Kosovo

"Kosovo und Serbien werden nie mehr zusammengehören"

Stramm weht die albanische Flagge über dem Gehöft der Familie Jashari im Dorf Prekaz in der zentralkosovarischen Drenica-Region, dem einstigen Kernland der "Kosovo-Befreiungsarmee" (UCK). Anfang März 1998 wurden hier bei einem Angriff der serbischen Sonderpolizei 58 Kosovo-Albaner getötet, nebst bewaffneten Männern auch zahlreiche Frauen, Kinder und Alte. Der Bekannteste unter den Toten war Adem Jashari, einer der Mitbegründer der UCK, der schon zu Lebzeiten zu einer Legende aufgestiegen war. Durch seinen Tod wurde er zu einer Art kosovo-albanischem "Nationalheiligen". Sein zerschossenes und ausgebranntes Gehöft und der dazugehörige Heldenfriedhof bilden heute eine Gedenkstätte zu Ehren des Jashari-Clans und der UCK.




Halim Gecaj (links) und Xhafer Jashari im Informationszentrum der Adem-Jashari-Gedenkstätte in Prekaz. / Norbert Rütsche, n-ost

In einer kleinen Holzbaracke, die als Informationszentrum und Bücherkiosk dient, warten Halim Gecaj (46) und Xhafer Jashari (58) auf Besucher. Für ihn, einen entfernten Verwandten von Adem Jashari, gibt es keinen Zweifel: "Natürlich, Kosovo wird ein unabhängiger Staat, das ist doch selbstverständlich!" Auch der ehemalige UCK-Kämpfer Gecaj ist sich sicher: "Kosovo und Serbien werden nie mehr zusammengehören." Doch die hier lebenden Serben müssten sich keine Sorgen machen: "Unser Volk wird die kleine serbische Minderheit akzeptieren. Die Fehler, die Belgrad im Umgang mit Minderheiten gemacht hat, werden wir nicht wiederholen. Und rächen werden wir uns schon gar nicht". Ein unabhängiger Staat Kosovo werde Europa nicht enttäuschen.

In der nahegelegenen Kleinstadt Skenderaj (serbisch: Srbica) überragt eine übermannsgroße Statue von Adem Jashari die Fußgängerzone im Zentrum. Die zahlreichen Cafés sind mitten am Nachmittag vollbesetzt mit jungen Männern. Die Arbeitslosigkeit, die im Kosovo bei geschätzten 35 bis 50 Prozent liegt, könnte sich kaum deutlicher zeigen als hier. "In der Drenica-Region haben viele nur die Grundschule abgeschlossen", erklärt Ahmet Tahiraj, der in der Bildungs-Abteilung der Gemeindeverwaltung von Skenderaj arbeitet. Der 48-jährige saß von 1981 bis 1988 im Gefängnis, weil er nach Titos Tod für das Kosovo den Status einer Republik innerhalb Jugoslawiens gefordert hatte und dafür auf die Straße gegangen war.

Heute gibt es für Tahiraj aber nur noch einen möglichen Status für das Kosovo: die vollständige Unabhängigkeit von Serbien. "Wir brauchen das, damit wir endlich ruhig schlafen können". Doch dass er wirklich bald in einem eigenen Staat Kosovo leben wird, will er erst glauben, wenn es soweit ist. Nachdenklich rührt er in seinem Kaffee und meint mit Blick auf die internationale Politik: "Niemand lässt sich einen Strich durch die Rechnung machen wegen ein bisschen Kleingeld – und mehr ist das Kosovo für viele nicht wert."

Dann fällt der Strom aus. Nur Augenblicke später knattert vor dem Café ein kleiner Diesel-Generator, Glühbirnen und CD-Spieler funktionieren wieder. Ahmet Tahiraj spricht weiter, als sei nichts geschehen. Stromausfall, mehrmals am Tag, gehört im Kosovo zum Alltag. Gegen die Serben im Kosovo hat er nichts: "Solange sie sich an die Gesetze halten, ist dies überhaupt kein Problem. Im Kosovo ist Platz für alle."

