Tschechien

Wem gehört der Prager Veitsdom?

Um das tschechische Nationalsymbol streiten Staat und Kirche vor GerichtPrag (n-ost) – Der Veitsdom thront erhaben auf dem Hradschin über der Goldenen Stadt und dient Millionen von Touristen als Fotomotiv. Was viele nicht wissen – bei einem der berühmtesten Bauwerke Tschechiens sind die Eigentumsverhältnisse ungeklärt. Nach einem Urteil des Obersten Gerichtes des Landes gehört der Dom nicht der Kirche sondern dem „tschechischen Volk“. Doch der Rechtsstreit geht weiter.In Köln, so heißt es in einem Karnevalsschlager, wackele gelegentlich der Dom. Je höher der Alkoholspiegel des Narren, desto doller. In Prag wackelt der Dom tatsächlich – und zwar zwischen Staat und Kirche hin und her. Die Eigentumsfrage nach wie vor offen. Und nicht nur das, sie ist ein Politikum, das von großen Emotionen begleitet wird. Sogar den Ausverkauf des Doms an den Vatikan, befürchten einige Kirchenskeptiker.Am Beginn des Streites ist die Regierungsanordnung Nummer 55/1954 aus den 50er Jahren. Sie sorgte dafür, dass die Prager Burg einschließlich der Kathedrale „dem ganzen tschechoslowakischen Volk“ gehört, wie es in der Sprache des kommunistischen Regimes hieß. Dennoch ist dieser Euphemismus bis heute in Tschechien sehr populär. Denn den Ort, wo alle großen Könige Böhmens gekrönt wurden und sich bis heute der größte Staatsschatz – die Kronjuwelen – befindet, im Besitz der katholischen Kirche zu wissen, jagt vielen eher antiklerikal eingestellten Tschechen einen Schauer der Angst über den Rücken. Daher kann auch der Chef der Sozialdemokraten, Jiří Paroubek, noch heute sagen: „Die Kathedrale sollte dem tschechischen Volk gehören“.



Zankapfel St.-Veits-Dom auf dem Prager Hradschin. Foto: Peter KollerAus Sicht der katholischen Kirche handelt es sich dabei aber um eine zum Himmel schreiende Ungerechtigkeit. Für sie ist die Kathedrale nie auf den Besitz des Staates übergegangen, weshalb der Dom kein Gegenstand von Restitution sein kann. Schon zwei Mal, 1994 und 2005, hat ihr das Gericht des ersten Prager Stadtbezirks in der Sache Recht gegeben. Als das Prager Stadtgericht dieses Urteil im vergangenen Juni definitiv bestätigte, gelangte der Dom erstmals nach über 50 Jahren wieder in den Besitz der Kirche zurück. Kardinal Miloslav Vlk feierte das Urteil als „klare Antwort auf die kommunistische Phraseologie, dass die Kathedrale dem ganzen Volk gehört“. Nach dem jetzigen Entscheid des Obersten Gerichts, der alles wieder zurückdreht, herrscht bei der katholischen Kirche tiefe Enttäuschung. Für Rechtsanwalt Petr Zderčík, der die Kirche in dieser Sache vertritt, fiel das Urteil gänzlich unerwartet aus. Er wirft dem Gericht Befangenheit vor. „Immer wenn kirchliche Organisationen ihr Recht einklagen, entscheidet das Oberste Gericht in der gleichen Zusammensetzung, nämlich unter Vorsitz des Richters František Ištvánek. Das kann kein Zufall sein“, erklärt Zderčík gegenüber dieser Zeitung.Allerdings geht es bei dem Urteil um juristische Spitzfindigkeiten. Denn das Oberste Gericht spricht der Kirche keineswegs das Recht auf die Kathedrale ab. Es verwirft aber den eingeschlagenen Rechtsweg, mit dem der Anspruch durchgesetzt werden sollte. Eine Feststellungsklage sei ein „zu fragiles Mittel, um das Eigentumsrecht durchzusetzen, das vor vielen Jahren den ursprünglichen Besitzern durch die Staatsmacht abgenommen wurde“.
Zderčík hält das allerdings nur für einen Vorwand, um nicht entscheiden zu müssen. „Das ist eine selektive Entscheidungsweise und letztendlich diskriminierend.“ Rein rechtlich ist der Fall nun wieder an seinen Ausgangspunkt zurückgekehrt. Die Eigentumsrechte müssen jedoch geklärt werden, sagte Kardinal Miloslav Vlk. Denn in der Praxis ist es derzeit so, dass dem Staat nur die Außenmauern der heiligen Hallen zugesprochen wurden. Das gesamte wertvolle Interieur gehört der Kirche und wurde auch während der Zeit des Kommunismus nicht enteignet.Das Oberste Gericht sieht nun die Politik am Zug und mahnt den Abschluss der Restitution kirchlichen Besitzes auf dem Gesetzweg an. Damit legt das Gericht den Finger in eine schmerzhafte Wunde. Der Streit um das nationale Symbol auf dem Hradschin steht nämlich  exemplarisch für viele ungelöste Fragen zwischen Staat und Kirche. Hat die Kirche einen Teil ihrer Güter bereits Anfang der neunziger Jahre zurückerhalten, kam dieser Prozess in den letzten acht Jahren sozialdemokratischer Regierung ins Stocken. Und auch in den Reihen der jetzigen bürgerlich-liberal geführten Regierung gibt es Gegner einer Einigung mit der Kirche. Für Anwalt Zderčík kann das jetzige Urteil ein Impuls für die Beziehungen zwischen Staat und Kirche sein. Er verweist dabei auf die Aussage von Premierminister Mirek Topolánek vor Studenten in Warschau, der ein kirchliches Eigentum des Veitsdoms befürwortet. Damit hat erstmals ein hoher tschechischer Politiker öffentlich zugestanden, dass der St.-Veits-Dom der Kirche gehören soll. Ein vergangene Woche veröffentlichtes Memorandum der Bischofskonferenz zur Verbesserung der Beziehungen zwischen Staat und Kirche bezieht nun auch den Präsident, beide Parlamentskammern und den Kulturminister mit ein. Diese ersten zarten Zeichen der Verständigung machen Hoffnung, dass sich der Streit um die Kathedrale nicht noch einmal 15 Jahre hinzieht.
KASTENDie katholische BedrohungIn Tschechien sind die Beziehungen zur katholischen Kirche sehr gespalten. Vierzigjährige kommunistische Propaganda mischt sich mit antikatholischen Ressentiments von vor dem ersten Weltkrieg. Der Vatikan wurde als Verbündeter der österreichisch-ungarischen Monarchie empfunden. Die Folge war der Aufbau einer streng areligiösen selbständigen Tschechoslowakei nach 1918. Auf dieser Grundlage hatte es das religionsfeindliche kommunistische Regime nach 1948 noch leichter. Nach der politischen Wende 1989 wurden große Anstrengungen zur Besserung der Beziehungen unternommen. Papst Johannes Paul II. reiste in dieser Zeit allein drei Mal in das Land – eine Zuwendung, der sich vergleichbar große Länder nicht erfreuen konnten. Aber auch das half nur wenig. Noch 2005 musste Kardinal Vlk Ängste zurückweisen, die Kirche könnte den Veitsdom samt königlicher Insignien an den Vatikan verkaufen.*** ENDE ***
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