Morddrohungen gegen Orhan Pamuk
Vergangene Woche sagte der aktuelle Literatur-Nobelpreisträger Orhan Pamuk eine geplante Lesereise durch Deutschland ab und reiste stattdessen von Istanbul aus in die USA. Grund ist die Ermordung des türkisch-armenischen Journalisten Hrant Dink am 19. Januar, mit dem Pamuk eng befreundet war. Das türkische Fernsehen zeigte Bilder eines vor Fernsehkameras fliehenden Pamuk am Flughafen, im Kommentar wird gefragt, ob „Orhan Pamuk in das Ausland flieht“. Allein diese Bilder genügen, um zu verstehen, warum der Schriftsteller sich momentan in seinem Heimatland nicht wohl fühlt und auch Länder mit einer starken türkischen Minderheit, wie etwa Deutschland, meidet.
Kurz vor Pamuks Abreise tauchte auf der Internet-Plattform „Youtube“ ein Video auf, das die Ermordung Hrant Dinks als großen Sieg des türkischen Nationalismus preist und die Schriftsteller Orhan Pamuk und Elif Safak offen mit einem ähnlichen Schicksal bedroht. Im gleichen Forum kursieren Videos aus der Szene der ultranationalistischen Grauen Wölfe, die den mutmaßlichen, geständigen Dink-Mörder Ogün Samast als großen Patrioten und Helden feiern.
Die Schrifstellerin Elif Sakak muss sich wegen "Verhöhnung des Türkentums" vor Gericht verantworten / Jutta Sommerbauer, n-ost
Ende vergangener Woche veröffentlicht der türkische Fernsehsender TGRT in seinen Hauptnachrichten Videoaufnahmen der Polizei aus der nordöstlich gelegenen Hafenstadt Trabzon. Auf den Bildern sind Ogün Samast nach seiner Festnahme, Polizisten und Soldaten der zur Armee gehörenden Einheit Jandarma zu sehen. Alle amüsieren sich prächtig miteinander und posieren gemeinsam vor der Kamera. Samast wird eine türkische Fahne in die Hand gedrückt, er wird vor ein Plakat mit einer türkischen Nationalflagge mit nationalistischen Aufschriften gestellt. Die Aufnahmen zeigen sich mit dem Täter solidarisierende Sicherheitskräfte.
So ist es kein Wunder, dass sich Schriftsteller wie Orhan Pamuk derzeit in ihrem Heimatland nicht mehr sicher fühlen. Die Polizei von Trabzon war durch einen V-Mann bereits ein Jahr vor dem Mord an Hrant Dink von den Plänen des Drahtziehers Yasin Hayal informiert worden. Auch die Istanbuler Polizei wusste von der Bedrohung Dinks. Sie unternahm nichts. Wer das von einem Polizisten aufgenommene gemeinsame Video mit dem Dink-Mörder gesehen hat, weiß warum. Die überproportionale Präsenz ultranationalistischer Sichtweisen innerhalb der Polizei- und Sicherheitskräfte hat Tradition in der Türkei. Nach der Suspendierung des Gouverneurs und des Polizeichefs von Trabzon im Rahmen der Ermittlungen um die Ermordung Hrant Dinks fragt sich die türkische Öffentlichkeit allerdings, ob es sich bei Dinks Mördern tatsächlich nur um eine kleine Gruppe von Fanatikern handelt, oder ob diese nicht vielmehr von einflussreicheren Hintermännern gesteuert wurden. Mit dem Video liegt zumindest der Nachweis vor, dass einige Mitglieder der Sicherheitskräften mit den politisch motivierten Gewalttätern auf einer Wellenlänge liegen.
Der ermordete armenisch-türkische Journalist Hrant Dink in seinem Büro / Sabine Küper-Busch, n-ost
Dass Intellektuelle wie Orhan Pamuk, die nach dem Attentat unter Polizeischutz gestellt wurden, diesem Schutz misstrauen, ist wohl nur zu verständlich. Orhan Pamuk hatte unmittelbar nach Hrant Dinks Ermordung erbittert die Hetz- und Lynchkampagne kritisiert, die von Ultranationalisten in der Türkei gegen den wegen angeblicher „Beleidigung des Türkentums” verurteilten Journalisten zweieinhalb Jahre lang geführt wurde. Pamuk selbst war ebenfalls von dieser Hetzkampagne betroffen. Bei seiner Festnahme bedrohte Yasin Hayal, einer der Hintermänner des Mordes an Dink, Orhan Pamuk direkt. Auch dieser solle sich in Acht nehmen.
Angesichts der jüngsten Vorfälle wirken einige Bücher Pamuks düster prophetisch. In seinem Roman „Schnee“ wird der in Deutschland lebende türkische Lyriker Ka am Schluss der Geschichte Opfer eines unaufgeklärten Mordes. Die Hintergründe des Mordes werden nicht entschlüsselt. Neben dieser Rahmenhandlung begleitet der Leser jedoch vor allem Ka auf einer Reise nach Kars. Er will dort eine Reportage über die sich häufenden Selbstmorde von jungen Frauen recherchieren. Kurz nach Kas Ankunft wird der Dekan der Universität von einem islamistischen, jugendlichen Attentäter in einem Café erschossen. Der Mörder flieht in die verschneiten Gassen der ostanatolischen Stadt. Hier enthüllt sich dem Leser ein Netz von konspirativen Islamisten, einer korrupten Polizei und allmächtigen Militärs.
„Schnee“ ist Pamuks politischstes Buch. Es verbindet Elemente der politischen Wirklichkeit der Türkei der 90er Jahre mit einer Liebes- und Sinnfindungsgeschichte um den Dichter Ka. Das Buch erschien 2002. Gleichzeitig begann der zuvor als unpolitisch geltende Schriftsteller sich zu zentralen, die türkische Politik betreffenden Fragen zu äußern. Pamuk will den durch den EU-Aufnahmeantrag der Türkei aufkommenden Reformwillen im Land zur Diskussion nutzen. In einem Interview mit einer Schweizer Zeitung sagte er im Februar 2005, dass 30.000 Kurden und eine Millionen Armenier in der Türkei umgekommen sind. Dies handelte ihm eine Anklage auf der Grundlage des umstrittenen Paragraphen 301 wegen „Herabwürdigung des Türkentums” ein. Begleitet wurde dies durch eine türkeiweite Verleumdungs- und Hetzkampagne. Zum Prozessauftakt erschienen ultranationalistische Hooligans. Auch Hrant Dink nahm aus Solidarität an Pamuks Prozess teil. Beide wurden damals vom aufgebrachten Mob beschimpft und tätlich angegriffen.
Die Beerdigung Hrant Dinks zeigte, dass es auch eine andere Türkei gibt. An ihr beteiligten sich über hunderttausend Istanbuler, die sich mit Hrant Dink und der armenischen Minderheit solidarisierten. Obwohl viele Journalisten momentan unter Polizeischutz leben müssen, schreiben sie weiterhin mutig über die Hintergründe von Dinks Ermordung. Ismet Berkan, Nachrichtenchef der Tageszeitung Radikal, schreibt, dass Dink nie Zielscheibe geworden wäre, wenn er nicht Armenier gewesen wäre. Auch Berkan bekommt mittlerweile täglich einen Schwung Droh-E-Mails und bewegt sich nur noch mit Polizei-Eskorte. Dunkle Zeiten für mutige Journalisten.