Polen

Wollin und Vineta - eine lebendige Legende

Alljährlich trifft sich auf der polnischen Ostsee-Insel die internationale Wikinger-GemeindeWollin (n-ost) – Nicht Köln oder Rom – Wollin (pol. Wolin) soll im 11. Jahrhundert die größte Stadt Europas gewesen sein, dies vermerkte damals der Chronist Adam von Bremen. Einige Forscher vermuten hinter der heute verschlafenen Kleinstadt auf der gleichnamigen polnischen Insel sogar das sagenumwobene Vineta, das angeblich in den Fluten der Ostsee verschwand. Einmal jährlich nutzt Wollin den Vineta-Kult für ein großes Slawen- und Wikinger-Festival. Vom 4. bis 6. August findet es wieder in einem großen Freilichtmuseum am Ufer des Flusses Dziwna statt. Wäre da nicht die sagenumwobene Geschichte des Ortes, Wollin selbst hätte keinen besonderen Reiz: Das preußische Stadtzentrum wurde während des Zweiten Weltkrieg vernichtet, geblieben ist das Rathaus aus dem 19. Jahrhundert, wiederaufgebaut wurde der Dom St. Nikolaus. Umgeben ist er in erster Linie von Betonhäusern der sozialistischen Periode. Doch einmal im Jahr wird die ruhmreiche Vergangenheit des Ortes zum Leben erweckt. Dann erobern Wikinger und Altslawen das kleine Freilichtmuseum auf der Insel Reclaw am Wolliner Jachthafen. Die Insel wird vom Fluss Dziwna umspült, die sich Richtung Stettiner Bucht immer mehr verbreitert. Hier, so vermuten Forscher, könnte das sagenumwobene Vineta einst gestanden haben.
Alljährlich trifft sich auf der polnischen Ostsee-Insel die internationale Wikinger-Gemeinde. Foto: privatDer Legende nach war die Stadt so reich, dass die Häuser aus Marmor und Kristall errichtet und die Pferde statt mit Eisen mit Gold beschlagen wurden. Hunderte von Schiffen hätten jährlich den Hafen angelaufen. Doch mit dem Reichtum wuchs auch der Hochmut der Bewohner. Vineta versank im Meer und nur einmal im Jahr soll sich die Stadt für kurze Zeit aus den Fluten erheben, um Segler heimtückisch vor ihre Tore zu locken.
 
