Der lange Schatten der UÇK
Die kosovo-albanische Unabhängigkeitsbewegung "Vetëvendosje" setzt auch nach dem Tod zweier Demonstrantenam 10. Februar ihre Proteste gegen den Plan des UN-Vermittlers Matti Ahtisaari fort und fordert die bedingungslose Unabhängigkeit von Serbien. Dabei beruft sich die Bewegung auch auf die ehemalige Befreiungsarmee UÇK.Die Demonstranten, die am Wochendende durch Pristina ziehen, rufen laut nach "Selbstbestimmung" für das Kosovo. "Selbstbestimmung" ist gleichzeitig der Name der kosovo-albanischen Unabhängigkeitsbewegung "Vetëvendosje", die hinter der jüngsten Demonstration gegen die UN-Zivilverwaltung UNMIK steht. Vor allem der sogenannte Ahtisaari-Plan, der dem Kosovo nur eine eingeschränkte Souveränität und keine Unabhängigkeit zugesteht, ist den jungen Demonstranten ein Dorn im Auge.
"Vetëvendosje"-Demonstranten am 3. März 2007 beim Einbiegen in die UÇK-Straße in Pristina. / Saskia Drude, n-ost
Tausende Demonstranten skandieren "Nieder mit der UNMIK!" und rufen den Namen ihres Anführers"Albin Kurti". Kurti war nach den Ausschreitungen am 10. Februar zu einer Haftstrafe verurteilt worden, unter anderem wegen Störung der öffentlichen Ordnung und Gefährdung von UNMIK-Personal. Kurtis Rolle hat nun sein Stellvertreter Glauk Konjufca übernommen. Die UNMIK hat vor ihrem Sitz im Zentrum Pristinas ein schwer bewaffnetes Polizeiaufgebot aufziehen lassen. Die Polizisten müssen mit anhören, wie die Menge immer wieder "U-Tsche-Ka, U-Tsche-Ka!" ruft.
Der Schatten der ehemaligen Kosovo-Befreiungsarmee UÇK ist auch heute noch allgegenwärtig. Zwar wurde die UÇK nach Ende der Kampfhandlungen des Kosovo-Krieges 1999 aufgelöst - kraft derselben UNO-Resolution 1244, die das Kosovo der UN-Zivilverwaltung unterstellte. Aber die Teilnehmer des bewaffneten Kampfes für die Unabhängigkeit spielen heute noch eine wichtige Rolle in der Politik. Gleich zwei kosovo-albanische Parteien, die PDK und die AAK, gelten als direkte politische Ausläufer der UÇK. Albin Kurti von "Vetëvendosje" verdiente sich seine ersten propagandistischen Sporen schon als Student, als er sich 1997 der UÇK anschloss. Und der prominente frühere kosovarische Premierminister Ramush Haradinaj muss sich derzeit vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag für Gräueltaten verantworten, die während seines Kommandos als UÇK-Befehlshaber im Kosovo begangen wurden.
Die UÇK trat erstmals 1996 als paramilitärisch-freischärlerische Organisation auf den Plan. Ihr Ziel war die Unabhängigkeit des Kosovo von Serbien - durch den bewaffneten Kampf. Zunächst zeichnete sie als Untergrundorganisation unter anderem für Anschläge auf die jugoslawische Polizeipräsenz im Kosovo verantwortlich. Mit dem Beginn des offenen Kosovo-Krieges wandelte sich die UÇK zu einem halboffiziellen Verbündeten der NATO: Ausgestattet mit NATO-Kommunikationsmitteln, halfen UÇK-Angehörige, deren Bomben ins Ziel zu steuern - und richteten ihren bewaffneten Kampf auf dem Boden auch gegen ihre serbischen Nachbarn. Mit Fortschreiten des Krieges war die UÇK bis zum Ende des Krieges auf etwa 20.000 unterschiedlich gut ausgebildete Kämpfer angewachsen.
Beim Rückzug der Serben und dem Einmarsch der NATO-Truppen im Juni 1999 verstand sich die UÇK als Sieger des Krieges. Aber die auf ihre Fahne geschriebene Forderung ist bis heute noch nicht eingelöst: die Unabhängigkeit des Kosovo von Serbien.
Offiziell aufgelöst am 20. September 1999, ging die UÇK mit Absegnung durch die NATO in das sogenannte "Kosovo-Schutzkorps" (TMK) über. Das aufgezwungene Konzept einer "multiethnischen" Schutztruppe nahm die TMK zähneknirschend hin. Eine Handvoll Serben und einige wenige Vertreter anderer ethnischer Minderheiten erfüllen die Alibi-Funktion. General der TMK wurde der ehemalige Leiter des UÇK-Generalstabes Agim Çeku, heute Premierminister. Die insgesamt 3000 Mann der TMK halten sich fit als militärisch organisierte Katastrophenschutztruppe. Aber diese Aufgabe betrachten die meisten nur als eine Art Dornröschenschlaf, aus dem die TMK zu ihrer eigentlichen Aufgabe erst noch erwachen wird. Nicht nur Çeku sieht die TMK seit deren Gründung als Vorläufer einer künftigen kosovarischen Armee, die mit dem künftigen Status der Provinz aufgebaut wird.
Der genaue Zeitpunkt für den Status - eine "eingeschränkte Souveränität" des Kosovo - steht noch nicht fest, eine entsprechende Entscheidung des UN-Sicherheitsrats wird für dieses Frühjahr erwartet. Das Ahtisaari-Paket gesteht dem Kosovo im Prinzip eine Armee zu - 2500 Mann stark, dazu eine Reserve von 800 Personen. Keinesfalls soll die TMK mit dem Erreichen des Status nahtlos in eine solche Armee übergehen; der UN-Vorschlag sieht deren Auflösung und den individuellen Beitritt zur Armee vor. Genau dagegen wehren sich die Demonstranten von "Vetëvendosje", sie fordern die direkte Überführung der TMK in eine reguläre Armee.
Am Abend der Demonstration spricht der führende Oppositionspolitiker Hashim Thaçi (PDK) in den Abendnachrichten. Thaçi war von 1998 bis zur Auflösung der Truppe UÇK-Kommandant. Er dankt den jungen Organisatoren dafür, dass die Demonstration so friedlich und kontrolliert verlaufen ist. Dabei gehört auch Thaçi zu den Politikern, die auf den "Vetëvendosje"-Transparenten zum Selbstmord aufgefordert wurden, weil sie sich überhaupt auf Verhandlungen mit den Serben eingelassen haben. Albin Kurti von "Vetëvendosje" wirft der ehemaligen UÇK-Elite darüber hinaus vor, sich nach dem Krieg schamlos am kosovarischen Gemeinschaftseigentum bereichert zu haben. Aber in der gemeinsamen Sache sind sich die UÇK-Veteranen und die jungen "Vetëvendosje"-Aktivisten einig. Diese wollen ihre Proteste fortsetzen, bis zur "bedingungslosen Selbstbestimmung im Kosovo!"