Heroin in der Pizzaschachtel
Die bulgarisch-türkische Grenze markiert ein Maschendrahtzaun: der alte Eiserne Vorhang. „Man hat sich einfach nicht darum gekümmert, ihn abzubauen“, sagt Stoicho Dimitrov, Leiter der Grenzpolizei Svilengrad achselzuckend. Gegenüber von Dimitrovs Schreibtisch hängt eine große Karte der Republik Bulgarien. Mit einem Kugelschreiber fährt der Polizeibeamte an der schwarz gestrichelten Linie entlang. Grenzen, die bewacht werden müssen, gibt es im Dreiländereck Bulgarien-Griechenland-Türkei mehr als genug. Das Hügelland des Strandzha-Gebirges, das bis zum Schwarzen Meer reicht, ist nur dünn besiedelt. Dichte Laubwälder machen es mitunter schwer zugänglich.
Auf den Maschendraht aus sozialistischer Zeit verlässt sich der Zöllner allerdings nicht mehr. Man arbeite längst mit modernen Geräten, versichert Dimitrov und gibt bereitwillig einen Überblick über die Überwachungstechnik. Nachtsichtgeräte, Wärmebildkameras und das Funknetz TETRA gehören mittlerweile zur Grundausstattung der Polizisten. Die Europäische Union lässt sich die Aufrüstung ihrer 270 Kilometer langen neuen Außengrenze einiges kosten. Mit PHARE-Projekten im Wert von zwölf Millionen Euro wurde der bulgarisch-türkische Grenzabschnitt in den letzten Jahren aufgerüstet.
Als neuralgischer Punkt gilt der Übergang Kapitan Andreevo/Kapikule bei Edirne an der bulgarisch-türkischen Grenze. Er ist seit dem EU-Beitritt Bulgariens am 1. Januar das neue Eingangstor zur EU. Hier verläuft mit dem paneuropäischen Verkehrskorridor IV die Hauptverbindung zwischen Asien und Europa. Im vergangenen Jahr überquerten fast fünf Millionen Personen, 50.000 Autobusse, 800.000 PKW und knapp eine halbe Million LKW den Kontrollpunkt. Und über diesen Korridor, die so genannte Balkanroute, wird auch ein Großteil des Rauschgiftschmuggels in die Union abgewickelt. Manchmal ist es dabei nicht teure Technik sondern tierische Eingebung, die den Fahndern zum Erfolg verhilft. Vergangene Woche vermeldeten türkische Zollbeamte am Grenzübergang Kapikule einen der spektakulärsten Drogenfunde der vergangenen Jahre: Am 8. Februar verbellte Spürhund „Esta“ Pizzaschachteln auf einem voll beladenen LKW. Statt Tiefkühlpizza fanden die Beamten 1105 Pakete gepresstes Heroin, insgesamt 565 Kilogramm. Es ist die bislang größte in der Türkei beschlagnahmte Menge. Bestimmungsort Holland.
Neben dem Fahrer und dem Zulieferer wurden bislang vierzehn Personen festgenommen, die im Verdacht stehen regelmäßig Drogentransporte im großen Stil zu organisieren. Der LKW gehörte einer im internationalen Tourismus-Geschäft tätigen Firma. Parallel beschlagnahmte die Istanbuler Polizei am Wochenende in verschiedenen Stadtteilen insgesamt 285 Kilogramm Heroin und verhaftete dreiundzwanzig Verdächtige. Der türkische Staatsminister Kürsad Tüzmen erklärte, der Erfolg gehe auf die Zusammenarbeit mit der deutschen und belgischen Polizei zurück. Bereits seit Ende der achtziger Jahre besteht diese grenzübergreifende Zusammenarbeit, um eine bessere Kontrolle der so genannten „Balkanroute“ zu gewährleisten.
İn den deutschen Auslandsvertretungen sitzen deutsche Beamte von Europol, die vor Ort mit den türkischen Kollegen kooperieren. Von Afghanistan aus gelangen die Rauschgifttransporte entweder über das Gebiet des Iran in die Türkei und von dort über die Balkanroute oder über Zentralasien, das Kaspische Meer und den Kaukasus über Russland (so genannte Seidenroute) nach Europa. Die Beitrittsverhandlungen zwischen der EU und der Türkei scheinen einen positiven Effekt auf die Erfolgsquote in der Drogenfahndung auszuüben. Allein in İstanbul wurden in den vergangenen vier Jahren 30 Tonnen Drogen beschlagnahmt, davon dreizehneinhalb Tonnen Heroin.Deutschland, Dänemark, Belgien, Holland, Spanien, İsrael, Norwegen, İtalien, Großbritannien und die USA haben mittlerweile eigene Beamte zur Drogenbekämpfung in der Türkei. Jeden Monat findet ein internes “Gipfeltreffen” zur Koordination statt.