Tschechiens neue Regierung kurz von dem Aus
Premier Topolanek scheitert wahrscheinlich an Vertrauensfrage / Neuwahlen möglich Prag (n-ost) Es sieht nach Verzweiflung aus. Regierungschef Mirek Topolanek wandte sich in einem Brief persönlich an alle oppositionellen Abgeordneten und bat sie, seine neue Regierung zu unterstützen – genau zwei Tage, nachdem Präsident Vaclav Klaus sie ernannt hatte. Das Problem der neuen Regierung ist das der alten: Sie hat nur einhundert von zweihundert Abgeordneten hinter sich. Die Mitte-Rechts-Koalition aus Bürgerdemokraten (ODS), Christdemokraten (KDU-CSL) und Grünen (SZ) fand sich nach den Wahlen im Juni zusammen und stellte zuerst letzten September eine Regierung, die aber nicht das Vertrauen des Parlaments erhielt - ihr fehlte eine Stimme. Die wird ihr wahrscheinlich auch bei der kommenden Vertrauensfrage fehlen, die Topolanek nächste Woche Freitag stellt. Das Gespräch mit den Sozialdemokraten (CSSD) über eine Tolerierung am Mittwoch war schnell zu Ende. "Wir werden nicht für ihre Regierung die Hand heben und sie auch nicht tolerieren", sagte Jiri Paroubek abschließend, Fraktionschef der Sozialdemokraten und ehemaliger Premierminister. Die fünfte Partei im Parlament, die Kommunisten (KSCM), verhandeln nicht einmal mit der Regierung, sie schließen eine Zusammenarbeit kategorisch aus. Einziger Hoffnungsschimmer für die Neuauflage der gescheiterten Dreierkoalition waren zwei abtrünnige Abgeordnete der Sozialdemokraten. Milos Melcak und Michal Pohanka hatten im Herbst die CSSD-Fraktion wegen innerparteilicher Streitigkeiten verlassen. Sofort wurde darüber gerätselt, ob sie eventuell eine Mitte-Rechts-Regierung unterstützen würden. Doch programmatisch blieben sie der Sozialdemokratie treu und kritisierten immer wieder das Programm der Regierungskoalition. "Ich als Sozialdemokrat könnte mir eine Tolerierung der Dreierkoalition nur vorstellen, wenn aus dem Koalitionsvertrag Pläne für Einschnitte ins Sozialsystem zurückgenommen würden", erklärte etwa Milos Melcak kürzlich. Genau da setzt auch die Kritik der CSSD an. Sie will die Regierung unter anderem nicht tolerieren, weil sie fürchtet, deren Programm verstärke die Armut und die sozialen Unterschiede im Land. So fordern die Sozialdemokraten, die Sozialausgaben sollten weiterhin mindestens 50 Prozent des Staatshaushalts ausmachen. Außerdem wehren sie sich kategorisch gegen die Privatisierung von Post und Bahn und fordern für die Privatisierung des staatlichen Elektrizitäts-Konzerns CEZ die Garantie günstiger Strompreise. Diese klare Ablehnung von Regierung samt Programm veranlasste wiederum Staatspräsident Klaus dazu, Topolanek zu tadeln. Seiner Meinung nach hätte sich der Premier schon beizeiten darum bemühen sollen, zusammen mit den Sozialdemokraten ein Tolerierungsmodell zu erstellen. Das fehlt nun gänzlich und die junge Regierung blickt einer übersichtlichen Zukunft entgegen. Nächsten Freitag wird sich ihr Schicksal entscheiden und parallel dazu das Schicksal von Mirek Topolanek sowie der weitere Verlauf der sechsmonatigen Regierungskrise. Sollte Topolanek die Vertrauensfrage wieder nicht überstehen, werde er den Parteivorsitz der ODS abgeben, kündigte er an. Für den dritten Anlauf müsste dann der Chef des Abgeordnetenhauses den Auftrag zur Regierungsbildung erteilen, also der Sozialdemokrat Miloslav Vlcek. Doch Vlcek gewann die Wahl zum Parlamentspräsidenten unter der Auflage, nach zwei gescheiterten Vertrauensabstimmungen seinen Rücktritt zu erklären. Damit wäre niemand befugt, eine neue Regierung zu beauftragen. Das Scheitern der jetzigen Regierung resultierte in Neuwahlen.
*** ENDE***
----------------------------------
Wenn Sie einen Artikel übernehmen oder neu in den n-ost-Verteiler aufgenommen werden möchten, genügt eine kurze Nachricht an n-ost@n-ost.org Der Artikel wird sofort für Sie reserviert und für andere Medien aus Ihrem Verbreitungsgebiet gesperrt.Thorsten Herdickerhoff
Zwei Belegexemplare gerne auch als pdf bitte an:
n-ost
Schillerstraße 57
10627 Berlin
n-ost@n-ost.org