Schlöndorffs Ärger mit seiner Filmheldin
Der Film "Strajk" erzählt die Geschichte der Solidarnosc-Gründerin Anna Walentynowicz - gegen ihren Willen // Deutschlandpremiere am 8. März
Danzig (n-ost) - In Polen feierte Volker Schlöndorffs neuester Film "Strajk" bereits Premiere. In Deutschland ist der Film ab 8. März in den Kinos. Schlöndorff skizziert darin die Geschichte der Kranführerin Agnieszka (Katharina Thalbach), Mitgründerin der Gewerkschaft Solidarnosc. Der Film, der als Hommage an die wirkliche Streikführerin Anna Walentynowicz gedacht war, hat die Heldin tief verbittert. Sie wirft Schlöndorff Geschichtsfälschung vor.
Anna Walentynowicz ist mit Schlöndorffs filmischer Hommage an sie überhaupt nicht zufrieden. Foto: Katarzyna TuszynskaVor dem Kino Neptun in der Danziger Altstadt drängeln sich die Prominenten. Neben vielen Solidarnosc-Veteranen ist auch Friedensnobelpreisträger Lech Walesa gekommen, um sich Volker Schlöndorffs Film "Strajk - Die Heldin von Danzig" anzusehen. Der Regisseur selbst hat Lampenfieber: "Ich bin sehr glücklich, dass ich hier bin, aber auch sehr nervös." Kein Wunder. Denn ausgerechnet die Titel-Heldin, die mittlerweile 77-jährige Anna Walentynowicz, stemmte sich vehement gegen die Aufführung des Filmes. "Sie war von Anfang an dagegen. Sie ist auch heute noch dagegen", räumt Schlöndorff ein. Und fügt hinzu: "Sie ist eine stolze Frau und sie meint, sie soll nicht zum Objekt eines Filmes werden, aber sie ist doch ein Subjekt der europäischen Geschichte". Zumindest will Schlöndorff sie mit seinem Film dazu machen und aus dem großen Schatten von Lech Walesa heraustreten lassen. Denn die Kranführerin Walentynowicz ist es damals gewesen, deren Entlassung die Arbeiter auf der Danziger Leninwerft mobilisierte. "Wenn Anna Walentynowicz nicht so stark in ihrer Überzeugung und ihrer Handlung gewesen wäre, würde die Mauer in Berlin vielleicht heute noch stehen", vermutet Schlöndorff.Anna Walentynowicz wohnt heute immer noch in Danzig. In ihrem Wohnzimmer hängen Fotos des verstorbenen polnischen Papstes und über dem Bett die Gottesmutter Maria. Die Wohnung ist 40 Quadratmeter groß, hat zwei Zimmer und eine kleine Küche. Die 77-Jährige wohnt alleine. Ihre grauen Haar luken hinter einem Holztisch hervor, der voller Briefe und Zeitungsausschnitte ist. "Ich sammle Archivmaterialien für künftige Forscher", sagt sie. Es ist ein Uhr mittags und die Rentnerin hat bereits drei Interviews gegeben.
Die Solidarnosc-Bewegung nahm ihren Anfang auf der Danziger Leninwerft . Foto: Andreas MetzWalentynowicz Version von der Entstehung der unabhängigen Gewerkschaft Solidarnosc weicht von den Lehrbüchern ab und wirft auf Lech Walesa ein schlechtes Licht. Walentynowicz behauptet, "dass Walesa vom polnischen Geheimdienst SB geschickt wurde, um den Aufstand im Jahre 1980 zu beenden". Seit Jahren streiten die Historiker in Polen über diese Version. 2004 erschien unter dem Titel "Oczami bezpieki" (deutsch: Mit den Augen des Geheimdienstes) ein Buch des polnischen Historikers Slawomir Cenckiewicz, der in der Danziger Abteilung des Instituts für Nationales Gedenken (IPN) - einer Art polnischer Gauckbehörde - arbeitet. In dem Buch wird darüber spekuliert, dass sich hinter dem Agenten-Decknamen "Bolek" Lech Walesa verbergen könnte. Das Buch löste heftige Angriffe auf Walesa aus. Doch mittlerweile hat das IPN ein anderes, offizielles Urteil über Lech Walesa gesprochen: der Vater von acht Kindern, sei ein Opfer des polnischen Geheimdienstes gewesen.Der Konflikt zwischen Walentynowicz und Walesa begann bereits am dritten Tag der Streiks auf der Danziger Lenin-Werft. Walentynowicz war als unbequeme Betriebsrätin von der Werftleitung entlassen worden, die Arbeiter gingen aus Solidarität auf die Barrikaden. Heute ist sie davon überzeugt, dass ihre Genossen von der Gewerkschaft, allen voran Lech Walesa, sie damals verraten hätten, um die "guten Posten" unter sich aufzuteilen. "Sie haben sich nur um ihre eigenen Interessen gekümmert". Im legendären August 1980 ist Anna Walentynowicz voller Hoffnung, trotz der ständigen Verfolgungen und Gewalt durch den polnischen Geheimdienst SB, hält sie die Zeit der Arbeiter für gekommen. Doch heute, nach über 40 Jahren Arbeit auf der Danziger Werft, ist sie verbittert. Sie fühlt sich von ihren "alten Freunden" betrogen und hofft, dass man eines Tages die Wahrheit aufdeckt - ihre Wahrheit.
