Kosovo

„Wir sind im Moment in einer Sackgasse" / Interview mit Vater Sava Janjic

Seit dem 21. Februar läuft in Wien die letzte Verhandlungsrunde zwischen Vertretern der Kosovo-Albaner und Serbiens über die Zukunft des Kosovo. Als Gesprächsgrundlage dient der Plan des Uno-Vermittlers Martti Ahtisaari, der – ohne das Schlüsselwort "Unabhängigkeit" zu nennen – für das Kosovo de facto eine eingeschränkte Souveränität unter Aufsicht der Europäischen Union vorschlägt. Der ehemalige finnische Präsident sprach zu Beginn der Verhandlungen von einer letzten Chance für Belgrad und Pristina, doch noch einen Kompromiss zu finden. Aber dies dürfte kaum gelingen. Denn die Vorstellungen von Serben und Kosovo-Albanern über den künftigen Status des Kosovo, wo rund 1,9 Millionen Menschen leben, sind diametral entgegengesetzt. Während Belgrad der seit 1999 unter Uno-Verwaltung stehenden südserbischen Provinz höchstens substanzielle Autonomie innerhalb seiner Staatsgrenzen gewähren will, beharrt Pristina auf einer vollständigen Loslösung des zu 90 Prozent von Albanern bewohnten Kosovo von Serbien.


Das serbisch-orthodoxe Kloster Decani soll bald eine Schutzzone umgeben. / Judith Brand, n-ost

Ein großer Teil des Ahtisaari-Vorschlags befasst sich mit dem Schutz der nicht-albanischen Minderheiten, insbesondere der Kosovo-Serben, sowie ihres religiösen und kulturellen Erbes. Es ist geplant, 45 so genannte Schutzzonen rund um die wichtigsten Klöster, Kirchen und historischen Monumente einzurichten. Eine der Schutzzonen ist auch für das serbisch-orthodoxe Kloster Decani vorgesehen. Vater Sava Janjic ist dessen Vize-Abt (vgl. Kasten). Er beobachtet die Wiener Verhandlungen aufmerksam und macht sich aufgrund der festgefahrenen Situation große Sorgen um die Zukunft des Kosovo. Norbert Rütsche hat mit Vater Sava im Kloster Decani gesprochen.

Vater Sava, wie beurteilen Sie die derzeitige Lage rund um die Kosovo-Verhandlungen?

Vater Sava: Wir sind sehr beunruhigt über die aktuelle politische Konfrontation zwischen Serben und Kosovo-Albanern. Als Kirchenleute, als Christen, vertrauen wir aber auf den Dialog. Das Beste wäre, durch Verhandlungen ein Abkommen über die Zukunft des Kosovo zu erreichen. Das würde zur Stabilität in der ganzen Region beitragen. Wir beten dafür, dass der Verhandlungsprozess weitergehen kann, gefolgt von der Versöhnung zwischen den verschiedenen ethnischen Gemeinschaften.

Glauben Sie wirklich daran, dass Versöhnung zwischen Serben und Albanern im Kosovo in nächster Zeit möglich ist?

Vater Sava: Der Kern des Problems ist nicht ein Konflikt zwischen zwei Völkern, sondern ein politischer Konflikt, nämlich die Frage, wer das Territorium regiert. Es gibt auf beiden Seiten das Gefühl, die eine ethnische Gemeinschaft sei eine politische Gefahr für die andere. Die Serben haben für den Fall einer Unabhängigkeit des Kosovo Angst, dass sie ihre Identität verlieren, dass ihre heiligen Stätten albanisiert werden, dass sie ihrer Menschenrechte beraubt werden. Und die Kosovo-Albaner befürchten, dass es wieder Gewalt und Krieg wie im Jahr 1999 geben könnte, falls das Kosovo weiter zu Serbien gehört. Beide Gemeinschaften sind zurzeit sehr frustriert und verwirrt, die Menschen sind vor allem auf die Statusfrage konzentriert. Weitaus wichtiger wäre es aber, eine Verbesserung der Lebensqualität anzustreben. Für die Lösung der Statusfrage braucht es viel mehr Zeit.

Kann man Lebensqualität und Statusfrage so losgelöst voneinander betrachten?

