Tschechien

Tschechien beendet Regierungskrise

Regierung Topolánek besteht Vertrauensabstimmung

Berlin (n-ost) – Mehr als sieben Monate nach der Parlamentswahl hat Tschechien wieder eine funktionstüchtige Regierung. Das Kabinett des konservativen Premiers Mirek Topolánek sicherte sich die notwendige Mehrheit mit Hilfe von zwei abtrünnigen Sozialdemokraten. Mit ihrer Hilfe will sie nun wichtige Reformen durchsetzen und bis zur tschechischen EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2009 regieren.
In Tschechien ging Ende vergangener Woche ein monatelanges Tauziehen zu Ende. Mit knapper Mehrheit gewann die Regierung des Premierministers Mirek Topolánek die Vertrauensabstimmung im Parlament. Mehr als sieben Monate nach der Parlamentswahl erhält Tschechien damit eine funktionsfähige Regierung. Für die Regierungskoalition aus der liberalkonservativen Bürgerpartei ODS, der christdemokratischen KDU-ČSL und den Grünen stimmten alle 100 Abgeordneten der Regierungsfraktionen. 97 Abgeordnete der oppositionellen Sozialdemokraten (ČSSD) und Kommunisten (KSČM) stimmten gegen die Regierung. Drei sozialdemokratische Abgeordnete enthielten sich der Stimme. Damit wurde das seit den Wahlen im Juni vergangenen Jahres andauernde Patt zwischen den beiden großen politischen Lagern in Tschechien durchbrochen.
Noch in der vergangenen Woche hatten die Sozialdemokraten unter ihrem ehrgeizigen Chef Jiří Paroubek bei Verhandlungen vor laufenden Kameras abgelehnt die Regierung zu unterstützen. Beobachter verwiesen zudem auf die zunehmende Kritik innerhalb der ODS und sahen das baldige Ende von Topolánek voraus. Dieser hatte seinen Posten als Parteichef für den Fall zur Disposition gestellt, dass seine Regierung nicht das Vertrauen erhält. In den Startlöchern saß bereits sein Gegenspieler, der Prager Bürgermeister Pavel Bém, der auch das Vertrauen des Staatspräsidenten Václav Klaus besitzt. Bém favorisierte eine Große Koalition aus ODS und der ČSSD von Paroubek, mit dem er lange Zeit gemeinsam in Prag regiert hatte.
Für die Wende zugunsten von Topolánek sorgten die beiden abtrünnigen sozialdemokratischen Abgeordneten Miloš Melčák und Michal Pohanka. Melčák und Pohanka verließen bei der entscheidenden Abstimmung den Sitzungssaal und verhalfen so der Koalition zur nötigen Mehrheit. Beide Abgeordnete waren bereits vor längerem aus der ČSSD-Fraktion ausgetreten. Grund war ihre Kritik an dem autoritären Führungsstil von Parteichef Paroubek. Beobachter vermuten jedoch den früheren Parteivorsitzenden und Premierminister Miloš Zeman als den eigentlichen Drahtzieher. Dieser hatte wiederholt seine Partei aufgefordert, in die Opposition zu gehen und von da aus die ODS anzugreifen. Seine Kritik an Paroubek brachte Zeman dabei zuletzt immer unverhohlener zum Ausdruck.
Es bleibt abzuwarten, was die neue Regierung mit dem Vertrauen anfangen kann. Die Koalition hat ihr Schicksal mit der Umsetzung dringend notwendiger Reformen verbunden. Auf dem Programm steht nicht weniger als die Sanierung der Staatsfinanzen, eine Steuerreform zur Absenkung der Abgabenlast und die lang erwartete Rentenreform. Es ist zu erwarten, dass jede Verabschiedung dieser Gesetze zu einer neuerlichen Vertrauensabstimmung wird. Grünen-Chef Martin Bursík, der zugleich neuer Umweltminister ist, sieht in der Unterstützung durch die beiden abtrünnigen Sozialdemokraten jedoch eine langfristigere Perspektive. Noch am Freitagmorgen hatten beide Seiten einen Vertrag unterzeichnet, in dem die Bedingungen der Regierungstolerierung festlegt sind. „Ich denke, das hat größeres Gewicht und ist eine gewisse Absicherung, dass ihre Unterstützung keine einmalige Angelegenheit bleibt“, so Bursík gegenüber den Medien.
Beobachter stimmen darüber ein, dass die neue Regierung sicher nicht die gesamte Legislaturperiode hindurch halten wird. Als Orientierungspunkt gilt die tschechische EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2009, die durch eine stabile tschechische Regierung geführt werden soll. Spätestens danach könnte die Regierung wanken. Bis dahin müssen sich die Parlamentarier auf ein neues Wahlgesetz geeinigt haben, das zumindest eine ungerade Zahl der Abgeordneten vorsieht.
KOMMENTARRegierung von Zemans GnadenDass die beiden schillernden Figuren der Nachwendezeit, die ehemaligen Vorsitzenden von ODS und ČSSD, Václav Klaus und Miloš Zeman, immer noch einen großen Einfluss auf die tschechische Politik haben, konnte lehrbuchmäßig in den vergangenen Monaten beobachtet werden. Beide haben sich eifrig darum bemüht, ihren ungeliebten Nachfolgern im Parteiamt Steine in den Weg zu legen. Erst nominierte Staatspräsident Klaus Mirek Topolánek ein zweites Mal zum Premier, nachdem dessen Minderheitskabinett Anfang Oktober kein Vertrauen erhielt. Damit zwang er Topolánek zum Erfolg und zugleich zu Verhandlungen um eine Große Koalition. Diese galt als die Wunschkoalition des Strategen Klaus, der sich damit seine glatte Wiederwahl 2008 sichern wollte. Jedoch die starke Aversion innerhalb der ODS gegen eine Neuauflage des so genannten Oppositionsvertrags, als Klaus und Zeman zwischen 1998 und 2002 gemeinsame Sache machten, vereitelte das Vorhaben. Eine Mehrheit der ODS drängte Topolánek zu einer Koalition mit den Juniorpartnern KDU-ČSL und Grünen.
Danach verzögerte Klaus die Ernennung der Regierung und gab so gleichzeitig seinem Ziehkind und Topolánek-Rivalen Pavel Bém die Möglichkeit zu einer scharfen Attacke auf den Parteichef. Schon sah es so aus, als ob sich Topolánek nicht mal mehr seiner eigenen Stimmen sicher sein konnte. Da schlug die Stunde des Miloš Zeman. Dieser hat sowieso noch eine Rechnung mit dem alten Verbündeten Klaus offen. Klaus bezwang Zeman vor vier Jahren bei der Präsidentschaftswahl. Dass die beiden abtrünnigen Sozialdemokraten Miroslav Melčák und Michal Pohanka alles andere als Freunde eines liberal-konservativ-grünen Kabinetts sondern vielmehr enge Parteigänger von Zeman sind, ist ein offenes Geheimnis. Möglicherweise hat sich Zeman mit dem Schachzug eine erste Tür geöffnet, doch noch den erträumten Präsidentenjob zu erhalten. Mit der Niederlage bei der Vertrauensabstimmung könnte die bisher unerschütterliche Position von Paroubek in der Sozialdemokratie ins Wanken geraten. Wenn die Zeman-Anhänger die Oberhand gewinnen und die Regierungskoalition zugleich im kommenden Jahr nicht vergisst, wer ihr das Regieren ermöglicht hat, könnte der nächste tschechische Präsident Miloš Zeman heißen.*** ENDE ***--------------------------------
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Steffen Neumann
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