Der König der rumänischen Roma
Florin Cioaba residiert in einem Vorort von Sibiu/Hermannstadt, der europäischen Kulturhauptstadt 2007Sibiu (n-ost) – In Europa leben schätzungsweise zwölf Millionen Roma. Das sind mehr Menschen, als etwa in den EU-Mitgliedsländern Tschechien oder Österreich leben. Durch den EU-Beitritt Bulgariens und Rumäniens gewinnen die Roma auch in Brüssel mehr Gewicht. In einem Vorort von Sibiu (Hermannstadt), der europäischen Kulturhauptstadt 2007, residiert der „König der Roma“ Florin Cioaba. Er bemüht sich, die zersplitterten Roma-Stämme zu einen und politisch zu vertreten. Der Titel, sagt Cioaba, sei ihm vom Vater vererbt worden, der bereits in kommunistischer Zeit bei den Roma als wichtigster Ansprechpartner des Staates fungierte. Im Gespräch mit n-ost-Korrespondentin Brigitta Gabrin verteidigt Ciobaba die jahrhundertealte Tradition der Roma, ihre Töchter bereits im Kindesalter zu verheiraten, präsentiert sich gleichzeitig aber ausgesprochen modern. Die EU sieht er als große Chance für sein Volk.Frage: Wie sind Sie zu dem Titel „Internationaler König der Roma“ gekommen?Cioaba: Die Familie Cioaba führt schon seit etlichen Generationen das Volk der Roma an und wird von diesem auch anerkannt. Mein Opa brachte die Holocaust-Überlebenden von Transnistrien zurück nach Rumänien und hat sich um sie gekümmert. In den 60er Jahren hat mein Vater, Ion Cioaba, versucht, die Roma auf nationaler und internationaler Ebene in die Gesellschaft zu integrieren. Er wirkte bei der Entstehung der Internationalen Romani Union mit, war beim ersten Romani Kongress 1971 in London dabei, zusammen mit dem bekannten Schauspieler Yul Brynner und Roma Delegierten aus 14 Staaten. Sogar Ceausescu hat ihn als einzigen Vertreter der Roma anerkannt. Und Anfang der Neunziger, als sich in Rumänien schon langsam die Demokratie etablierte, wollten die Roma einen König haben der sie repräsentieren und für ihre Rechte kämpfen sollte: Da ließ sich mein Vater von „Bulibascha“, was auf Romanes Anführer heißt, zum König umbenennen. 1995 gründete er die Demokratische Allianz Partei, die sich für die Minderheitenrechte der Roma einsetzt und nach seinem Tod 1997, habe ich den Titel des Internationalen Königs der Roma geerbt.Frage: Was könnte sich durch den EU-Beitritt Rumäniens für ihr Volk ändern?Cioaba: Schon seit 2000 verändert die EU das Schicksal der Roma in Europa. Dank der finnischen Präsidentin Halonen haben wir unser eigenes Forum, das 2004 gegründete European Roma and Travellers Forum. Das ist eine Art Miniparlament, dem ich als Vizepräsident der Romani Union natürlich auch angehöre. Wenn man bedenkt, dass in Europa etwa zwölf Millionen Roma leben, kann man fast nicht mehr über eine Minderheit sprechen, sondern über ein Volk. Aber egal wie man uns nennt, man muss uns dabei helfen, uns vor allem in den ehemalige Ostblockstaaten in die Gesellschaft zu integrieren. Es hat schon eine Menge von Hilfsmaßnahmen gegeben und viele waren erfolgreich. Für mich persönlich bedeutet die EU einen neuen Weg und eine neue Hoffnung. Es kann nicht sein, dass ein großes, vereinigtes und reiches Europa die Roma abseits und in Armut leben lässt.Frage: Wo genau brauchen Roma am schnellsten Hilfe? Cioaba: Bei sozialen Problemen und was ihre Diskriminierung betrifft. Kein einziger europäischer Staat hat eine für Roma diskriminierende Gesetzgebung, aber im Alltag und auch lokalpolitisch werden wir diskriminiert. Laut letztem EU-Bericht sogar mit steigender Tendenz. Das macht mir Sorgen, genau wie die gesundheitliche Versorgung und die Wohnsituation der Roma. Dort muss dringend was passieren.Frage: Welche konkreten Forderungen haben Sie?Cioaba: Jedes europäische Land verfolgt eigene Strategien. Auch in Rumänien gibt es eine, zum Teil ist sie umgesetzt, an einigen Grundschulen und an einer Bukarester Universität wird Romanes unterrichtet. Aber oft werden die von der EU angebotenen Programme nicht realisiert. Nicht von den Schulen und auch nicht von den Verwaltungen, denn wenn man Hilfsprogramme für Roma startet, macht man sich bei der