„Vineta ist eine Legende, aber die archäologische Untersuchungen bestätigen eindeutig, dass im heutigen Wollin im 10. Jahrhundert bis zur ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts über 10.000 Leuten wohnten“, erklärt Michał Bogacki, Mitarbeiter des Instituts für Militärgeschichte an der Adam-Mickiewicz-Universität Posen und gleichzeitig Mitglied des Slawen- und Wikingervereins „Wolin-Jomsborg-Vineta“. Der Chronist Adam von Bremen nannte Wollin im Jahre 1074: „wirklich die größte Stadt in Europa“. Diese wurde von ihm Jumneta, von anderen Chronisten Jomsborg, Julin oder Vineta genannt. Zum Vergleich: heute leben in Wollin nur noch 5000 Einwohner.Wollin ist noch für andere Superlativen gut, weiß Andrzej Kłosowski, ebenfalls Mitglied im Slawen- und Wikingerverein. Leidenschaftlich kann er von der Stadtgeschichte erzählen, zum Beispiel vom hohen Berg am Stadtrand. Dort soll es den ersten Leuchtturm Nordeuropas gegeben haben, den Adam von Bremen als „einen Vulkantopf“ bezeichnete. Wolin war damals ein wichtiger Handelsplatz für Wikinger, Slawen, Sachsen, Friesen, Russen, Griechen und Araber. Die Verbindungen reichten bis nach Byzanz und Kiew. Dies beweisen arabische Münzen, kostbare Stoffreste, Perlen aus dem Mittelmeerraum, rheinische Bronzekessel und Kunstgegenstände, die man in der Erde fand und die heute in Stettin ausgestellt werden. Geblieben ist der Stadt ein bescheidenes Stadtmuseum mit kleineren Funden und Kopien einer rätselhaften heidnischen Gottheit mit drei Gesichtern, die in der Vorzeit in Wollin verehrt wurde. In der skandinavischen „Jomswikinger-Sage“ wird Jomsborg als riesige Wikingerfestung beschrieben. Ob diese mit dem heutigen Wollin identisch ist, untersuchte erstmals Anfang der 90er Jahre die Ausstellung „Wolin-Jomsberg. Ein Handelszentrum der Wikingerepoche in Polen“, die alte Legenden und Chroniken mit archäologischen Funden konfrontierte. In der Folge schwappte die Wikingerbewegung aus Dänemark nach Polen über. 1993 initiierte der dänische Professor Goeffrey Bibby vom Museum in Moesgard, das erste Wikingerfest in Wollin. Mittlerweile baut die Stadt für das jährlich am ersten Augustwochenende stattfindende Fest auf der Insel Reclaw ein ganzes Freilichtmuseum auf, in dem sich wackere Wikinger und Altslawen duellieren und kunstfertige Handwerker ihre Schmiede- und Schnitzarbeiten ausstellen. Deftiges Essen dampft dann über den mit dem Feuerbohrer entzündeten Lagerfeuern. Besucher müssen aufpassen, nicht als Sklaven verkauft zu werden. Die Festivalteilnehmer hausen in hunderten von authentischen, mittelalterlichen Zelten, denn im Freilichtmuseum sind erst sieben Vineta-Häuser fertig gestellt. 23 Holzhäuser, ein 100 Meter langer Holzkai und ein Holzwall sollen hier am Ufer insgesamt einmal stehen.Zum letztjährigen Festival kamen 1450 Teilnehmer aus 20 Ländern. 37.000 Zuschauer wollten sich Drachenbootwettbewerbe und andere Mittelaltersportarten nicht entgehen lassen, versorgten sich auf dem Handwerkermarkt mit authentischer Wikingerkunst und schauten Altslawen und Wikinger beim Kampf mit Axt und Speer zu. Nicht nur die Insel, die ganze Stadt wird für einige Tage ins frühe Mittelalter zurückversetzt. Vineta, so scheint es, taucht dann für kurze Zeit tatsächlich aus den Fluten der Ostsee wieder auf.Aber auch an anderen Tagen kann man beim Verein „Zentrum der Slawen und Wikinger“ eine Touristengruppe anmelden und das Freilichtmuseum besuchen. Im Angebot ist auch eine Flussreise mit dem „Światowid“– der Kopie eines slawischen Segelbootes. Die Mitglieder des Vereins organisieren auch Mittelalter-Workshops bei denen altes Handwerk gelehrt und mittelalterlich gekocht wird. „Lebendige Archäologie“ nennt dies Wikingerfan Michał Bogacki. Rekonstruierte Objekte würden nicht langweilig ausgestellt, sondern ausprobiert. In Zusammenarbeit mit der Stadt Torgelow in Vorpommern fertigte der Wolliner Verein beispielsweise frühmittelalterliche Musikinstrumente zum gemeinsamen musizieren an.Irgendwann wird man in den rekonsturierten Vineta-Hütten des Freilichtmuseums sogar übernachten können. Bis dahin lohnt es sich, nach einem Besuch in Wollin 20-30 Kilometer bis in die sehenswerten und quirligen Küstenzentren Swinemünde (Świnoujście) und Misdroy (Międzyzdroje) weiter zu fahren. Wer es ruhiger mag, sollte die Wisente im Wolliner Nationalpark besuchen und sich am Abend im Ostseebad Miedzywodzie (Heidebrink) einquartieren. Hier locken preisgünstige Hotels, ein herrlicher Sandstrand zu Füßen des Küstenwaldes und ein Spaziergang auf der Seebrücke. Und wer weiß, vielleicht lässt sich beim Blick in die Wellen das legendäre Vineta auch hier noch einmal sehen.
Tipps:
Anfahrt (von Berlin):
Wollin (Wolin) liegt 60 Kilometer hinter Stettin an der Schnellstraße zu den Badeorten Swinemünde (Świnoujście) und Misdroy (Międzyzdroje). Direkt bei Wollin führt eine Brücke vom Festland hinüber auf die Ostseeinsel. Von Berlin aus sind es mit dem Auto etwa 2,5 Stunden Fahrzeit. Auch mit dem Zug lässt sich Wollin von Stettin aus bequem erreichen.Slawen- und Wikingerfestival vom 4. bis 6. August:
Eintritt: 1,50 Euro
Kontakt:
„Zentrum der Slawen und Wikinger Wolin-Jomsborg-Vineta“
Ul. Graniczna 2
72-510 Wolin
Tel. (00 48) 601 981 367 (deutschsprachig)
Internet: www.jomsborg-vineta.com
E-Mail: stowarzyszenie@jomsborg-vineta.com , Übernachtung:
Miedzywodzie (Heidebrink):
Hotel „W sosnowym lesie“
Nette, englischsprachige Bedienung,
preiswerte Übernachtung.
Kontakt: http://www.miedzycechowy.pl/ger/polozenie.html 

ENDE
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