer 'Entsandten' im Jahr 1993, als nach den serbisch - orthodoxen nun auch kroatisch - katholische Milizen das Land aufzuteilen versuchten.
Das Oberhaupt der bosnischen Muslime - der Reisu-l-Ulema
Die Institution des Reisu-l-Ulema wurde 1878 von Österreich-Ungarn begründet und ist in der islamischen Welt einmalig. Sie orientiert sich an den hierarchisch strukturierten christlichen Kirchen und erlaubt einen gleichberechtigten Dialog des Staates und der Geistlichkeit. Das Oberhaupt der bosnischen Muslime wird für jeweils sieben Jahre gewählt.
Mustafa Ceric ist seit 1993 der höchste Vertreter bosnischer Muslime. Die Annerkennung der Eigenständigkeit bosnischer Muslime führte zu einem langjährigen interreligiösen Dialog zwischen West- und Südosteuropa.
Dieser 'Zusammenschluss der christlichen Kreuzzügler', wie er von islamischer Seite bezeichnet wird, führte zur Radikalisierung des bislang liberalen bosnischen Volksislam. Die vor dem Balkan-Krieg nicht vorhandene Verbindung zur religiösen Gemeinschaft aller Muslime, der "Umma", entstand.Dabei wurden die Unterschiede zwischen den islam-fundamentalistischen Mudjaheddin, die, einmal zu Hilfe gerufen, in Bosnien ihren ganz eigenen Kampf gegen 'Ungläubige' führten, und der bosnischen Mehrheitsbevölkerung schnell deutlich.Das oberflächliche Etikett einer gemeinsamen Religion konnte nicht über die gänzlich verschiedenen Vorstellungen der 'Helfer' und der Hilfesuchenden hinwegtäuschen. Der von den Gotteskriegern angestrebte islamische Rumpfstaat war im Grunde nichts anderes als die Fortsetzung der von den Kriegsverbrechern Radovan Karadzic und Ratko Mladic begonnenen ethnisch-religiösen Aufteilung Bosniens.
Weder die bosnische Bevölkerung noch die politische Führung wollten einen 'heiligen Krieg' führen oder radikal-islamischen Koranauslegungen folgen - auch heute ist die Bevölkerungsmehrheit trotz höherem religiösem Bewusstsein weder streng gläubig noch fundamentalistisch.Doch im zuvor europäisch geprägten Islam Bosniens tun sich erste Brüche auf. Der islamische Fundamentalismus gewinnt an Einfluss und wird von radikalen Islamisten, die selbst althergebrachte religiöse Bräuche der Bosniaken als unislamisch diffamieren, emsig vorangetrieben.Hier sind es vor allem Wahabiten, die mit ihren drei-viertel langen Hosen, orthodoxen Vollbärten und intoleranten Verhalten auffallen. Die 1744 entstandene Glaubensschule zeichnet sich durch eine äußerst dogmatische Islamauffassung und einen aggressiven Missionierungsstil aus.
In Sarajevo und Umgebung kommt es regelmäßig zu Konflikten zwischen der Bevölkerung, einem Teil der bosnischen Geistlichen und den Radikalen, die selbst vor körperlicher Gewalt bei der Ahndung 'nicht islamischer' Verhaltensweisen nicht zurückschrecken.Die Verantwortlichen für die Schließung der Careva Moschee sehen sich währenddessen als verfolgte religiöse Minderheit. Sie nutzen die uneindeutige Position der bosnischen Geistlichen aus, die, wie der Sarajever Mufti Husein Smajic erst kürzlich versicherte, allen Muslimen das staatlich verbriefte Recht auf Versammlungsfreiheit und Religionsausübung gewähren wollen. Die Fundamentalisten, die sich explizit gegen die Trennung von Staat und Religion aussprechen und den bosnischen Theologen absprechen, den 'wahren Islam' überhaupt verkünden zu können, sind in diesem Fall Nutznießer der ihnen selbst verhassten Toleranz.Jusuf Baric, der nach Osama Bin Laden bekannteste Wahabit in Bosnien, bezeichnete dann auch die Besetzung der Moschee als vollen Erfolg. Die Wahabiten, so Baric, seien schlicht Anhänger des ursprünglichen und 'wahren' Islam - es wären die Medien, die aus ihnen Terroristen machten. Die innerislamischen Auseinandersetzungen in Bosnien und Herzegowina wirken sich auch auf andere islamische Gemeinden in Europa aus. Der Umgang mit Radikalen und die Schaffung einer allgemein akzeptierten Vertretung muslimischer Gruppen - dies sind Probleme, die in Deutschland erst kürzlich im Rahmen des Berliner 'Islam-Gipfels' diskutiert worden sind. Sie lassen sich in Bosnien wie unter einem Brennglas beobachten.
Mittlerweile ist die Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen Strömungen innerhalb des Islams in Bosnien und Herzegowina ein politisches Dauerthema - es vergeht kaum ein Tag ohne verbale der körperliche Auseinandersetzungen.