Das sieht Ibrahim Jupa (51) aus der Kleinstadt Rahovec (serbisch: Orahovac) im Südwestkosovo genauso. In seinem Fleischereibetrieb etwas außerhalb der benachbarten Serbenenklave Velika Hoca verarbeiten sechs Albaner und fünf Serben für 150 Euro Monatslohn Importfleisch aus Holland zu 24 verschiedenen Produkten. "Ich bin einer der ersten im Kosovo, der nicht nur Leute aus der eigenen Volksgruppe anstellt", erklärt der Kosovo-Albaner Jupa stolz, während er vor der Fabrik eine seiner Wurstspezialitäten direkt vom Grill anbietet. "Die Zusammenarbeit unter meinen Mitarbeitern klappt hervorragend. Wir sind doch alles Menschen, haben denselben Gott. Ich wollte, dass wir wieder zusammenfinden, wie früher." Der Frage nach dem künftigen Status des Kosovo weicht der Fleischerei-Chef aus: "Ich interessiere mich nur für meine Geschäfte und meine Arbeiter, nicht für Politik." Jupa weiß genau, dass sein Personal in diesem Punkt nicht einer Meinung ist.

Eine klare Position zur Statusfrage vertritt dagegen Haxhi Zylfi Merxha, Präsident der Vereinigten Roma-Partei des Kosovo und Abgeordneter im 120-köpfigen Kosovo-Parlament. In seinem versteckten Haus mitten im Gassengewirr der 100'000-Einwohner-Stadt Prizren im Süden des Kosovo knistert das Feuer im Holzofen, während der 72-Jährige langsam an seiner Zigarette zieht: "Serbien hat sein Anrecht auf das Kosovo schon im Krieg 1999 verspielt. Seit dieser Zeit sind wir faktisch unabhängig." Nach Angaben von Haxhi Merxha sind heute rund 35 000 der 1,9 Millionen Einwohner des Kosovo Roma. Er ist sich bewusst, dass sein Einfluss als ihr politischer Vertreter begrenzt ist, auch wenn er sogar Mitglied des kosovarischen Verhandlungsteam in Wien ist. "Im Prinzip laufen die Gespräche nur zwischen Albanern und Serben. Wir dürfen daran teilnehmen, weil wir für niemanden eine Bedrohung darstellen und weil sich dies gegenüber der internationalen Gemeinschaft gut macht."

Vater Sava Janjic (42) ist Vize-Abt des Klosters Decani im Westkosovo, das zum Unesco-Weltkulturerbe gehört und seit dem Kriegsende 1999 von italienischen KFOR-Truppen rund um die Uhr vor möglichen Übergriffen geschützt wird. Vater Sava war ein entschiedener Gegner des Milosevic-Regimes und ist heute eine der meistgehörten und einflussreichsten Stimmen der serbisch-orthodoxen Kirche im Kosovo. Er ist beunruhigt über die aktuelle politische Konfrontation zwischen Serben und Kosovo-Albanern und wünscht sich, dass die Emotionalisierung auf beiden Seiten ein Ende findet. "Der Verhandlungsprozess zwischen Belgrad und Pristina muss weitergehen. Für die Lösung der Statusfrage braucht es viel mehr Zeit. Am wichtigsten ist nun, zuallererst eine Verbesserung der Lebensqualität für alle ethnischen Gemeinschaften zu erreichen. Aber wir stecken momentan in einer Sackgasse", sagt er und eilt dann rasch zur feierlichen orthodoxen Liturgie in die Klosterkirche aus dem 14. Jahrhundert. Genau zur selben Zeit ruft in der nahegelegenen Stadt Decani, in der fast nur noch Kosovo-Albaner leben und sich ein UCK-Denkmal ans andere reiht, der Muezzin die muslimischen Gläubigen zum Gebet. Sein Ruf und das Glockengeläut der Klosterkirche vermischen sich, als sei dies das Selbstverständlichste der Welt.


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