"UN go home"
Das Hauptquartier der Bewegung "Vetevendosje" liegt mitten im Zentrum Prishtinas. Ein einfaches Haus, spartanisch eingerichtet: Ein Schreibtisch, veraltete Computer, ein zerschlissenes Sofa, ein paar Stühle. Ilir Bokshi ist immer noch außer sich, wenn er an die Ereignisse vom vergangenen Samstag denkt. "Nun haben wir gesehen, was wir für eine tolle Freiheit haben, sagt der 24-jährige Informatikstudent der Amerikanischen Universität Prishtina. "Und die UN hat endlich ihr wahres Gesicht gezeigt."
Etwa 3000 Anhänger der Bewegung "Vetevendosje" (Selbstbestimmung) hatten gegen den Plan des UN-Sondergesandten Martti Ahtisaari demonstriert, der ein "überwachte Souveränität" für die südserbische Provinz vorsieht. Dabei war es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und UN-Polizei gekommen, in deren Folge zwei Jugendliche getötet wurden. Ein dritter liegt noch in Koma. Alle drei Opfer wurden offenbar von Gummigeschossen getroffen.Während Kosovos Ministerpräsident Agim Ceku inzwischen eingestand, dass die Sicherheitskräfte mit "überzogener Härte" reagiert hätten und Innenminister Fatmir Rexhepi seinen Rücktritt einreichte, fehlt von der obersten UN-Spitze bislang jegliches Signal des Bedauerns. Stattdessen haben UN-Polizeikräfte am Montag die Büros von "Vetevendosje" gestürmt, Computer und Dokumente beschlagnahmt und neue Haftbefehle erteilt.
Die Zeit der UN ist abgelaufen, sagen diese beiden Aktivisten von "Vetevendosja". / Dirk Auer, n-ost
Albin Kurti, die unumstrittene Führungsfigur von "Vetevendosje", war bereits kurz nach der Demonstration verhaftet worden. Kurti, ein begnadeter Redner, hat die Bewegung zur einzigen wirklichen Opposition gegen den Kompromissvorschlag des UN-Sondergesandten Martti Ahtisaari gemacht, der den zukünftigen Status der Provinz regeln soll und Anfang Februar in Belgrad und Prishtina präsentiert wurde. Ihre Mitglieder sind jung und gebildet, und im Gegensatz zu den etablierten Parteien erhält die Bewegung Zulauf.
"Die Geduld der Leute geht zu Ende", ist sich Kurti sicher und verweist auf Umfragen, nach denen die Akzeptanz von UNMIK in den letzten Jahren stetig gesunken ist.Kurti hält die UN-Verwaltung für ein "neokoloniales Regime ohne demokratische Legitimation". Den Ahtisaari-Plan für eine "überwachte Souveränität" des Kosovo, der die Ablösung der UN-Verwaltung durch eine EU-Mission vorsieht, bezeichnet er als eine "Fortsetzung kolonialer Fremdbestimmung". Geschickt verknüpft er in seiner Agitation die Forderung nach sofortiger Unabhängigkeit mit sozialen Anliegen. Warum kommt jemand aus Westeuropa nach Kosovo, um hier zu arbeiten, fragt er und gibt sofort die Antwort: "Doppeltes Gehalt, keine Steuern, geringe Ausgaben, keine Rechenschaftspflicht."
Wie neue Kolonialherren würde sich das UN-Personal gebärden, wenn sie mit ihren weißen Jeeps durch die Straßen Pristhinas fahren. Dass ein wesentlicher Teil der Kosovarischen Wirschaft von deren Ausgaben abhängig ist, lässt Kurti nicht gelten: "Nur die Leute, die schon Geld haben, profitieren von UNMIK. Die Armen bleiben arm."
Solche Aussagen treffen bei vielen jungen Kosovaren auf fruchtbaren Boden. Kosovo ist das Land mit der jüngsten Bevölkerung Europas. Das Durchschnittsalter liegt bei 23 Jahren, 40 Prozent der Bevölkerung sind unter 18. Die wirtschaftliche Situation hat sich in sieben Jahren UN-Verwaltung jedoch kaum gebessert hat. Die Arbeitslosigkeit liegt weiterhin zwischen 30 und 50 Prozent. "Ich will nicht mehr warten, ich will, dass sich sofort etwas bessert. Auch für meine Kinder", sagt eine 24-jährige Vetevendosje-Aktivistin. "Wie kann es sein, dass nach sieben Jahren UN immer noch jeden Tag der Strom ausfällt?" Das Programm der Bewegung sei einfach: Abzug der UN innerhalb von drei bis sechs Monaten, in dieser Zeit Durchführung eines Unabhängigkeitsreferendums, anschließend Neuwahlen.
Auch wenn viele Menschen im Kosovo die Positionen "Vetevendosjes" im Prinzip teilen: Noch schrecken viele von ihren bisweilen militanten Aktionen zurück. Doch das kann sich schnell ändern. Schon die Toten des vergangenen Wochenendes könnten einen ersten Wendepunkt darstellen. Der kosovarische Fernsehsender "KohaVision" zitierte einen Jugendlichen, der durch Gummigeschosse der UN-Polizei schwer verletzt wurde, mit den Worten: "Ich war kein Aktivist von Vetevendosje. Aber ab heute bin ich einer und werde es immer bleiben." Die nächsten Demonstrationen sind bereits angekündigt.