Polen

Kontroverse um US-Raketen-Schutzschild

Washington bittet Warschau und Prag offiziell um Bauerlaubnis – Moskau protestiert
Warschau (n-ost) – Seit Monaten wird in Polen und Tschechen über die Stationierung von US-Truppen zum Aufbau eines Raketenschutzschildes diskutiert. Nun steigt der Druck: Bei den Regierungen in Warschau und Prag ging in den vergangenen Tagen nun eine offizielle Anfrage aus Washington ein. Die US-Anfrage provozierte prompt scharfe Kritik aus Moskau. „Die Einrichtung eines solchen amerikanischen Stützpunktes schafft eine eindeutige Bedrohung für Russland“, warnte am Montag der Befehlshaber der russischen Weltraumtruppen, Generaloberst Wladimir Popowkin.Die US-Regierung will in Polen Abfangraketen stationieren und in Tschechien eine dazugehörige Radaranlage errichten. Die genauen Standorte und weitere Einzelheiten sind aber noch nicht bekannt. Bisher stehen Anlagen für das amerikanische Raketen-Schutzschild nur in Alaska und Kalifornien. Das Abwehrsystem „stärke die Sicherheit des vereinten Europa wesentlich“, warb der Unterstaatssekretär für Europaangelegenheiten im US-Außenministerium, Daniel Fried, am Montag in der Warschauer Zeitung „Rzeczpospolita“ um Zustimmung. Gleichzeitig versicherte er: „Das Raketen-Abwehrsystem richtet sich nicht gegen Russland.“ Offiziell soll es vor iranischen und nordkoreanischen Atomraketen schützen.Schon bei ihrem Amtsantritt im November 2005 hatte die rechtskonservative polnische Regierung ihr grundsätzliches Interesse an den US-Raketen bekundet. Zu formellen Gesprächen darüber kam es aber nie - auch nicht beim Washington-Besuch von Premierminister Jaroslaw Kaczynski im vergangenen September. Offenbar wollten sich beide Seiten eine starke Verhandlungsposition sichern und deshalb nicht selbst die Initiative ergreifen.Verteidigungsminister Radoslaw Sikorski, der auch die amerikanische Staatsangehörigkeit besitzt, meinte nun: „Wenn ein wichtiger Verbündeter uns um Gespräche ersucht, dann müssen diese aufgenommen werden.“ Das Raketenabwehrsystem ist jedoch in Polen sehr unpopulär. Im vergangenen August lehnten in einer Umfrage fast Zwei-Drittel der Befragten ein das Projekt ab. Nur 23 Prozent befürworteten es.Auch Zwei-Drittel der Tschechen sprachen sich in einer Umfrage im Auftrag des Prager Außenministeriums gegen US-Raketenbasen in ihrem Land aus. Fast 60 Prozent der Befragten haben allerdings nichts dagegen, wenn die Amerikaner in Tschechien ein Radarsystem zur Raketenabwehr aufbauen würden. Der neue konservative tschechische Premierminister Mirek Topolanek macht sich denn auch für die Radaranlage stark.
Drohender Konflikt in der polnischen RegierungIn der polnischen Drei-Parteien-Koalition dürfte es indes Widerstand gegen die US-Raketen geben. Lediglich die Partei Recht und Gerechtigkeit von Premier Kaczynski sympathisiert mit dem amerikanischen Vorschlag. Die Samoobrona (Selbstverteidigung) und die Liga Polnischer Familien kritisierten dagegen mehrmals den Irakkrieg der USA. Die größte Oppositionspartei, die rechtsliberale Bürgerplattform, ist jedoch offen für die Pläne Washingtons.Auch polnische Militärs bezweifeln den Sinn des US-Raketenschutzschilds. „Die Errichtung dieser Anlage in Polen schafft zweifellos ein zusätzliches Risiko“, erklärte Exgeneral Stanislaw Koziej, der bis vergangenen Sommer Vizeverteidigungsminister war. „Die Raketenbasis kann zum Angriffsziel für andere Staaten oder Terrororganisationen werden.“Wettrüsten drohtSelbst ein Wettrüsten scheint nicht ganz ausgeschlossen. Im vergangenen Herbst antwortete Russland auf den Kauf von 48 US-Kampfjets durch Polen mit der Stationierung von Luftabwehr-Raketen vom Typ S-300 in Weißrussland, direkt an der Grenze zu Polen. Ein Sprecher des Moskauer Außenministeriums hatte Polen im Oktober gewarnt, Teile eines Raketenabwehrsystems der USA auf seinem Territorium zu installieren. In diesem Fall werde Moskau „geeignete Maßnahmen“ ergreifen.Deshalb ist auch der erste tschechoslowakische Außenminister nach der Wende 1989, Jiri Dienstbier, gegen eine US-Raketenabwehrbasis auf tschechischem Boden: „Wir sollten in einer ohnehin schon ziemlich labilen Welt nicht wieder in ein Wettrüsten verfallen.“Ende-------------------------------------------------------
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Oliver Hinz
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