Aufstand gegen Ahtisaari-Plan
- Zwei tote Demonstranten und Dutzende von Verletzten in Pristina – das ist die traurige Bilanz eines schwarzen Wochenendes für das Kosovo. Am Samstag hatten 3000 Kosovo-Albaner vor dem Parlament in der Hauptstadt Pristina für die Unabhängigkeit der völkerrechtlich immer noch zu Serbien gehörenden Provinz und gegen den Plan von UN-Vermittler Martti Ahtisaari demonstriert. Ahtisaaris Plan sieht eine „überwachte Souveränität“ vor. Treibende Kraft bei den Protesten war die Bewegung „Vetevendosje“ („Selbstbestimmung“). Als die Menge versuchte, das Parlamentsgebäude zu stürmen, setzte die Polizei Tränengas und Gummigeschosse ein.
Wie die beiden Demonstranten zu Tode kamen und welche Rolle dabei die Polizei spielte, muss noch untersucht werden. Aber die Hauptverantwortung für den tragischen Verlust von zwei Menschenleben ist bei den Organisatoren der Großkundgebung zu suchen, die nichts taten, um die emotional aufgewühlten Demonstranten von Gewalt abzuhalten.
Der Vorschlag des UN-Vermittlers Ahtisaari dem Kosovo eine überwachte Souveränität zuzubilligen, geht vielen Kosovo-Albanern nicht weit genug. / Jutta Sommerbauer, n-ost
Zudem erwies „Vetevendosje“ allen, die sich ein souveränes Kosovo wünschen, einen Bärendienst. Denn diejenigen Kreise, die der Provinz die Unabhängigkeit ohnehin nicht zutrauen, werden sich nun bestärkt fühlen und betonen, den Kosovo-Albanern mangele es an politischer Reife. Und die Kosovo-Serben können zu Recht darauf verweisen, dass ihre zehntausend Demonstranten, die am Freitag in Mitrovica gegen den Ahtisaari-Plan und die Unabhängigkeit des Kosovos auf die Straße gingen, friedlich blieben.
Dennoch wäre es falsch, vom Verhalten der Gruppe „Vetevendosje“ auf die gesamte kosovo-albanische Bevölkerungsmehrheit zu schließen. Auch wenn sie das Schlüsselwort „Unabhängigkeit“ in Ahtisaaris Vorschlag vermissen, sind sich die meisten Kosovo-Albaner bewusst, dass sie einem eigenen Staat noch nie so nahe waren wie jetzt und dass es sich nicht lohnt, diese gute Ausgangslage durch unüberlegte Aktionen aufs Spiel zu setzen. Die Bewegung „Vetevendosje“ ist zwar laut, repräsentiert aber dennoch nicht – wie es ihr Anführer Albin Kurti immer wieder weismachen will – das „kosovarische Volk“.
Das vergangene Wochenende muss dennoch eine Warnung für die internationale Gemeinschaft sein. Denn es hat gezeigt, wie groß die Frustration vor allem bei den Jugendlichen ist. Die Bevölkerung des Kosovo ist die jüngste in Europa. Nach einem Baby-Boom in den vergangenen Jahrzehnten liegt das Durchschnittsalter der zwei Millionen Kosovaren bei 23 Jahren. Doch gleichzeitig fehlen die wirtschaftlichen Perspektiven. Die Arbeitslosenquote beläuft sich nach UNMIK-Schätzungen im Kosovo auf 35 bis 50 Prozent.
Ahtisaari-Plan
Martti Ahtisaaris hat in seinem Zukunftsentwurf für das Kosovo – der dem UN-Sicherheitsrat zur Diskussion vorliegt - das Reizwort „Unabhängigkeit“ vermieden. Doch der Plan des Uno-Vermittlers lässt kaum einen anderen Schluss zu, als dass das Kosovo ein von Serbien unabhängiger Staat unter strenger internationaler Aufsicht werden soll. Das Kosovo soll demnach selbst für den Grenzschutz verantwortlich sein, internationale Verträge abschließen und internationalen Organisationen wie der Uno oder der Weltbank beitreten können. Auch die Bildung einer leicht bewaffneten „Kosovo-Sicherheitstruppe“ ist vorgesehen, was faktisch der Schaffung einer Armee gleichkommt. Dies alles sind klare Merkmale eines Staates. Darüber hinaus soll nebst der bereits bestehenden Kosovo-Polizei ein Inlandsnachrichtendienst für Sicherheitsbelange zuständig sein. Weiter bekäme Kosovo dem Entwurf zufolge das Recht auf eigene nationale Symbole wie Flagge und Wappen sowie eine Nationalhymne.
