Türkei

Der Tod einer furchtsamen Taube

Die vergangenen Freitag erschienene Ausgabe der türkisch-armenischen Wochenzeitung Agos war binnen weniger Stunden verkauft. Das gab es noch nie. Wie sehr hätte sich der am 19. Januar ermordete Herausgeber und Autor Hrant Dink über diesen Erfolg zu seinen Lebzeiten gefreut. Doch eine höhere Auflage als 5000 Exemplare erreichte Agos nie. Unverdient. Eine Woche vor seiner Ermordung veröffentlichte der türkisch-armenische Journalist dort seinen vorletzten Artikel unter der Überschrift, "Warum ich Zielscheibe wurde." Hrant Dink beschreibt darin den Anlass für das staatliche Vorgehen gegen ihn auf Grundlage des umstrittenen Paragraphen 301. Dink wurde vorgeworfen, das Türkentum beleidigt zu haben.Am 23. Februar 2004 wird Hrant Dink vom Stellvertreter des Gouverneurs von Istanbul, Ergun Güngör, zu einer Unterredung in den Amtssitz berufen. In seinem Artikel vom zwölften Januar 2007 beschreibt der Journalist, wie er dort von zwei als "Gäste" vorgestellten Personen eingeschüchtert wird. Sie verwarnen ihn, dass die Linie der Zeitung von den durchschnittlichen Bürgern auf der Straße wohlmöglich ganz falsch verstanden und zu nicht abschätzbaren Folgen führen könnten.Der Gouverneur von Istanbul, Muammer Güler, musste nach Dinks Ermordung zugeben, dass es sich bei den Männern um Mitarbeiter des Geheimdienstes handelte. Kurz nach Hrant Dinks Gespräch mit den Agenten im Sitz des Gouverneurs 2004 erhob die ultranationalistische Anwaltsvereinigung der "großen Juristen" Anklage gegen ihn wegen "Beleidigung des Türkentums." Er hatte in einem Artikel geschildert, wie sehr die Tabuisierung der Diskussion der Deportation und Ermordung von Teilen der armenischen Bevölkerung des osmanisches Reiches im Vorfeld und am Rande des ersten Weltkrieges die Demokratisierung der Türkei behindert. Er benutzt dabei die Wendung, "das vergiftete Blut der Türken" als Metapher für die durch die nationalistische Atmosphäre entstandene politische Sackgasse im Demokratisierungsprozess des Landes, kritisiert gleichzeitig aber auch die Fixierung der Armenier auf die Verfolgung in der Türkei.Trotz eines positiven Gutachtens einer philologischen Kommission wird  Hrant Dink in der Türkei als erster Journalist im Juli 2006 zu sechs Monaten Gefängnis auf Bewährung verurteilt. Im September 2006 folgt eine weitere Klage, weil er bei einem Interview mit Reuters, die Frage ob es einen Völkermord an den Armeniern gegeben hat, bejaht.


Der ermordete Journalist Hrant Dink in seinem Büro / Sabine Küper-Busch, n-ost

Am 19. Januar 2007, exakt eine Woche nach dem Erscheinen dieses, die Hintergründe seiner Probleme mit der Staatsgewalt reflektierenden Artikels, wird der Journalist vor dem Gebäude der Zeitung mit drei Schüssen in den Hinterkopf getötet. Sein Mörder ist der 17-jährige Ogün Samast aus Trabzon an der Schwarzmeerküste, der die Zeitung Agos bis dahin noch nie gelesen hat.Neben dem geständigen Ögün Samast sitzt derzeit eine ganze Gruppe von jungen Männern aus der ultranationalistischen Szene in Untersuchungshaft. Der wegen eines Sprengstoffanschlages auf ein McDonalds-Restaurant  im Oktober 2004 vorbestrafte Yasin Hayal hat zugegeben, Ögün Samast beauftragt und ihm die Waffe verschafft zu haben. Als er zur Vernehmung dem Staatsanwalt vorgeführt wird, schreit Hayal vor dem Gerichtsgebäude, "auch Orhan Pamuk" möge sich in Acht nehmen.