Vater Sava: Die Kosovo-Albaner glauben, dass die Situation im Kosovo besser wird, wenn das Kosovo unabhängig wird. Sie sind der Meinung, die Unabhängigkeit sei ein Zauberstab, der sofort Prosperität bringt. Sie denken nicht so sehr daran, wie viel Verantwortung der Status auch beinhaltet. Die Kosovo-Serben dagegen meinen, dass allein die Tatsache, dass das Kosovo ein Teil Serbiens ist, ihnen hilft, ein normales Leben zu führen. Verschiedene positive Punkte zur Verbesserung der Lebensqualität sind in den technischen Teilen des Ahtisaari-Vorschlags enthalten. Die eigentliche Statusfrage aber ist etwas sehr Kompliziertes. Es geht nicht nur um den guten Willen von Belgrad oder Pristina, sondern es geht um internationale Beziehungen, internationales Recht – und immer mehr um das Verhältnis der mächtigsten Staaten der Welt zueinander. Das Kosovo ist längst keine lokale Angelegenheit mehr.

Von serbischer Seite heißt es immer wieder, man müsse so lange verhandeln, bis ein Kompromiss zwischen Belgrad und Pristina gefunden sei. Warum soll ein Kompromiss möglich werden, wenn es doch schon während der letzten 20 Jahren keine Annäherung gab?

Vater Sava: Während der Milosevic-Zeit war es sehr schwierig, einen Kompromiss zu finden, denn damals gab es keine wirkliche Absicht, eine demokratische Gesellschaft aufzubauen. Es dominierte das Verständnis, dass das Kosovo beherrscht werden muss, entweder durch Albaner oder Serben. Die Idee einer Gesellschaft, in der alle Bürger gleich sind und in der niemand diskriminiert wird, war nicht wirklich ausgebildet in dieser Zeit. Doch jetzt, so denke ich, ist ein Kompromiss möglich. Allerdings fürchte ich, dass die Politiker nicht bereit sind, diese Chance zu packen. Wir haben Angst, dass in der politisch aufgeheizten Situation auch viele sehr wichtige Teile des Ahtisaari-Plans – zum Beispiel Regelungen zur Dezentralisierung, zu den Menschen- und Minderheitenrechten oder zum Schutz des kulturellen und religiösen Erbes – verloren gehen könnten. Der Ahtisaari-Vorschlag bietet viele positive Elemente an. Aber das Problem für die Serben ist, dass der Plan dem Kosovo das Tor zu einem künftigen Staat öffnet, auch wenn die Unabhängigkeit nicht explizit genannt wird.


Das Kosovo mit seinen zahlreichen Klöstern wird von den Serben als heiliges Land gesehen. / Norbert Rütsche, n-ost

Warum ist es für die Serben so wichtig, dass das Kosovo ein Teil Serbiens bleibt?



Als "Cybermonk" im mittelalterlichen Kloster

Das Kloster Decani liegt im Westen des Kosovo etwas außerhalb der gleichnamigen Stadt, in der heute fast nur noch Kosovo-Albaner leben. Seit dem Kriegsende im Jahr 1999 schützen italienische KFOR-Truppen die Enklave serbisch-orthodoxen Lebens rund um die Uhr vor möglichen Übergriffen. Nur wer angemeldet ist und sich ausweisen kann, bekommt Zutritt zum Kloster, in dem 30 zumeist junge Mönche beten und arbeiten. Das Kloster, das der serbische König Stefan Decanski und sein Sohn Dusan zwischen 1327 und 1335 erbauen ließen, ist die größte und besterhaltene mittelalterliche Klosteranlage der serbisch-orthodoxen Kirche und gehört seit 2004 zum Unesco-Weltkulturerbe. Unzählige einzigartige Fresken aus dem 14. Jahrhundert sind bis heute erhalten geblieben. Die Klosterkirche dient König Stefan, der von den serbisch-orthodoxen Christen als Heiliger verehrt wird, als letzte Ruhestätte. Vater Sava Janjic lebt seit 1992 als Mönch im Kloster Decani und ist mittlerweile Stellvertreter von Abt Teodosije. Er gehört zu den einflussreichsten und meistgehörten Stimmen der serbisch-orthodoxen Kirche im Kosovo. Während des Kosovo-Konflikts machte der erklärte Gegner des Milosevic-Regimes über das Internet die Welt unermüdlich auf die Spannungen aufmerksam und rief alle Seiten immer wieder eindringlich zum Gewaltverzicht auf. Dadurch erlangte Vater Sava als "Cybermonk" internationale Bekanntheit. 1965 in der kroatischen Hafenstadt Dubrovnik geboren, besuchte er in Trebinje ganz im Südosten von Bosnien-Herzegowina die Schulen und studierte anschließend in Belgrad englische Literatur und Deutsch. 1989 ging er ins Kloster und legte 1991 die Gelübde ab.