Besonderes Gewicht legt der Plan auf die Einhaltung der Menschenrechte und den Schutz der nicht-albanischen Bevölkerungsgruppen, ihrer Kulturgüter und religiösen Stätten. Ein mit Vollmachten ausgestatteter internationaler Gesandter, der gleichzeitig auch als EU-Vertreter amtet, soll – ähnlich dem Hohen Repräsentanten in Bosnien-Herzegowina – die Umsetzung eines solchen Plans überwachen. Zudem würde auch weiterhin eine von der Nato angeführte internationale Militärpräsenz, vergleichbar mit der heutigen KFOR, für Sicherheit sorgen.
Wirtschaftliche Perspektiven
Ob ein unabhängiges Kosovo überhaupt lebensfähig wäre, wird von vielen Experten heiß diskutiert. Gemäß der Weltbank betrug das durchschnittliche Jahreseinkommen 2005 pro Kopf gerade mal 1250 Euro. 37 Prozent der Bevölkerung müssen mit weniger als 1,50 Euro pro Tag auskommen – das Kosovo gehört mit zu den ärmsten Regionen Europas. Die Infrastruktur ist trotz internationaler Hilfe von fast drei Milliarden Euro seit 1999 vielerorts noch immer in einem katastrophalen Zustand. Stromausfälle sind nach wie vor an der Tagesordnung, das Außenhandelsdefizit ist enorm.
Joachim Rücker, der deutsche Chef der UN-Übergangsverwaltung im Kosovo (UNMIK), sieht dennoch großes wirtschaftliches Potenzial. Übereinstimmend mit der Weltbank setzt der UNMIK-Chef seine Hoffnung auf die Bodenschätze: „Im Kosovo sollen 45 Prozent der Braunkohlereserven Europas liegen“. Damit könnte das Kosovo mittelfristig mit hochmodernen, umweltfreundlichen Anlagen einen wichtigen Beitrag zur Stromproduktion auf dem Balkan leisten, zum Beispiel als Ersatz für die bulgarischen Atomkraftwerke, die bald vom Netz genommen würden. Zudem verweist Rücker im Gespräch mit dieser Zeitung auf die reichen Vorkommen an Nickel, Eisenerz und Zink. Auch bei der Landwirtschaft sieht der UNMIK-Chef ein großes Potential: „Es könnten so viele Lebensmittel im Kosovo produziert werden, wie heute importiert werden.“
Die Entscheidung zum Status des Kosovo, die in den nächsten Wochen im UN-Sicherheitsrat fällt, werde natürlich nicht alle Wirtschaftsprobleme lösen. Aber mit Sicherheit erleichtere dies den Zugang zu den internationalen Finanzorganisationen, so Rücker. Blerim Shala, der kosovarische Verhandlungsleiter bei den Statusgesprächen in Wien, setzt auf die starke Diaspora, um die Wirtschaft im Kosovo voranzubringen. „Unsere Leute haben Millionen und Milliarden im Ausland verdient. Aber sie werden nur investieren, wenn der Status geklärt ist.“
Shala räumt ein, dass das Kosovo auch nach der Unabhängigkeit noch einige Jahre von internationaler Hilfe abhängig sein wird. „Es braucht zwei Milliarden Euro, um die Wirtschaft zum Funktionieren zu bringen.“ Die Hälfte davon will Shala für den Bau eines neuen, hochmodernen Braunkohlekraftwerkes einsetzen. Er ist überzeugt, dass das Kosovo eine Priorität von EU und USA sein werde. Denn diese Länder wüssten genau, dass ein erneuter Konflikt mit unzähligen Asylsuchenden sie viel teuer zu stehen kommen würde.