Polen

Posener Proteste 1956

„Freiheit und Brot!“- „Weg mit der Diktatur!“ - Vor genau 50 Jahren erlebte Polen die erste Massenrevolte gegen das kommunistische Regime. Die Ereignisse des Jahres 1956 sind international wenig bekannt. So gilt der Danziger Sommer von 1980 als eigentliche Geburtstunde der unabhängigen Gewerkschaft „Solidarnosc“, die schließlich den Zusammenbruch des gesamten Ostblocks beförderte. Doch Danzig ist nicht ohne den Posener Aufstand des 28. Juni 1956 denkbar. Rund 100.000 Arbeiter staatlicher Betriebe gingen damals auf die Straße. Innerhalb von zwei Tagen wurden die Proteste blutig niedergeschlagen. Mindestens 58 Tote und 600 Verletzte waren dabei zu beklagen.Im Kommunismus wurde das Datum verschwiegen, die Namen der Täter und Opfer blieben unter Verschluss. In diesen Tagen nimmt sich das demokratische Polen nun ausführlich diesem Teil seiner Geschichte an. Der rechtskonservativen Regierung kommt nach Querelen um die Aufnahme von Rechtsextremisten ins Kabinett das Datum gelegen: Angeführt von den Zwillingsbrüdern Lech und Jarosław Kaczyński hat die regierende Partei „Recht und Gerechtigkeit“ in Polen die „Vierte Republik“ ausgerufen, in der es eine moralische Erneuerung und keinen Platz mehr für Politiker und politische Seilschaften aus kommunistischer Zeit geben soll. Staatspräsident Lech Kaczyński hat die Schirmherrschaft über eine Reihe von Gedenkveranstaltungen in Posen übernommen. Unter anderem wird Kaczyński am 28. Juni auf dem Adam-Mickiewicz-Platz an einer Messe vor dem zentralen Denkmal für den Aufstand teilnehmen und dort auch Teilnehmer des Aufstandes mit Orden auszeichnen. Verschiedene Ausstellungen, Theaterstücke und Konzerte werden aus Anlass des 50. Jahrestages gezeigt, unter anderem im ehemaligen Josef-Stalin-Stahlwerk (heute Hipolit Cegielski Fabrik).


Denkmal für den Aufstand in Posen 1956 unweit des Posener Schlosses. Foto: Andreas MetzEs waren allen voran die Arbeiter dieses Werkes, des damals größten Betriebes in Posen, die damals den Anfang wagten und Kollegen anderer Betriebe zu einem Generalstreik mobilisierten. „Wir verlangen freie Wahlen unter Aufsicht der Vereinten Nationen“, riefen die rund 100.000 Demonstranten, die sich auf dem Josef-Stalin Platz (heute Adam-Mickiewicz-Platz) vor dem Posener Schloss Kaiser Wilhelms II. versammelt hatten, in dem nach dem Zweiten Weltkrieg der Volksstadtrat eingezogen war. Die Provinzstadt Posen – 250 Kilometer westlich von Berlin gelegen - zählte damals gerade 300.000 Einwohner. Jeder Dritte war also an diesem 28. Juni 1956 auf den Beinen.Eine wichtige Rolle spielte die politische Großwetterlage: Nach Stalins Tod im März 1953 hatte der monolithische Ostblock Risse bekommen, die sich beim Aufstand des 17. Juni 1953 in der DDR zeigten. Das wichtigste Ereignis des Jahres 1956 war dann Nikita Chruschtschows berühmte Geheimrede am 25. Februar in Moskau, in der er Kritik am stalinistischen Personenkult und der Theorie des Klassenkampfes übte und anerkannte, dass es andere Wege zum Sozialismus geben könne. In Polen ermunterte die Rede Intellektuelle zu freidenkerischen Aktivitäten.
 