Die Polizei ermittelt inzwischen im Rahmen organisierter Kriminalität. Die türkische Öffentlichkeit fragt sich jedoch, wer sind die Drahtzieher hinter dieser Gruppe? Zu oft wurden jugendliche Anhänger ultranationalistischer Ideologien in der Vergangenheit für politische Morde instrumentalisiert.Die Gruppe um Ögün Samast wird seit über einer Woche vernommen. Es stellt sich heraus, dass Yasin Hayal McDonalds mit dem Sprengstoffanschlag verwarnen wollte, weil dort im Fastenmonat Ramadan während der Fastenzeit am Tage Essen verkauft wird. Verwunderlicher als diese Tatsache ist, dass Hayal zwar 2005 zu sechs Jahren Haft verurteilt, aber nach elf Monaten bereits wieder auf freien Fuß gesetzt wurde.

Die ultranationalistische Szene Trabzons erlangte bereits durch den Mord an dem katholischen Priester Andrea Santoro im Zuge der Krise um die dänischen Mohammed-Karikaturen traurige Berühmtheit. Ein Jugendlicher aus dem Spektrum wurde als Mörder festgenommen. Die Trabzoner Polizei soll seit einem Jahr in der Szene nach Hintermännern des Mordes suchen. Ergebnislos. Dabei entgeht ihr unter anderem, dass der nach dem McDonald-Anschlag vorbestrafte Yasin Hayal eine Gruppe von etwa zehn Jugendlichen aus der ultranationalistischen Szene um sich schart und sie an der Waffe ausbildet.Die von Hrant Dink zuletzt veröffentlichten Artikel deuten auf eine Vorahnung des Opfers um seine Gefahrensituation hin. Sein Freund und Mitarbeiter bei Agos, Aydin Engin, erklärt, dass Hrant Dink seit langem kontinuierlich per E-mail und am Telefon mit dem Tode bedroht wurde. Am meisten beunruhigten ihn demnach die Drohungen aus dem Umfeld eines ehemaligen Generals namens Veli Kücük.

Kücük dementierte inzwischen Hrant Dink überhaupt gekannt zu haben. Das ist jedoch unmöglich, denn zusammen mit der ultranationalistischen Anwaltsgruppe, "die großen Juristen", beantragte er am 16. März 2006 ein weiteres, von der Staatsanwaltschaft Sisli in Istanbul jedoch abgelehntes Verfahren gegen drei Journalisten von Agos, unter ihnen Hrant Dink. Auffällig ist, dass Ex-General Veli Kücüks letzte Dienststelle als General in Giresun an der Schwarzmeerküste war. Dort sollte er Anti-Terror-Einheiten gegen die PKK ausbilden. In den Neunziger Jahren stand er in Verbindung mit einem Teil der Armee, die im Namen des Ant-Terror-Kampf auch Attentäter und Todesschwadronen einsetzten.

In einem Interview äußerte Dink Ende September 2006, "es gibt einen Block innerhalb der Staatsbürokratie, der mich als besondere Zielscheibe auserwählt hat. Ich weiß nicht, ob sie von mir ablassen werden."  Er vermutete dahinter den Versuch eines ultrakonservativen Teils der Staatsbürokratie die eigene Macht zu erhalten. Ihre größte Spielkarte sei immer der Nationalismus, sagte Dink damals.Das hat tatsächlich traurige Tradition in der Türkei. In den Siebziger Jahren wurden die Jugendorganisationen der ultrakonservativen Grauen Wölfe von verdeckt vorgehenden staatlichen Stellen auf die erstarkende Linke geleitet. Die eskalierende Gewalt mündete in den Militärputsch von 1980. In den Neunzigern wurden Teile der Todesschwadronen der Grauen Wölfe aus den Siebzigern rehabilitiert und als Agenten des Staates vor allem gegen Linke und Kurden eingesetzt.

Am 19. Januar, dem Tag seines Todes, erschien Hrant Dinks letzter Artikel. Er beschreibt sich darin als furchtsamen Taube, die vor Angst ständig um sich blickt. Und er hofft, dass in seiner Heimat die Menschen Tauben nichts antun. Ob die Zusammenhänge dieses Mordes restlos aufgeklärt werden, wagt man kaum zu hoffen.


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