Türkische Schriftsteller in Angst
Nach dem Mord an dem Journalisten Hrant Dink werden auch die Autoren Orhan Pamuk und Elif Safak mit dem Tode bedrohtIstanbul (n-ost) - Orhan Pamuk meidet momentan die Öffentlichkeit. Eine geplante Deutschlandreise und den Empfang der Ehrendoktorwürde der freien Universität Berlin, sagte der diesjährige Literatur-Nobelpreisträger am Montag kurzfristig ab. Pamuk fürchtet seit der Ermordung des armenisch-türkischen Journalisten Hrant Dink in Istanbul um sein Leben und gibt derzeit keine politischen Stellungnahmen mehr ab. Den Tod Dinks hatte der Schriftsteller noch so kommentiert: "Wir konnten ihn nicht schützen, (...) die türkische Politik hat der erbärmlichen Hetz und Lynchkampagne gegen Dink den Weg bereitet."Inzwischen kursiert im Internet innerhalb des Videoblogs "youtube" ein geschmackloses Video, das Hrant Dinks Ermordung feiert und die Schriftsteller Orhan Pamuk und Elif Safak als "Feinde der Türken" diffamiert. Das Video ist mit, "Türkische Rache-Brigaden" (TIT) signiert. Das ist ein Label ultranationalistischer Kreise und geht auf Terrorzellen der aus den 70er Jahren bekannten "Grauen Wölfe" zurück.
Die türkische Schriftstellerin Elif Safak bekommt Todesdrohungen. Foto: Jutta SommerbauerAuch die Zeitung Agos, deren Herausgeber Hrant Dink war, wurde von den Rache-Brigaden am 20. Januar bedroht. In einer E-mail an die Redaktion heißt es, "TIT hat genug Sprengstoff, um das ganze Gebäude von Agos in die Luft zu sprengen.", die Reaktion solle sich vorsehen, "sonst würden weitere Hunde krepieren."Mittlerweile stehen viele türkische Intellektuelle unter Polizeischutz. Auch dies wird ein Grund für Orhan Pamuk gewesen zu sein, die geplante Lesereise in Deutschland abzusagen. Lesen zwischen Leibwächtern, ein bedrückendes Bild. Durch die Ermordung Dinks angestachelt werden alte Feindbilder neu beschworen: Orhan Pamuk war in der Türkei ebenso wie Dink nach dem umstrittenen Paragraphen 301 wegen "Beleidigung des Türkentums" angeklagt und freigesprochen worden. Er hatte in einem Interview mit einer schweizer Zeitung geäußert, es seien eine Millionen Armenier auf türkischem Boden ermordet worden.Die Schriftstellerin Elif Safak wurde ebenfalls vergangenen September von dem Vorwurf freigesprochen in ihrem Roman, "der Bastard von Istanbul", in dem es um eine in Amerika lebende armenische und eine türkische Familie geht, das Türkentum beleidigt zu haben. Doch die Gerichtsverhandlungen wurden für die Angeklagten zu einem Spießrutenlaufen. Ultranationalistische Hooligans demonstrierten grölend und prügelnd vor den Gerichten. Orhan Pamuk, Elif Safak, der neue Chefredakteur von Agos, Etyen Mahcupyan, und einige weitere prominente Journalisten und Intellektuelle sind die Hauptzielscheiben der Kampagne.Gleichzeitig werden jeden Tag neue Einzelheiten des kompletten Versagens der türkischen Polizeikräfte im Mord-Fall Hrant Dink bekannt. Einer der Hintermänner des 17-jährigen Attentäters Ögün Samast aus Trabzon, der Betriebswirtschaftstudent Erhan Tuncel, entpuppt sich als V-Mann der Polizei. Er warnte die Polizei von Trabzon insgesamt viermal, dass der Mord an dem prominenten Journalisten geplant würde. Das erste Mal bereits vor einem Jahr, nachdem der katholische Priester Andrea Santoro in Trabzon ebenfalls von einem jugendlichen Täter erschossen wurde. Doch die Polizei von Trabzon überwachte weder den bekannten mumaßlichen Täterkreis, noch veranlasste die von einem geplanten Mordanschlag informierte Polizei von Istanbul Maßnahmen zum Schutze Dinks.Die türkische Öffentlichkeit ist empört. Der Druck auf die Regierung, den umstrittenen Paragraphen 301 abzuschaffen wächst. Die Satirezeitschrift Leman kritisiert diese Woche nationalistische Gewalt-Filme wie "Tal der Wölfe" als Öl auf die Wogen gewaltbereiter Nationalisten.Ende
Elif Safak (Jutta Sommerbauer)----------------------------------
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