Polen

Andy Warhol im Einkaufszentrum

In Posens alter Brauerei „Stary Browar“ ergänzen sich Kultur und Kommerz perfektPosen (n-ost) - „Berlin hat das nicht” – behauptet ein selbstbewusstes Werbeplakat in Polens Provinzhauptstadt Posen. Angepriesen wird eine Sehenswürdigkeit, die noch vor Jahren wohl niemand in einem Land des ehemaligen Ostblocks vermutet hätte. Ein Einkaufstempel der besonderen Art. Selten wurden Shoppen und Kultur derart geschickt miteinander verwoben, wie in Posens „Stary Browar”, der alten, von einem Württemberger 1844 gegründeten Brauerei. Bereits 2005 gab es dafür eine internationale Auszeichnung als „bestes Einkaufszentrum der Welt“. Am 10. März 2007 wird nun ein riesiger Erweiterungsbau eingeweiht. Eine Woche später, am 17. März (bis 17. Juni) präsentiert das Einkaufszentrum die „Grażyna Kulczyk Collection“, die größte private polnische Kunstsammlung, zugleich eine der wichtigsten Sammlungen im östlichen Mitteleuropa.
 
Während andernorts ein bisschen Kultur das Einkaufserlebnis würzen soll, ist es in Posen umgekehrt: Kunst und Architektur stehen im Vordergrund. Bereits von außen erinnert der Backsteinkomplex an mutige Architekturentwürfe wie das Pariser Centre Pompidou und ist von der klassischen Karstadt-Filiale so weit entfernt, wie ein Rolls-Royce vom VW-Käfer. Wer dann den Weg durch den Haupteingang nimmt, kommt erst richtig ins Staunen: Statt Rolltreppen trifft der Besucher auf ein mit Parkett ausgeschlagenes Atrium, über dem sich eine atemberaubende Deckenkonstruktion wölbt. Die Einkaufsetagen fassen den hohen Saal wie Opernränge ein, scheinen aber quasi nur aus Stabilitätsgründen zu existieren.


Das Einkaufszentrum "Stary Browar" ist in der polnischen Stadt Posen ein Besuchermagnet. Foto: Mariusz Forecki

Täglich lockt das Architektur- und Kulturzentrum mit angeschlossenem Einkaufsbetrieb 27.000 Besucher an. Am bisherigen Rekordtag kamen sogar 55.000 Menschen, rein rechnerisch jeder zehnte Einwohner der 250 Kilometer östlich von Berlin gelegenen Stadt Posen.Ausgedacht hat sich „Stary Browar“ die Kunstmäzenin Grażyna Kulczyk – bis vor kurzem die Frau von Jan Kulczyk, einem der reichsten Polen überhaupt. Das weit verzweigte Familienimperium, zusammengefasst in der Kulczyk-Holding wird inzwischen auf einen Wert von vier Milliarden Dollar geschätzt. Sage und schreibe 66 Millionen Dollar investierte das Ehepaar Kulczyk in den ersten Bauabschnitt des Posener Brauereikomplexes. Mindestens ebenso viel kostete der Erweiterungsbau, der am 10. März 2007 eröffnet wird.Grażyna Kulczyk erzählt gerne, wie sie Mitte der 90er Jahren auf Spaziergängen an der damals brachliegenden Brauerei vorbeikam. Gegründet worden war sie 1844 von dem aus Württemberg stammenden Bierbrauer Ambrosius Hugger. Dessen Söhne führten bis 1921 die Brauerei Hugger zu großer Blüte. Noch am Ende des Ersten Weltkrieges wurden hier 72.000 Hektoliter Bier gebraut. Dann kam Posen 1918 zu Polen, die Brauerei wechselte den Besitzer und prosperierte weiter, bis 1980 der Betrieb eingestellt wurde. Das Gelände verfiel. Seine Rettung begann mit einem alternativen Theater, dass Ende der 90er Jahre hier einzog.


Ab 17. März kann man in dem Einkaufstempel im Rahmen einer Kunstausstellung auch Werke von Andy Warhol sehen. Foto: Mariusz Forecki
Kunst als Magnet und der Kommerz zur wirtschaftlichen Absicherung – mit diesem Konzept rettete Grażyna Kulczyk die einzigartige Brauereiarchitektur und nebenbei ein ganzes Stadtviertel, das in Vergessenheit geraten war. Bei der Renovierung und Überplanung wurden alte und neue Bausubstanz so gut mit einander verbunden, dass der Betrachter sie kaum auseinander halten kann. Die Planung, das ist das verblüffende, stammt nicht von einem internationalen Stararchitekten, sondern vom lokalen und bislang unbekannten Architekturbüro ADS. Ende 2005 erkannte der Internationale Rat für Einkaufszentren ICSC der „Stary Browar“ den Hauptpreis im Wettbewerb „International Design and Development Awards“ zu, eine Art Oskar für Shopping-Malls, der in Phoenix/Arizona verliehen wird. Der Komplex gehört inzwischen zu den Ikonen der neuen polnischen Architektur und sammelt munter weitere Preise, zuletzt im Mai 2006 den „Central Eastern Europe Property Award“ für das beste Einkaufszentrum.Flächenmäßig steht im Posener Einkaufszentrum der Kunst genauso viel Raum zur Verfügung wie den Geschäften. „Die Kunst ist das Herz des ganzen Komplexes“, betont Grażyna Kulczyk. Wenn man mit dem Aufzug oder einer Rolltreppe in die zweite Etage fährt, erreicht man den Kunsthof, den Kern der alten Brauerei. Im Sommer füllt sich hier der Biergarten, dutzende Besucher sitzen im Schatten der ehemaligen Mälzerei. Am Wochenende treten hier Musiker und Straßenkünstler auf. Der Eintritt ist in der Regel frei. Junge Maler, Theater- und Filmemacher finden in der Brauerei eine Bühne, auf der sie sich präsentieren können. Auch für Experimentalmusik und Tanzveranstaltungen steht die „Stary Browar“ offen.„Große Kunst für alle“, das ist das Ziel von Grażyna Kulczyk. Als der Blickfang dient im Atrium eine Skulptur - der Guss eines riesigen und trotzdem zarten, weiblichen Gesichts, das der weltbekannte polnische Bildhauer Igor Mitoraj geschaffen hat. In der riesiegen, alten Mälzerei finden Ausstellungen und Kunstmessen statt. Ein Höhepunkt wird die Präsentation der „Grażyna Kulczyk Collection #1“, die ab 17. März alle verfügbaren Ausstellungsflächen einnehmen wird. Die Frau „aus der Brauerei“, wie die Posener sie nennen, sammelt bereits seit 30 Jahren Malerei, Bildhauerei, Fotografie und Videoinstallationen. Es ist die größte Privatsammlung Polens und gleichzeitig eine der wichtigsten in Mittel- und Osteuropa. Im Einkaufszentrum werden rund 100 Arbeiten gezeigt, unter anderem von Antonio Tapies, Andy Warhol und von den Fotografen Caio Reisewitz, Vanessa Beecroft, Candida Höfer, Bettina Rheim und Thomas Ruff. Für Posen ist die alte Brauerei zum Glücksfall geworden. Hunderte von Arbeitsplätzen sind an einem Ort entstanden, der eigentlich dem Verfall preisgegeben war. Und bei Touristen läuft „Stary Browar“ inzwischen dem Posener Schloss Kaiser Wilhelms II. den Rang ab.Ende--------------------------------
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