Polen

„In Warschau erwartet keiner iranische Raketen“

Kurz vor Beginn der Verhandlungen über eine US-Militärbasis nimmt in Polen die Kritik zuWarschau (n-ost) - Die US-Regierung hatte es sich so einfach vorgestellt. Sie übergab der Regierung in Warschau vor wenigen Wochen ein vorformuliertes Antwortschreiben. Mit diesem sollte Polen dem US-Militär erlauben, im Nordwesten des Landes Abschussrampen für einen Raketen-Schutzschild zu bauen. Das machte Radoslaw Sikorski, bis Anfang Februar polnischer Verteidigungsminister, nun publik.Das ehemalige bedeutende Kabinettsmitglied liefert den Gegnern einer polnischen Beteiligung inzwischen die besten Argumente. Sikorski, der viele Jahre in den USA lebte und mit einer US-Bürgerin verheiratet ist, warnt entschieden vor den bisherigen Plänen zur Stationierung von US-Abfangraketen, die gegen Angriffe aus dem Iran und Nordkorea schützen sollen. Durch den amerikanischen Militärstützpunkt wachse Polens Risiko, Ziel von Aggressoren zu werden.„Keine Summe ist groß genug“Und das sei völlig unnötig, erklärte Sikorski bei einer Veranstaltung: „Ich bin kein Anhänger des Regimes in Teheran. Aber Polen unterhält diplomatische Beziehungen zum Iran und hier in Warschau erwartet keiner iranische Raketen.“ Die Zustimmung zur Errichtung des US-Raketen-Abwehrsystems käme deshalb einer „ganz großen Geste Polens an die USA“ gleich. Das Fazit des konservativen Ex-Ministers: „Es gibt keine Summe, die man Polen dafür zahlen könnte, dass es seine Hauptstadt oder auch nur die Militärbasis in Gefahr bringt.“Sowohl die US-Raketen in Polen als auch zwei US-Radaranlagen in Tschechien und dem Kaukasus sollen ab 2011 einsatzbereit sein. Diese Stützpunkte wären die einzigen Standorte für US-Schutzschild außerhalb der USA. Nur in Alaska und Kalifornien stehen bisher Teile dieses Systems. Vor allem aus Russland aber auch der Ukraine kommt scharfe Kritik an dem Projekt. Der russische Präsident Wladimir Putin entwarf das Schreckensszenario eines neuen Wettrüstens. Und tatsächlich antwortete Russland im vergangenen Herbst auf den Kauf von 48 US-Kampfjets durch Polen mit der Stationierung von Luftabwehr-Raketen vom Typ S-300 in Weißrussland, direkt an der Grenze zu Polen.Trotzdem oder gerade deshalb will die polnische Regierung bereits in diesem Monat die Verhandlungen in Washington beginnen. Dabei ist das US-Projekt auch innerhalb der polnischen Regierung umstritten. Vizepremierminister und Landwirtschaftsminister Andrzej Lepper forderte bei einem Besuch in Moskau ein Referendum über das Raketen-Abwehrsystem. Seine populistische Partei Samoobrona (Selbstverteidigung) lehnt die US-Abfangraketen wie schon die Beteiligung am Irak-Krieg ab. Zu einem Referendum wird es jedoch nicht kommen. Lepper gab inzwischen nach.Warschau misstraut der NATOBei den Verhandlungen will Warschau von den USA Sicherheitsgarantien fordern. Es geht vor allem um eine Stärkung der polnischen Luftabwehr mit Raketen etwa des Typs Patriot. Denn nur so könnten die US-Abfangraketen ausreichend geschützt werden, meinen Experten. Ziel der Regierungspartei PiS ist ein bilaterales Sicherheitsabkommen mit den USA. Denn acht Jahre nach dem NATO-Beitritt ihres Landes zweifeln Politiker wie der stellvertretende Außenminister Witold Waszczykowski öffentlich an, ob im Falle eines Angriffs auf Polen die westeuropäischen Partner im Militärbündnis wirklich sofort helfen.Die größte Oppositionspartei, die rechtsliberale Bürgerplattform, lehnt inzwischen nach langem Zögern das Raketen-Abwehrsystem ab. Begründet wird dies damit, dass das Projekt von Amerika ohnehin nicht verwirklicht werden könne, da es in den USA auf große Vorbehalte stoße. Kaczynskis gingen früher auch die USA anDie Kaczynski-Zwillinge Lech (Staatspräsident) und Jaroslaw (Premierminister und PiS-Vorsitzender) legen seit ihren Wahlsiegen im Herbst 2005 großen Wert auf gute Beziehungen zu den USA. Doch Präsident Kaczynski setzt auch gegenüber Amerika schon mal auf die populistische Karte. So schloss er vor einem Jahr die Einführung einer Visumpflicht für US-Bürger nicht aus. Denn langfristig sei es nicht hinnehmbar, dass Amerikaner visumfrei nach Polen reisen könnten, polnische Bürger für einen Besuch in den USA aber ein Visum beantragen müssten. Schon Anfang 2004 hatte er, damals noch als Warschauer Oberbürgermeister, aus Protest gegen die strengen Sicherheitsbestimmungen an den US-Flughäfen eine Amerikareise abgesagt. „Solange die Polen nicht wie Verbündete der USA behandelt werden“, werde er auf Aufenthalte dort verzichten, tönte er damals noch.
KASTEN

Polen sehen US-Politik immer negativerDie US-Raketenpläne sind in Polen nicht beliebt. Einer aktuellen Umfrage zufolge lehnen 55 Prozent der Befragten den Bau der Abschussrampen ab. Nur 28 Prozent befürworten die Stationierung von Teilen des Raketenabwehrsystems. Das Ansehen der USA hat in Polen in den vergangenen Jahren stark gelitten. Noch vor einem Jahr waren laut einer BBC-Umfrage fast zwei Drittel der Polen der Meinung, dass die USA einen hauptsächlich positiven Einfluss auf die Welt ausüben. Heute sind davon nur noch 38 Prozent überzeugt. Das sind allerdings immer noch mehr als die 28 Prozent, die ein überwiegend negatives Bild der USA haben. Die USA pofitieren bis heute von ihrem Beitrag zum Fall des kommunistischen Regimes in Polen. Das Ende der Diktatur 1989 wird in Polen eher dem US-Präsidenten Ronald Reagan als seinem sowjetischen Amtskollegen Michael Gorbatschow zugeschrieben.
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