Vater Sava: Dies bietet die Sicherheit, dass die Kosovo-Serben hier leben können und dass sie nicht unter Druck gesetzt werden zu gehen. Zudem empfinden es viele als Garantie gegen eine weitere Aufteilung Serbiens. Denn es gibt die Angst, dass sich im Falle einer Unabhängigkeit des Kosovo diese Abspaltungstendenz in anderen Teilen Serbiens fortsetzt. Der andere Grund ist, dass Serbien nicht will, dass das wichtigste kulturelle Erbe außerhalb des Landes verbleibt. Das Kosovo wird von den Serben als ihr heiliges Land betrachtet.

Was würde geschehen, wenn das Kosovo einfach selbst die Unabhängigkeit ausrufen und von einigen Staaten bilateral anerkannt würde?

Vazer Sava: Ich fürchte, dass sich die Situation dann sehr stark verkomplizieren wird. Denn es wird einige Staaten geben, die Kosovo nicht anerkennen werden, weil sie die Beziehungen mit Belgrad nicht aufs Spiel setzen wollen. Ich kann mir kaum vorstellen, dass Mazedonien, Bulgarien, Rumänien oder Kroatien volle Beziehungen zu Kosovo aufbauen würden, denn dies hätte sehr schlechte Auswirkungen auf deren Beziehungen zu Serbien. Und natürlich könnte Serbien wirtschaftliche Maßnahmen ergreifen, um Kosovo zu isolieren. Das wäre keine gute Lösung, für niemanden. Wir sind im Moment in einer Sackgasse. Wir müssen warten, wie die Weltmächte irgendwie einen Ausweg finden. Das schlimmste Szenario wäre Gewalt, denn das würde die Positionen auf beiden Seiten verhärten und das Kosovo zerstören. Es liegt auch eine große Verantwortung bei den Kosovo-Behörden, die Situation unter Kontrolle zu halten und mit Mäßigung zu handeln.

Viele Kosovo-Serben wollen im Falle einer Unabhängigkeit das Kosovo verlassen. Was sagt die serbisch-orthodoxe Kirche diesen Menschen?

Vater Sava: Wir fordern sie auf, hier zu bleiben. Aber es ist nicht leicht, Argumente dafür zu liefern. Die Leute haben zurzeit kaum Zugang zu Informationen, um sich über alle Möglichkeiten, über Pros und Contras, ein Bild zu machen. Wir haben immer noch kein serbisches Fernsehen und Radio für das ganze Kosovo. Das ist ein sehr großer Fehler der Uno-Übergangsverwaltung Unmik. Die Entscheidung zu bleiben oder zu gehen sollte auf keinen Fall emotional getroffen werden. Es ist niemals zu spät zu gehen. Aber wenn man einmal gegangen ist, ist es sehr schwierig, wieder zurückzukommen. Es wäre schade, wenn die Kosovo-Serben ihre Heimat nun verlassen würden, denn sie leben seit Jahrhunderten hier. In den Verhandlungsprozess in Wien sind sie leider nicht adäquat eingebunden, alles ist zentralisiert in Belgrad. Die Kosovo-Serben wissen nur sehr wenig über die Verhandlungen und den Ahtisaari-Plan. Aber es wäre wichtig, dass auch sie ihre Meinung dazu offener sagen könnten. Denn sie sind die Menschen, die hier leben, um die es geht.


Vater Sava macht sich große Sorgen um die Zukunft des Kosovo und die Minderheit der Serben. / Norbert Rütsche, n-ost

Wie soll es jetzt weitergehen?

Vater Sava: Wir sollten runterkommen mit den Emotionen und uns zuerst auf konkrete, praktische Fragen konzentrieren, um so Verbesserungen für die Lebensqualität aller ethnischen Gemeinschaften zu erreichen. Aber was die eigentliche Statusfrage betrifft, muss in einem allmählichen Verhandlungsprozess und innerhalb einer Perspektive der europäischen Integration für den gesamten Westbalkan entschieden werden. Und wir dürfen nicht vergessen, dass das Kosovo in erster Linie ein Problem der breiteren europäischen Stabilität und Sicherheit ist. Deshalb müssen die EU und die Nato zu einem Langzeitengagement hier bereit sein.


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