Mehrheitsbevölkerung nicht gerade beliebt.Frage: Die rumänische Mehrheitsbevölkerung beklagt, dass ihre Sitten nicht mit denen einer modernen EU kompatibel seien, zum Beispiel bei der Zwangsheirat Minderjähriger.Cioaba: Wir wollen doch mal festhalten, dass es unsere Tradition schon seit Jahrtausenden gibt. Im Vergleich dazu ist die Europäische Union sehr jung! Und nur dadurch, dass unsere Vorfahren so eisern an ihr festgehalten haben, konnten wir bis jetzt unsere Identität behalten. Jetzt wo wir uns in einem neuen Jahrtausend und neuerdings auch in der EU befinden, muss sich natürlich einiges ändern, damit bin ich völlig einverstanden. Aber ich will keine Assimilierung, sondern eben nur eine Integration. Sie haben Recht, viele unserer Bräuche passen nicht mehr zu den Wertevorstellungen der heutigen Zeit. Aber der Wechsel darf nicht brüsk und nicht mit der Polizei vor der Tür stattfinden, er muss aus dem Inneren der Gemeinschaft herauskommen. Unsere jungen Leute leben ja schon ganz anders als wir. Und gerade zum Thema Heirat Minderjähriger gab es schon Aufklärungskampagnen, die Familien wurden für die Problematik sensibilisiert und viele haben verstanden, dass man die Kinder nicht ganz so blutjung verheiraten sollte.Frage: Sie selbst mussten sich persönlich vor dem Europa-Parlament verantworten, als sie ihre 13-jährige Tochter Ana Maria verheiratet haben.Cioaba: Mein Fall war etwas delikater. Die BBC hatte gelogen, als sie berichtete, meine Tochter sei zur Heirat durch Schläge und Drohungen gezwungen worden. Und als Frau Nicholson (Emma Nicholson - EU-Parlamentarierin und Referentin für Rumänien) meiner Tochter zu Hilfe geeilt ist, war das korrekt. Das ist ihre Funktion. Aber als ich ihr erzählte, dass eine Jahrhunderte alte Tradition von uns Roma verlangt, unsere Töchter schon in diesem Alter zu verheiraten, hat sie es verstanden und ich hatte auch was verstanden. Meine Tochter wurde von ihrem Bräutigam wieder getrennt und erst als sie 15 war, haben sie erneut geheiratet, das ist erlaubt.Frage: Wie wollen sie es schaffen, die unterschiedlichen Interessen der verschiedenen Stämme ihres Volkes unter einen Hut zu bringen?Cioaba: Das ist meine größte Sorge. Die Interessen der Roma waren immer schon unterschiedlich und das hat sich im demokratischen Rumänien verstärkt. Nicht nur bei uns, auch in der rumänischen Mehrheitsbevölkerung; jeder hat seine Art zu denken, seine eigene Doktrin. Als mein Vater direkt nach der Revolution die Roma Union gegründet hat, sind ihr am Anfang alle beigetreten. Aber schon einige Monate später haben sich welche in anderen Parteien oder Vereinen abgesondert und heute, 16 Jahre später, zählen wir über 250 Roma-Organisationen in unserem Land. Gerade versuche ich eine einheitliche Repräsentanz der Roma zu organisieren. Aber mir ist klar, dass sie höchstens bis zu den nächsten Wahlen halten wird! Aber so soll es sein. In einer Demokratie soll jeder seine eigene Meinung haben dürfen!Frage: In Rumänien gibt es zwei unterschiedliche Vorschläge für eine Integration der Roma. Die einen fordern eine Stärkung dieser ethnischen Minderheit durch eigene Schulen. Die anderen wünschen sich, dass die Roma genauso behandelt werden, wie die Rumänen. Welche Meinung vertreten Sie?Cioaba: Im Vergleich zu früher sind Roma schon gut in der rumänischen Gesellschaft integriert. Wir haben Universitätsprofessoren, haben unsere Zeitungen, unsere Vertreter in der Regierung. Was uns fehlt, sind passende Arbeitsplätze. Von der Europäischen Union brauchen die Roma nicht irgendwelche Gelder oder theoretische Integrationsprogramme, sondern Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Es fehlen Arbeitsplätze, auf denen Roma ihren Jahrhunderte alten Berufen nachgehen können. Meine Vision ist, dass Kesselflicker die Möglichkeit bekommen, sich zu den besten Kupferverarbeitern weltweit zu entwickeln, ebenso die Silber und Goldschmiede. Meiner Meinung nach muss man dem Menschen eine Angel geben. Gibst du ihm einen Fisch, wird er darauf warten, dass er noch mehr bekommt. Gibst du ihm eine Angel, fängt er sich selbst welche.
