"Traum eines verrückten Zuckerbäckers"
Der Warschauer Kulturpalast soll vor dem Bauboom in der Hauptstadt geschützt werdenWARSCHAU (n-ost). Das kulturelle Zentrum Warschaus steht dort, wo es hingehört: In der Stadtmitte durchsticht der Kulturpalast im Stile des „Empire State Building“ wie ein Zeigefinger den Nebel und ragt 227 Meter weit in den grauen polnischen Himmel. Er schenkt Einheimischen wie Besuchern wertvolle Orientierung und ist der Metropole ein Wahrzeichen, deren zerfurchtes Gesicht nach dem Krieg mit betoniertem Einheitsbrei aufgefüllt wurde. Und nun bedroht ihn die Moderne. Denn als der Sozialismus ging, kam das Glas der Hotels und Banken, das Intercontinental, das Marriott. Schon wer aus dem Zug steigt, kann das Glas wachsen sehen. Gleich hinter dem Zentralbahnhof, dem Kulturpalast gegenüber, entsteht in diesen Tagen das riesige Business- und Einkaufscenter Center „Goldene Terrassen“, dessen futuristische - von einer deutschen Firma gefertigte - geschwungene Glasfassade wie flüssige Lava in Richtung Kulturpalast zu wabern scheint.
Kulturpalast mit Bankgebäude im Vordergrund. Foto: Andreas MetzDer steht trotzig da: Aus 50.000 Tonnen Ziegelsteinen, 50.000 Tonnen Beton und 16.000 Tonnen Stahl, die von 16.000 Arbeitern auf Geheiß des sowjetischen Diktators Stalin zu einem Freundschaftsgeschenk an das sozialistische Polen fertig gebacken wurden. Der Volksmund nennt ihn den „Traum eines verrückten Zuckerbäckers“. Im vergangenen Jahr feierte er sein halbes Jahrhundert. Und nun also der Ruf, den Kulturpalast unter Denkmalschutz zu stellen: Der Warschauer Verband „Fürsorge der Denkmäler“ hat einen Plan erstellt, das gesamte Ensemble samt eines angrenzenden Viertels zu schützen. Der Plan hat eine kontroverse Debatte ausgelöst. Alt gegen Jung, wie es scheint: Der bekannte 80-jährige Warschauer Architekturprofessor Michal Witwicki ist strikt dagegen, „weil der Palast ein Symbol der politisch motivierten Russifikation ist und eine Kopie der sowjetischen Kulturpaläste in Moskau, deren Architektur für Warschau fremd ist“. Weniger ideologisch argumentiert dessen jüngerer Kollege, der 39-jährige Krzysztof Lebus, der sehr von den „Goldenen Terrassen“ angetan ist, aber den Kulturpalast bewahren will: „Wir müssen die raren Besonderheiten Warschaus bewahren, sie mit dem Bauboom in Einklang bringen. In Berlin stehen auch das Olympiastadion oder der Reichstag unter Schutz, obwohl die Nazis diese Gebäude missbraucht haben“. Warschaus neu gewählte liberale Bürgermeisterin Hanna Gronkiewicz-Waltz vermeidet ein Statement zu dem Gebäude, das die Stadt schon immer in zwei Lager spaltet. Ihr Sprecher sagte dieser Zeitung, sie sei zu fiebrig für eine Meinung. Die Betreibergesellschaft „Palast der Kultur und Wissenschaften“, so der offizielle Gebäudename, gibt sich ebenfalls pragmatisch. Geschäftsführer Lech Isakiewicz: „Man kann den Palast mögen oder nicht, aber er ist ein außergewöhnliches Objekt. Gegen den Vorschlag, dass er unter Denkmalschutz gestellt wird, protestieren wir nicht. Allerdings würde das die notwendigen Modernisierungsarbeiten verkomplizieren“.
Kulturpalast bei Nacht. Foto: Mia RabenDer Kulturpalast beherbergt das „Dramatische Theater“, ein Kulturcafé, Ausstellungsräume, die „Kinoteka“, das beliebteste Kino der Stadt, Büroräume und ein Panoramacafé, auf dessen Plattform der Blick – bei klarem Wetter – zu allen Seiten tief ins Land hinein reicht. Und dann ist da noch das Kongresszentrum, wo sich der polnische Präsident Lech Kaczynski nach seiner gewonnenen Wahl von seinen Anhängern feiern ließ, der Popsänger „Seal“ von seinen Fans und die amtierende Miss World nach ihrer Kür im Herbst von der Weltpresse. Deutschland durfte sich hier in dem pompösen Saal im vergangenen Jahr als Partnerland der Warschauer Buchmesse präsentieren. Und wenn es nach Andrzej Wajda geht, dem berühmten polnischen Regisseur und Oscar-Preisträger, beherbergt der Kulturpalast im Keller demnächst noch ein Museum des Kommunismus – unter dem Titel „Sozland“. Dort könnte sich dann die im geeinten Europa aufgewachsene Jugend nach einer Shoppingtour auf den „Goldenen Terrassen“ über die Mangelwirtschaft informieren, die Polen einst geprägt hat.
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