Slowenien

Amnesty prangert Missstände an

Vor 15 Jahren entzog die slowenische Regierung rund 18.300 Slowenen, vor allem solchen bosnisch-muslimischer Herkunft und Roma, die Staatsbürgerschaft. Diese Menschen standen somit von heute auf morgen ohne Grundrechte da, weil sie für den slowenischen Staat schlichtweg nicht mehr existierten. Viele der Betroffenen fanden sich ohne Arbeit, ohne Sozialversicherung und ohne Wohnung wieder. 99 Prozent dieser Menschen sind in Slowenien geboren.


Plötzlich staatenlos

Der europäische Sitz von Amnesty International (AI) in Brüssel fordert die slowenische Regierung auf, das Problem vor dem 1. Januar 2008 zu lösen. An diesem Tag übernimmt Slowenien die EU-Ratspräsidentschaft. 1991 hatte die slowenische Regierung den fast 200.000 Angehörigen ethnischer Minderheiten eine sechsmonatige Frist gesetzt, um die slowenische Staatsbürgerschaft zu beantragen. Die Frist lief am 25. Juni 1991, ab - der Tag an dem die Unabhängigkeit Sloweniens erklärt wurde. Ungefähr 170.000 Menschen haben bis zu diesem Zeitpunkt die slowenische Staatsbürgerschaft beantragt. Fast 11.000 haben das Land verlassen und der Rest, genau 18.305 Personen, fand sich plötzlich als staatenlos und ohne Rechte wieder. Die Meisten von ihnen hatten schlicht nicht verstanden, dass sie die Staatsbürgerschaft beantragen mussten, obwohl sie in Slowenien geboren wurden.

Slowenien hatte sich 1991 nach einem kurzen Konflikt mit dem jugoslawischen Heer, der 100 Tode forderte, die Unabhängigkeit ertrotzt. Die slowenischen Ultranationalisten bezeichneten die Staatenlosen als „Verräter” und „Feinde Sloweniens”. Sie hätten die Gastfreundschaft des Landes nicht verdient, weil sie angeblich an den Sieg der jugoslawischen Armee geglaubt hätten. „Es gibt Fälle, in denen schwerkranken Patienten jegliche medizinische Betreuung entzogen wurde, Kinder nicht mehr in die öffentlichen Schulen durften und ganze Familien sich schlagartig in größter Armut auf der Straße wieder fanden”, erklärt Dick Oosting, Direktor von Amnesty Europa.


Sammelklage vor EuGH geplant

Heute gehören zu der Gruppe der „Ausgelöschten” 3000 Kinder. Der Skandal ist in der Vergangenheit sowohl von den Vereinten Nationen, vom Europarat und auch vom slowenischen Verfassungsgericht heftig kritisiert worden. „Dies ist der erste Fall von ethnischer Säuberung im ehemaligen Jugoslawien”, behauptet Aleksander Todorovic, der bekannteste Anwalt der Gruppe der „Ausgelöschten”. Todorovic betont, dass es sich um eines der größten humanitären und politischen Verbrechen handelt, das in diesem Teil des Balkans begangen wurde.

Die Passivität und scheinbare Gleichgültigkeit der europäischen und slowenischen Behörden sei nicht nachvollziehbar. Die „Ausgelöschten” haben eine eigene Organisation, die sich an das Europäische Parlament gewendet hat, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Sie wollen Slowenien zwingen, die Menschenrechte aller im Land lebenden Menschen zu respektieren. Der nächste Schritt soll nun eine Sammelklage gegen Slowenien vor dem Europäischen Gerichtshof in Straßburg sein.


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