Bio-Seife aus Saaremaa
Von seinem Büro in Kuressaare aus hat Olavi Pesti, Direktor des Saaremaa-Museums, direkten Blick auf die Ostsee, genauso wie jene deutschen Ordensritter, die im 13. Jahrhundert den Grundstein für eine imposante Trutzburg an der Südküste der Insel legten. Schweden, Dänen und schließlich Russen hatten in den folgenden Jahrhunderten das Sagen auf Saaremaa mit seiner Inselhauptstadt Kuressaare. Heute beherbergt die Burg das Museum, und die Fremden, die im Sommer von Saaremaa Besitz ergreifen, sind vor allem Touristen. Auch für diese Besucher geht Kaie Room-Laanet täglich in Kuressaare auf Sendung. Die Chefin des Inselsenders Radio Kaadi ist zufällig Ehefrau des estnischen Innenministers - die Welt ist klein, besonders klein in Estland mit seinen 1,4 Millionen Einwohnern. „Die Insel hat sich sehr verändert, weil wir zu Sowjetzeiten Sperrzone waren“, erzählt die Journalistin. Sogar die Esten vom Festland hätten ohne offizielle Erlaubnis nicht auf die Insel reisen dürfen. „Diese Abschottung nach außen war zwar gut für die Natur auf der Insel, aber ein ziemlicher Hemmschuh für die wirtschaftliche Entwicklung.“
Die Kuressaare-Burg auf der Insel Saaremaa wurde im 13. Jahrhundert von deutschen Ordensrittern erbaut. / Alexandra Frank, n-ost
Viele Esten und Finnen machen inzwischen wieder auf Saaremaa Urlaub, und vor allem seit dem EU-Beitritt der baltischen Staaten finden immer mehr Besucher aus Deutschland, Großbritannien und Frankreich den Weg in den entlegenen Nordosten Europas. Damit knüpft die Insel an eine lange Tradition an, denn schon seit dem 19. Jahrhundert ist Ösel, wie die Deutschen Saaremaa nannten, bei reichen Russen aus dem Zarenreich, Deutschen und Amerikanern berühmt für die Heilwirkung seiner Schlammbäder. Die sollen nicht nur Rheuma geplagten Gelenken gut tun, sondern angeblich auch die Fruchtbarkeit junger Frauen anregen. Der Zweite Weltkrieg bereitet dem Kurbetrieb ein Ende, 1941 besetzt die Wehrmacht die Ostseestaaten und damit auch Saaremaa. Als Offizier der Deutschen Wehrmacht diente auch der junge Richard von Weizsäcker auf Ösel. Der spätere deutsche Bundespräsident leitete 1944 die Evakuierung der restlichen deutschen Truppen von der Insel.
Blick nach Westen
Dass Saaremaa heute wieder ein beliebtes Ziel für Touristen ist, passt auch zum allgemeinen Trend: Laut der baltischen Fremdenverkehrszentrale kamen im Jahr 2005 rund zweieinhalb Millionen ausländische Besucher allein nach Estland – 30 Prozent mehr als im Vorjahr. Die Flughäfen der drei Hauptstädte gehören zu den am schnellsten Wachsenden weltweit. Im lettischen Riga etwa wurden 2004 erstmals mehr als eine Million Fluggäste gezählt, das sind satte 50 Prozent mehr als 2003.Schon seit Anfang der 90er Jahre lebt Achim Naumann im Baltikum und begleitet seither die wirtschaftliche und politische Entwicklung Estlands, Lettlands und Litauens. Maschinenbau, Elektrotechnik und verarbeitendes Gewerbe – das seien neben dem Tourismus die Motoren des Booms im Baltikum, sagt der Vizepräsident der deutsch-baltischen Handelskammer. „Den baltischen Staaten geht es im Vergleich mit vielen anderen osteuropäischen Ländern so gut, weil sie nach dem Zerfall der Sowjetunion am zielstrebigsten mit ihrer Blickrichtung Richtung Westen gegangen sind.“
Refektorium in der Kuuressaare-Burg. / Alexandra Frank, n-ost
