Belarus

Schläge und Schokolade

Verhaftungen von Oppositionellen sind in Belarus an der Tagesordnung. Die Bürgerrechtlerin Olga Karatsch wurde bereits 50 Mal festgenommen. Im April nach dem Anschlag auf die Minsker Metro klingelte wieder die Polizei an der Tür. Ein Augenzeugenbericht aus dem Gefängnis.

In der Nacht vom 19. auf den 20. Dezember 2010, unmittelbar nach den Präsidentschaftswahlen in Belarus, war ich ein sehr glücklicher Mensch. Ich war sicher, dass sie keinen unserer Mitstreiter verhaftet hatten und dass sich letzten Endes alles gut in den dunklen Straßen und Hinterhöfen von Minsk verlaufen hätte.

Dann um ein Uhr nachts ein Anruf auf dem Handy. Wie ich das hasse. Ein nächtlicher Anruf ist immer ein schlechtes Zeichen. Ich hab den Hörer noch nicht abgehoben, nur das Handy in der Hand und weiß schon: Etwas Schlimmes ist passiert.

Kristina rief an und sprach mit aufgeregter Stimme. „Olga, sie haben uns verhaftet. Auf dem Platz. Mascha und mich. Polizisten haben da auf einen Frau eingeschlagen, wir haben uns eingemischt.“ Jetzt brachten sie sie zu einer Polizeistation. Ich war in dort in der Nähe und neben mir stand eine „Wand“ uniformierter Männer. Es war sinnlos zu versuchen, sie da rauszuholen.

„In welcher Verbindung stehen Sie zu ihr?“ „Ich bin ihre Schwester“, sagte ich und fügte für alle Fälle hinzu: „Ihre ältere Schwester.“
„Man sollte sie mit dem Gürtel verhauen, damit sie sich nicht auf den Plätzen herumtreibt“, einer der Polizisten hatte sich mir zugewandt. „Ja genau, man sollte sie mit dem Gürtel verhauen“, sagte ich fröhlich. „Lassen Sie sie doch bitte gehen. Dann verhaue ich sie heute windelweich, ich versprech’s…“ „Nein, wir lassen sie nicht gehen. Soll sie mal sitzen und über ihr Verhalten nachdenken.“ „Könnten Sie ihr aber vielleicht Kleidung übergeben? Oder eine Schokolade? Wenigstens Schokolade?“, überredete ich ihn. Irgendwas wollte ich ihr schicken. Als Zeichen, damit die Mädchen wissen: Wir sind da.
„Ja, eine Schokolade kann ich ihr wahrscheinlich übergeben“, einer der Polizisten schaute die anderen unsicher an: „Naja, die Schwester macht sich doch Sorgen.“ Die anderen sahen weg und taten so, als hätten sie nichts gehört. Ich gab die Schokolade zwischen dem Absperrgitter durch. Er nahm sie schweigend und ging.

Genau vier Monate danach, in der Nacht vom 19. auf den 20. April 2011, ist die Schokolade zu mir „zurückgekehrt“. Am 19. April haben sie mich „nicht festgenommen“ und „nicht eingesperrt“. Ich wollte meinen Mann nicht allein mit der Polizei gehen lassen, er wiederum wollte unseren gemeinsamen Freund nicht allein lassen. Und unsere Schuld bestand darin, dass wir fragten, was denn der Grund für die Verhaftung sei, und die Polizei versicherte, dass wir „freiwillig“ mitkommen würden. Später hat mir ein Polizist die ganze Schwere unseres Vergehens erklärt: Wir hätten die Polizisten nicht nach dem Grund der Verhaftung fragen sollen. Dieses „Verbrechen“ war so schrecklich und unverzeihlich, dass einer der Männer der Polizeistation nicht aufhörte, mich ins Gesicht zu schlagen und mir gleichzeitig erklärte, welche Art von Sex er gerne mit mir haben würde. Dann sperrte er mich in eine Zelle, die eher ein Kühlschrank war.

Da saß ich nun. Jede Stunde quietschten irgendwelche Gitter und ein Wärter ging, fluchend, alle Zellen ab. Als er mich das erste Mal sah, blieb er stehen, sah mich aufmerksam an und sagte: „Und warum bist du hier?“. Ich antwortete ehrlich, dass ich wegen nichts hier sei und einfach so hier sitze. Er nickt verstehend: „Ah, Ihr seid solche… politischen…“
Es war zwei Uhr nachts. Der Wärter blieb wieder an meiner Zelle stehen, diesmal ohne zu fluchen, sondern er sagte leise flüsternd und vorwurfsvoll: „Na, hier, nimm das. Das ist von deiner Schwester.“ In dem Paket war eine Flasche Mineralwasser, Toilettenpapier und… Schokolade. Meine „Schwester“ habe ich dann zwei Tage später kennengelernt, im Gericht. Viele Leute haben uns Päckchen in die Hand gedrückt, auch Leute, die wir gar nicht kannten.

Ich weiß ganz genau: Sollte Alexander Lukaschenko oder der Polizeigeneral Anatolij Kuleschow irgendwann ins Gefängnis kommen, dann wird nicht ein einziger Wärter neben ihrer Zelle stehenbleiben und „verbotene“ Schokolade von der „Schwester“ übergeben. Weil es in Belarus keine Frau gibt, die ihm irgendetwas ins Gefängnis schicken würde.

Aus dem Russischen von Tamina Kutscher


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