Anna Walentynowicz Version von der Entstehung von Solidarnosc weicht von den Lehrbüchern ab. Foto: Andreas MetzSchlöndorff hat es nicht geschafft. Schon die Drehbuchversion von "Strajk", die ihr erst nach langem Hin- und Her ausgehändigt wird, fällt bei der Filmheldin durch. "Bis zum Beginn der Dreharbeiten im Herbst 2005 hatte Schlöndorff nie versucht, mit mir zu reden", klagt sie. Dass auf der Werft ein Film über ihr Leben entsteht, habe sie nur zufällig von einer befreundeten Schauspielerin erfahren "Nachdem ich mir den Film dann bei einer privaten Vorführung in Danzig angeschaut habe, war ich schockiert", schüttelt Anna Walentynowicz den Kopf.Die Hauptrollen spielen die deutschen Schauspieler Katharina Thalbach und Dominique Horwitz. Thalbach trägt im Film den Namen Agnieszka Kowalska. Ihr Sohn Krystian ist ein uneheliches Kind mit dem Parteisekretär Henryk Sobecki. Das Mutter-Sohn-Verhältnis ist im Film angespannt, als sich Krystian gegen den Willen der Mutter entscheidet, in der Armee Karriere zu machen. Es sind Passagen wie diese, gegen die Anna Walentynowicz protestiert. Ihrer Meinung nach wurden Fakten aus ihrer Biographie verdreht.
Regisseur Volker Schlöndorff konnte mit seinem Film "Straijk" seine Filmheldin nicht überzeugen. Foto: Katarzyna TuszynskaSchlöndorff verteidigt sich mit dem Hinweis, der Film sei zwar stark von Walentynowicz inspiriert, aber kein Dokumentarfilm. Dass die Stärke seiner Heldin sich auch gegen ihn selbst richten könnte, damit hatte der Regisseur offenbar nicht gerechnet. Die Einladung des Produzenten Jürgen Haase zur Premiere des Filmes nach Berlin zu kommen, hat Walentynowicz abgesagt. Sie verlangt zudem, dass vor und nach jeder Vorführung des Films, diese Zeile eingeblendet wird: "Dieser Film ist gegen den Willen von Anna Walentynowicz entstanden". Zudem fordert sie vom deutschen Regisseur eine finanzielle Entschädigung."Das Ganze war von Anfang an sehr emotional aufgeladen", meint der polnische Schauspieler Andrzej Chyra, der im Film die Rolle Lech Walesas übernommen hat. Chyra verteidigt den deutschen Regisseur. "Er wollte mit dem Film niemanden beleidigen, auch wenn einige Fakten in dieser Geschichte nicht stimmen." Lech Walesa selbst fällt nach der Premiere ein differenziertes Urteil: "Der Film wurde so gemacht, dass man ihn in Polen als auch im Ausland versteht". Das Ergebnis überzeugt auch ihn nicht hundertprozentig: "Der Film zeigt unsere Strategie nicht. Es gibt auch ein paar historische Fehler. Nur der Abschnitt bis zu den 70er Jahren stimmt".
Heute erinnert ein Gedenkort auf der Danziger Werft an die unabhängige Gewerkschaft Solidarnosc. Foto: Andreas MetzDennoch war Schlöndorff nach der Danziger Premiere sehr zufrieden. "Besser konnte es nicht laufen." Vor allem die nachgewachsene Generation wolle er ansprechen. "Die jungen Leute haben diese Zeit nicht mehr erlebt. Wenn das klappen würde, sie für ihre eigene Geschichte zu interessieren, wäre ich sehr stolz". "Strajk" ist nach der "Blechtrommel" (1979) und "Der Unhold" (1996) Schlöndorffs dritte Regiearbeit in Polen.*** Ende ***
Porträt:
Anna WalentynowiczAnna Walentynowicz kam 1929 in Rowne, in der heutigen Ukraine, zur Welt. Ihr Vater fiel im Zweiten Weltkrieg an der Front, kurz danach erlitt ihre Mutter einen Herzinfarkt. Die 12-jährige Anna kam zu Pflegeeltern. 1945 gelangte sie nach Danzig. Das Pflegekind musste hart arbeiten in der fremden Familie. "Ich durfte mit niemandem sprechen. Ich habe wie eine Sklavin gearbeitet", erzählt sie. Mit 20 flüchtet sie. "Ich lief einfach durch die Straßen von Danzig und habe geweint. Fremde Leute haben mich zu sich nach Hause genommen".
Ein Jahr später fing Anna auf der Werft an. In den ersten 16 Jahren war sie Schweißerin. "Ich habe in der Doppelbilge gearbeitet, weil ich klein war. Kein Mann hat da reingepasst. Ich konnte keine Schutzmaske tragen. Dafür war es dort zu eng". Gewohnt hat sie in einer Kellerwohnung, wurde schwanger. Erfuhr dann aber, dass ihr Freund eine andere Freundin hatte und verließ ihn. Als sie im Jahre 1952 das Kind bekam, lebte sie mit einer fremden Familie zu sechst in einem Raum. Den kleinen Janusz musste sie ins Kinderheim geben, bis sie nach einem Jahr eine eigene Wohnung bekam.
In den 70er Jahren stieg Anna Walentynowicz zur Kranführerin auf. "Ich habe mich gewerkschaftlich engagiert, weil ich dem Volk helfen wollte. Ich wollte ihnen klar machen, dass sie keine Angst haben sollen". Ihr Anker war der letzte polnische Papst: "Seine Worte 'Fürchtet Euch nicht' auf seiner ersten Reise als Papst durch Polen haben uns damals Kraft gegeben, uns zu erheben. So konnte die Solidarnosc entstehen."*** Ende ***
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