Der neue Wohlstand zeigt sich auch auf den Straßen: Porsche, Mercedes und BMW bestimmen inzwischen vor allem im mondänen Riga das Bild, noch vor zehn Jahren gaben hier Lada und Wolga den Ton an. Dieses „gefühlte“ Wachstum untermauern die Statistiker des Bundeswirtschaftsministeriums mit beeindruckenden Zahlen für Estland: Um 10,5 Prozent stieg das Bruttoinlandsprodukt 2005, alleine die IT-Branche legte um über 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zu. Auch was die demokratische Kultur betrifft, sieht Achim Naumann das Baltikum auf einem gefestigten Weg. Als Gradmesser hierfür nennt er die Minderheitenpolitik vor allem in Lettland und Estland, wo über ein Drittel der Bevölkerung nach wie vor Russen sind. „Gesetzlich hat man sich da weitestgehend an EU-Standards angepasst“, erklärt Naumann. Das Miteinander der Menschen sei jedoch von außen immer kritischer betrachtet worden als es sich tatsächlich darstelle. „Natürlich muss man etwa im estnischen Narwa, wo über 90 Prozent Bevölkerung russisch sind, zumindest auf kommunaler Ebene eine gewisse Autonomie zugestehen.“ Laut Naumann spricht es auf der anderen Seite für sich, dass fast alle im Baltikum beheimateten Russen bei Umfragen angeben, Estland und Lettland auf keinen Fall verlassen zu wollen.
Pioniere aus Estland und Amerika
Nicht nur die Russen wollen bleiben, inzwischen kehren auch viele Esten, Letten und Litauer nach Jahren im Ausland wieder in die Heimat zurück. Die Estin Ea Greenwood zum Beispiel lernte ihren Mann Steve in England kennen und hat einige Jahre in London und San Francisco gelebt. Doch wirklich sesshaft ist sie erst wieder in der alten Heimat geworden: auf Saaremaa. „Ich war insgesamt neun Jahre weg von Estland, von Kuressaare, wo ich geboren bin. Wir sind am 3. Mai 2004 hierher gekommen, direkt nach dem EU-Beitritt Estlands also.“
Denkmal auf der Insel Saaremaa: Viele Esten kehren nach Jahren im Ausland inzwischen wieder zurück. / Alexandra Frank, n-ost
Bio-Seife aus Saaremaa – so lautet die Geschäftsidee, die die beiden aus der Londoner Öko-Szene mit in die estnische Provinz gebracht haben. Die Seife produzieren Ea und Steve in Handarbeit auf einem kleinen Gut, das sie nach ihrer Ankunft gekauft haben. Ihre Entscheidung für Eas alte Heimat haben die Greenwoods nicht bereut: „Viele Ideen und Unternehmen, die es anderswo längst gibt, sind hier noch neu. Wir fühlen uns da schon ein bisschen wie Pioniere“, erzählt Ea am Tresen einer Pizzeria gegenüber von Radio Kaadi.
Das Restaurant gehört einem anderen Saaremaa-Pionier: William Moschella. Der Amerikaner mit italienischen Wurzeln war nicht immer Gastronom, sondern hat in seinem früheren Leben undercover für das FBI im Nahen Osten gearbeitet. Seit einigen Jahren ist der Mann aus Boston mit einer Estin verheiratet und fühlt sich auf der Insel oft an seine Heimat erinnert: „Das Klima ist sehr ähnlich dem in Massachusets, und auch hier müssen die Leute im Sommer ihr Geld verdienen, weil im Winter nichts los ist.“ Das Restaurant ist jedoch kein Hobby, inzwischen verdient William gutes Geld auf Saaremaa.Fremde sind willkommen und wichtig für die Zukunft der Insel – den neuen Tiefseehafen im Norden aber sehen viele Menschen hier mit Skepsis, mit den Kreuzfahrtschiffen könnte die Ruhe auf Saaremaa ein Ende haben.