FEATUREZu Besuch beim König der RomaSibiu (n-ost) - Die Vorderfront des königlichen Wohnsitzes könnte einen frischen Anstrich gut vertragen, aber er würde sich nicht lohnen: ein Großteil des Nord-Südverkehrs in Rumänien braust nur zwei Meter daran vorbei und hinterlässt bei Regengüssen heftige Spritzer auf der Fassade. Zunächst ist hier wenig so, wie man es bei einem König erwarten würde: das schmucklose Gittertor ist nur angelehnt, jeder kann nach Belieben hereinspazieren und erst am Ende des Hofes wird es langsam „königlich“. Türmchen und Giebel schmücken das Haupthaus, zwischen Obstbäumen steht ein eleganter kleiner Pavillon. Hier in Turnisor/Neppendorf, einem Vorort der diesjährigen europäischen Kulturhauptstadt Sibiu/Hermannstadt, wohnen die Cioabas bereits seit den 70er Jahren. Hinter vorgehaltener Hand erzählten sich damals die Nachbarn, beim „ Bulibascha“ (Roma-Anführer) gäbe es mitten in der guten Stube ein Lagerfeuer und drum herum säßen die Zigeuner auf dem blanken Zementboden!Das Spanferkel, das jetzt auf der langen, edel gedeckten Tafel serviert wird, wurde auf jeden Fall wo anders gegrillt, denn die weißen Marmorfliesen im Esszimmer sind makellos. Der Anzug von Florin Cioaba ist schwarz und aus sehr gutem Zwirn. Mit höflichem aber gelangweiltem Gesichtsausdruck verneint der große, korpulente Mann vermutlich zum hundertsten Mal, ein selbsternannter König zu sein. Diesen Titel habe sich sein Volk nach dem Sturz des sozialistischen Regimes in Rumänien gewünscht, und internationaler Ansprechpartner der Roma sei seine Familie schon mindestens in vierter Generation. Er erwähnt nicht, dass viele Roma außerhalb seines Stammes, ihn nicht anerkennen. Cioaba gehört zu den „Caldarari“(Kesselflickern), einer von insgesamt 17 nach Berufen organisierten „Kasten“ der in Rumänien lebenden Roma. Seine Schwester, die Schriftstellerin und Filmemacherin Luminita Mihai Cioaba ist aus ihrer bescheidenen Blockwohnung auf der gegenüberliegenden Straßenseite herübergekommen. Die beiden erinnern sich voller Bewunderung an ihren Vater. „Er war ein Wegbereiter für unser Volk“, sagt sie, „hat uns von Nomaden zu sesshaften Menschen gemacht. Er war der erste, der sich ein Haus gebaut hat, als erster hat er seine Kinder zur Schule geschickt und er war der erste, der einen Führerschein gemacht hat. Zum Schluss fuhr er einen Cadillac.“
Der Roma-König Florin Cioaba mit seiner Schwester. Foto: Brigitta Gabrin
Der Fuhrpark des aktuellen Roma-Königs umfasst ein paar Mercedes und einige BMWs. Er fährt sie nicht alleine, von seinen vier Töchtern und zwei Söhnen wohnen einige mit ihren Familien auf dem Hof. Im Sommer planschen sie alle gemeinsam im kleinen Swimming-Pool. Jetzt steht ein überdimensionaler Schneemann aus Plastik am Beckenrand und leuchtet in der Nacht. Während im Hintergrund auf einem überdimensionale Flachbildschirm rund um die Uhr ein Nachrichtensender läuft, erzählt König Cioaba stolz, dass sein Bild zu Jahresanfang tagelang in den Medien war: Er, Champagner trinkend, mit dem rumänischen Präsidenten bei der Eröffnung des Kulturhauptstadtjahres von Hermannstadt. Sowohl die Regierung in Bukarest als auch der Bürgermeister von Hermannstadt seien kooperativ, wenn es um Belange der Roma ginge, betont er. Seine Schwester Luminita kann dies als Präsidentin der nach ihrem Vater benannten Kulturstiftung „Ion Cioaba“ nicht unbedingt bestätigen. Ihre Vorschläge für das Programm im Jahr der Kulturhauptstadt wurden abgelehnt. Nun wird sie parallel zum offiziellen Programm selbst finanzierte Konzerte, Lesungen und Filmvorführungen der Roma anbieten, denn solche kommen im offiziellen Programm so gut wie nicht vor. Für die Anerkennung ihres Volkes in der Gesellschaft kämpft Luminita Cioaba mit vielen Mitteln.
