Schmutzige Hintergründe von Hrant Dinks Ermordung
Literatur-Nobelpreisträger Orhan Pamuk fand am Wochende harsche Worte für die türkische Regierung und die Gerichte des Landes. Von „überkommenem Nationalismus und Lynchjustiz” sei das Klima um den am Freitag ermordeten armenisch-türkischen Journalisten Hrant Dink wissentlich geprägt worden. Pamuk war genau wie Dink der „Beleidigung des Türkentums” beschuldigt und angeklagt worden. Hrant Dink war als erster Journalist im Juli 2006 nach dem umstrittenen Paragraphen 301 wegen „Beleidigung des Türkentums” zu sechs Monaten Gefängnis auf Bewährung verurteilt worden.
Der couragierte türkische Staatsbürger armenischer Herkunft hatte die Tränen nicht zurückhalten können, als er nach der Urteilsverkündung im türkischen Fernsehen interviewt wurde. Er verstand sich als Bürger der Türkei. Die Verurteilung gründete sich auf einen Artikel, in dem Hrant Dink schilderte, wie sehr die Tabuisierung der Diskussion der Deportation und Ermordung von Teilen der armenischen Bevölkerung des osmanisches Reiches im Vorfeld und am Rande des ersten Weltkrieges die Demokratisierung der Türkei behindert. Er benutzte dabei die Wendung, „das vergiftete Blut der Türken“ als Metapher für die durch die nationalistische Atmosphäre entstandene politische Sackgasse im Demokratisierungsprozess des Landes.
Diese Passage aus einem Leitartikel der türkisch-armenischen Zeitung Agos, deren Herausgeber Dink war, wurde im Anschluss immer wieder aus dem Zusammenhang gerissen und in türkischen Medien zitiert. Der mutmaßliche, geständige Täter Ögün Samast, ein siebzehnjähriger Arbeitsloser, sagte bei der Begehung des Tatortes, „der Armenier hat gesagt, die Türken haben schmutziges Blut, deswegen habe ich ihn erschossen.”
Der ermordete Journalist Hrant Dink / Sabine Küper-Büsch, n-ost
Auch wenn Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan momentan dazu neigt, das Attentat als Schüsse dunkler Mächte zur Sabotage des Entwicklungsprozesses der gesamte Türkei zu sehen, bleibt es doch nur eine einzige Person, die ihr Leben verloren hat: Hrant Dink. Noch ist es zu früh, Hintermänner zu nennen. Doch es gibt alarmierende Einzelheiten aus der nahen Vergangenheit, die diesen Mord ankündigten. Dink selbst lehnte nach Angaben seines Bruders Isa Polizeischutz ab. Aber er wurde bereits seit zweieinhalb Jahren bedroht.
Die Familie ist momentan verstört und verbittert. Zu verlieren hat sie nichts mehr. Isa Dink berichtet davon, dass der Alptraum von Drohungen, Anklage, Verurteilung, Anfeindungen und letztlich der Mord mit einem Termin beim stellvertretenden Gouverneur von İstanbul begann. Hrant Dink wurde zum Sitz des Gouverneurs zitiert, einen Umstand, den er bereits sehr merkwürdig fand. Der stellvertretende Gouverneur glänzte beim folgenden Gespräch durch tiefe Schweigsamkeit. An seiner Stelle machten zwei als Gäste vorgestellte Männer Dink unmissverständlich klar, dass er große Schwierigkeiten bekäme, wenn er weiterhin so unvorsichtige Artikel schreibe. Der Gouverneur von Istanbul, Muammer Güler, räumte am Wochenende mit dem Kommentar, die Männer seien „Geheimdienstmitarbeiter“ gewesen, ein, dass ein derartiges Einschüchterungsgespräch tatsächlich stattgefunden hat.
Kurz nach dem Gespräch wurde Dink der „Beleidigung des Türkentums“ angeklagt. Nun bleibt abzuwarten, ob die Ermittlungen bezüglich des Mordes auf das direkte Umfeld des festgenommenen Ögün Samast beschränkt bleiben. In dessen Heimatstadt Trabzon an der Schwarzmeerküste kam es in den vergangenen Jahren zu mehreren nationalistisch motivierten Gewalttaten. Die Person, die Samast die Tatwaffe gegeben haben soll, legte 2004 in einer Filiale von McDonalds einen Sprengsatz. In Trabzon wurde am 5. Februar 2006 auch der katholische Priester Andrea Santoro erschossen, damals in Folge des von einer dänischen Zeitung ausgelösten Karrikaturenstreits. Täter war damals ein 16-Jähriger. Die Hintermänner sind bis heute nicht gefunden.