Die Posener Proteste im Sommer 1956 gingen jedoch von den Arbeitern aus, die damit die gesamte polnische Gesellschaft beeinflussten. Gerade weil es ein Aufstand des einfachen Volkes war, fühlte sich die selbst erklärte „Volksrepublik“ Polen besonders getroffen. Ähnlich wie beim 17. Juni in der DDR kämpften die Posener Arbeiter zunächst für bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen. Die sozialistische Planwirtschaft hatte ihnen bis dahin nicht etwa den versprochenen steigenden Lebensstandard, sondern eine Verschlechterung ihrer Lage beschert. Als absurd wurde empfunden, dass ausgerechnet das Aushängeschild des Systems – die Bestarbeiter und Akkordarbeiter – für die Übererfüllung des Planes regelrecht bestraft wurden. So führte der Staat für Zusatzprämien eine Steuer ein, die tausenden Arbeitern 20-30 Prozent ihres Lohnes kostete.Nach Angaben von Maria Pabianska, Leiterin des Museums des Posener Juni 1956, reichen die Anfänge des Aufstandes bereits ins Jahr 1954 zurück. Bereits damals hätten Posener Arbeiter damit begonnen, mit Petitionen eine Verbesserung der Verhältnisse zu erreichen, seien aber ignoriert worden. Zudem sei die frühere deutsche Stadt Posen im Vergleich zur Hauptstadt Warschau wirtschaftlich benachteiligt worden. „Während zum Beispiel in Warschau immer neue Siedlungen entstanden, fehlte es in Posen an Wohnraum“, so Pabianska. Teil der Ausstellung des Museums sind Holzschuhe, so genannte Okulaki, die die Arbeiter damals aus Mangel an Alternativen tragen mussten.Am Morgen des 28 Juni begann in der Josef-Stalin-Stahlfabrik und anderen Betrieben ein Generalstreik. Die Arbeiter strömten auf die Straßen und versammelten sich vor dem Stadtrat und dem Parteikomitee. Dort verlangten sie, Premierminister Józef Cyrankiewicz zu sprechen. Aus der wirtschaftlichen Unzufriedenheit entstanden schnell auch politische Forderungen. Weil eine Delegation der Arbeiter über längere Zeit nicht zu den Demonstranten zurückgekehrt war, entstand das falsche Gerücht, die Männer seien verhaftet worden. Die Demonstranten umstellten deshalb das Gebäude der Staatssicherheit, um die Kollegen zu befreien. Dabei fielen die ersten Schüsse, die einen Flächenbrand auslösten. „Wir wissen noch immer nicht mit hundertprozentiger Sicherheit, wer die ersten Schüsse abgegeben hat“, erklärt Miroslaw Saleta vom Institut für nationales Gedenken (IPN) in Posen, das die Ereignisse vom Juni 1956 untersucht. Den Demonstranten war es gelungen, ein staatliches Waffenlager einzunehmen und den bewaffneten Kampf aufzunehmen.

Es gelang ihnen, eine Reihe von Soldaten und Polizisten zu entwaffnen. Viele von diesen, weigerten sich, auf ihre Landsleute zu schießen. Außerdem wurden 250 Häftlinge befreit und Anlagen zur Störung des von München aus sendenden „Radio Free Europe“ zerstört. Auch Gerichtsgebäude wurden gestürmt. Als Reaktion wurden immer mehr Militäreinheiten und Panzer in Posen zusammengezogen, am Ende waren es rund 10.000 Soldaten. „Mehrere Panzerfahrzeuge fuhren aus allen Richtungen in die Stadt ein. Uns ist es sogar gelungen, 29 von Ihnen zu erobern“, erinnert sich Wlodzimierz Marciniak, einer der aktivsten Teilnehmer des Aufstandes.Die Kämpfe zwischen Staatsmacht und Arbeitern dauerten zwei Tage. „Eindeutig feststellen konnten wir, dass es mindestens 58 Opfer gegeben hat, 50 davon waren Demonstranten oder Passanten, die zwischen die Demonstranten geraten sind“, erklärt  IPN-Prokurist Saleta. Das jüngste Opfer sei der 13-jährige Romek Strzalkowski gewesen. „Zu seinem Tod gibt es mehrere Versionen, einige sprechen davon, er sei zufällig von einem Blindgänger getroffen worden, andere Quellen sind sich sicher, dass es Mord war.“ Über 700 Menschen sollen nach den Protesten verhaftet worden sein. Im übrigen Polen wusste man fast nichts über das Posener Geschehen, die Stadt wurde isoliert.Ins Ausland sickerten die Nachrichten durch einen Zufall: In Posen fand zeitgleich zum Aufstand eine Internationale Messe statt. Premierminister Cyrankiewicz geriet unter Erklärungszwang und nannte nach dem Muster, das schon Walter Ulbricht 1953 angewandt hatte, die Revolte eine Provokation westlicher, imperialistischer Geheimdienste. „Wer gegen die Volksmacht die Hand erhebt, dem wird diese Macht die Hand abhacken“, drohte Cyrankiewicz. Die Gerichtsurteile gegen die Aufständischen fielen danach jedoch relativ milde aus. In Polen setzte im Herbst 1956 sogar eine Zeit des Tauwetters ein.Historiker stellen den Posener Aufstand in die lange Reihe nationaler polnischer Erhebungen des 19. Jahrhunderts. Es sei der „letzte romantische nationale Aufstand“ gewesen, bei dem man versuchte, mit Waffen der Obrigkeit zu trotzen, merkt der Historiker Paweł Machcewicz in seiner Monografie „Das Polnische Jahr 1956“ an. Bei den folgenden Protesten in den 70er und 80er Jahren hätten dann Barrikaden und Waffen keine Rolle mehr gespielt.


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