„Ich habe bei offiziellen Empfängen und Veranstaltungen der Stadt nicht zufällig diesen traditionellen bunten langen Rock an, bei mir akzeptieren ihn die Rumänen viel eher als wenn ihn eine Zigeunerin trägt die Kürbiskerne verkauft.“ Florin Cioaba sieht das weniger kritisch. Lobend erwähnt er die „Strategien zur Verbesserung der Situation der Roma“, ein Programm des rumänischen Staates in Zusammenarbeit mit der Roma-Partei und mehreren Nichtregierungsorganisationen. Finanziell unterstützt von der EU werde damit zum Beispiel seit einigen Jahren die Schule für Romakinder attraktiver gemacht. Die deutsche Romanistin Esther Quiker, die einige Zeit mit den Roma in Rumänien gelebt hat, bestätigt einige Fortschritte etwa im Bildungsbereich, bemängelt aber, dass viel zu wenige der Strategien auch tatsächlich realisiert werden, weil es Spannungen zwischen der Roma-Partei und den Nichtregierungsorganisationen gebe. Die Gäste des Königs werden laut und lustig, obwohl sie nur Limo trinken. Seit die Cioabas der Pfingstlergemeinde angehören, wird in ihrem Haus kein Alkohol serviert, auch nicht aus der hauseigenen Brauerei, die mit zu der Holding gehört, die den 52-Jährigen zu einem der reichsten Männer der Stadt machen. Seine gute Laune wird durch eine Nachricht im Fernsehen getrübt: in einigen Dörfern hat es wieder einmal Ärger mit Roma gegeben, die ihre 12-jährigen Töchter verheiraten. Er kennt den Konflikt. Als er 2003 seine damals 13-jährige Tochter Ana Maria mit dem 15-jährigen Mihai Birita verheiratete, brachte die EU-Parlamentarierin und Referentin für Rumänien Emma Nicholson den Fall vors EU-Parlament und forderte ihn auf die Ehe sofort zu annullieren. Sie drohte notfalls, die Tochter in ein Kinderheim einzuweisen. „Das war korrekt“, sagt König Cioaba heute dazu, „sie ist meiner Tochter zu Hilfe geeilt, das ist ihre Funktion.“Cioaba leitete die Scheidung seiner Tochter ein und als sie fünfzehn wurde, verheiratete er sie aufs Neue. Das erlaubt die rumänische Gesetzgebung unter der Voraussetzung, dass die jungen „Eheleute“ bis zur Erfüllung ihres 16. Lebensjahres unter der Obhut der Eltern leben.
Das Verändern von jahrhundertealten Traditionen ginge aber nicht mit dem Brecheisen, sagt Cioaba. Es müsse langsam und aus der Roma-Gemeinschaft heraus kommen.Gerade bei so traditionellen Roma-Stämmen, wie dem der Kesselflicker, sei das ein sehr langer Weg, schätzt die Romaforscherin Quicker, und erzählt was ein Roma-Mädchen ihr sagte: „Bei uns bist du mit 13 eine alte Jungfer, wenn du noch nicht verheiratet bist, aber mir ist das egal, ich will lieber länger in die Schule gehen und eine gute Ausbildung machen“ Da seien dann Mediatoren gefragt die zwischen Eltern und Kindern vermitteln und Beratungsstellen von denen es mittlerweile einige gibt. „Dank der EU“ sagt Florin Cioaba und strafft seine Schultern auf eine Art die verrät, dass er den schwarzen Gürtel im Judo hat.Cioaba setzt große Hoffnungen in die Europäische Union, der Rumänien seit 1. Januar angehört. Diese solle den Roma Hilfe zur Selbsthilfe geben: „Meiner Meinung nach muss man dem Menschen eine Angel geben. Gibst du ihm einen Fisch, wird er darauf warten, dass er noch mehr bekommt. Gibst du ihm eine Angel, fängt er sich selbst welche.“*** Ende ***----------------------------------------
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