Rumänien

Die Sachsen von der Mosel

Trotz Massenauswanderung schlägt in der rumänischen Kulturhauptstadt Hermannstadt noch ein deutsches HerzHermannstadt (n-ost) - Das rumänische Hermannstadt hat sich in den vergangenen Monaten mit seiner ganzen Kraft auf den Titel „Europäische Kulturhauptstadt 2007“ vorbereitet. Auch die Evangelische Landeskirche des Augsburger Bekenntnisses mischt bei dem kulturellen Großereignis mit. Noch immer ist das deutsche Leben in Hermannstadt sehr rege, auch wenn die meisten inzwischen in die Bundesrepublik ausgewandert sind.Kaum eine Gasse in der Altstadt von Hermannstadt, in der es in den vergangenen Monaten nicht nach Teer oder Fassadenfarbe gerochen hätte. Die 170.000-Einwohner-Stadt in Siebenbürgen, die auf Rumänisch Sibiu heißt, hat sich sich mit ihrer ganzen Kraft auf das neue Jahr vorbereitet. Nun teilt sich Hermannstadt den Titel „Europäische Kulturhauptstadt 2007“ mit Luxemburg. Eine halbe Million Besucher werden erwartet, schon jetzt sind viele Zimmer ausgebucht. Auch die Evangelische Kirche in Rumänien nimmt an diesem Großereignis teil: Als Höhepunkt gilt dabei die dritte Europäische Ökumenische Versammlung Anfang September, die in der Vergangenheit bereits in Basel und Graz ausgerichtet worden war. Sie ist die bedeutendste Zusammenkunft dieser Art für die in Europa vertretenen großen Konfessionen.
Großer Ring in Sibiu. Foto: Anna GalonMan rechne mit 3.000 Teilnehmern, schätzt Christoph Klein. Der ehemalige Theologieprofessor ist seit nunmehr 16 Jahren Landesbischof der Evangelischen Kirche Augsburger Bekenntnisses in Rumänien. Diese hat ihren Hauptsitz in Hermannstadt, das seit Jahrhunderten als religiöses und politisches Zentrum der Siebenbürger Sachsen gilt. Die deutschsprachigen Siedler, die eigentlich von Mosel, Maas, aus Flandern und dem Rheinland stammen, ließen sich hier ab dem 12. Jahrhundert nieder, angelockt durch Begünstigungen. Dass man sie „Sachsen“ nennt, obwohl kein einziger Sachse darunter war, führen Wissenschaftler auf ein sprachliches Missverständnis zurück: Die Siedler waren „Sassen“, also Ansässige. Später ließen sich noch andere deutsche Gruppen auf der Suche nach einem besseren Leben auf dem Gebiet des heutigen Rumänien nieder, wie etwa die Banater Schwaben im Südwesten des Landes.
 
Marktplatz von Sibiu. Foto: Annett MüllerBis heute pflegen die Siebenbürger Sachsen, zu denen auch Bischof Klein zählt, die deutsche Kultur und Sprache: Sei es beim sonntäglichen Gottesdienst in der Stadtpfarrkirche von Hermannstadt, am Brukenthal-Gymnasium oder im Kultur- und Begegnungszentrum Friedrich Teutsch, das von der Evangelischen Kirche in Rumänien unterhalten wird. Hier befindet sich das landeskirchliche Archiv, Lesungen auf deutscher Sprache werden im angeschlossenen Buchcafe veranstaltet, wo man Heinrich Böll und Co. im Original kaufen kann. Aber auch das Carl-Wolff-Altenheim, das mit deutschen Geldern errichtet wurde, ist eine Anlaufstelle – denn es nimmt in erster Linie Angehörige der deutschen Minderheit auf.Überhaupt ist das deutsche Leben in Siebenbürgen sehr vielschichtig: Die Hermannstädter Zeitung informiert ihre Leser wöchentlich in deutscher Sprache, in Kneipen wird Bier mit dem Namen „Bürger“ oder „Bergenbier“ ausgeschenkt und auch von Rumänen hört man nicht selten ein erfrischendes „Servus“ auf der Straße oder am Telefon zur Begrüßung. Mit dem Demokratischen Forum der Deutschen in Rumänien gibt es seit Anfang der 1990er Jahre erstmals auch wieder eine politische Vertretung, der eine Stiftung angegliedert ist, die Brauchtümer wie Folkloregruppen, Kirchweih, Oster- oder Weihnachtsfeste fördert. Nicht zuletzt ist auch der Bürgermeister, Klaus Johannis, deutschstämmig – wie 16 von insgesamt 23 Stadträten auch.
Evangelische Kirche in Sibiu. Foto: Grit FriedrichAuf eine Tradition, die es sonst nirgendwo in Osteuropa gibt, ist man in Hermannstadt besonders stolz: Auf die Evangelisch-Theologische Fakultät, an der derzeit etwa 20 Studenten Seminare und Vorlesungen in deutscher Sprache besuchen. Auch Gaststudenten aus der Bundesrepublik, der Schweiz oder Russland studieren hier und namhafte Theologen aus dem deutschen Sprachraum halten Vorlesungen. Die Einrichtung ist im Bischofshaus untergebracht, am Großen Ring, dem zentralen Platz von Hermannstadt. Jährlich werden hier durchschnittlich zwei Theologen mit einem Abschlussdiplom entlassen. So bilde man sich den eigenen Nachwuchs aus, erklärt Bischof Klein. Dabei hat er andere Länder im Blick, in denen oft Geistliche aus der Bundesrepublik die deutschsprachigen Gemeinden betreuen, wie etwa an der Wolga. Doch auch in Rumänien kommt Unterstützung aus dem Ausland: Vor allem die Evangelische Kirche Deutschland und der Lutheranische Weltbund fördern die 254 Gemeinden im Land. Die Kirchenbeiträge in Rumänien sind auf freiwilliger Basis und eher symbolisch, Pfarrer werden vom Staat bezahlt. Bibeln stammen aus dem deutschen Sprachraum, andere Werke wie der Katechismus werden allerdings in Rumänien gedruckt.Dass sich das deutschsprachige Kirchenleben so gut erhalten konnte, führt Klein auf die Tatsache zurück, dass zu sozialistischen Zeiten der Versuch früh aufgegeben wurde, die Kirchen auszurotten. Gottesdienste konnten in Muttersprache gehalten werden, Taufen, Trauungen und Religionsunterricht bereiteten nie ernsthafte Schwierigkeiten. Selbst Parteileute hätten das getan, erinnert sich Klein. Allerdings nicht öffentlich, nur in Klöstern, fügt er hinzu. Im Gegensatz zur ehemaligen DDR gab es in Rumänien keine Ersatzhandlungen: Fast alle Evangelischen dort seien konfirmiert worden. Man wurde zwar sehr streng beobachtet, dennoch war die Kirche ein Freiraum, den man nutzen konnte, sagt Klein.Heute leben in ganz Rumänien noch 60.000 Angehörige der deutschen Minderheit. Ein Viertel davon gehört der Evangelischen Kirche an, schätzt der Bischof. Noch im 18. Jahrhundert war Hermannstadt eine rein deutsche Stadt, auch nach dem Zweiten Weltkrieg lebten hier noch 20.000 Deutsche. Heute sind gerade mal 1.500 Personen geblieben – weniger als ein Prozent der Stadtbevölkerung. Damit ist die deutsche der ungarischen Minderheit zahlenmäßig unterlegen. Die meisten Deutschen seien nach der politischen Wende in die Bundesrepublik übergesiedelt. „Eine Katastrophe“, sagt Klein im Hinblick auf den Massenexodus, der die allermeisten Gemeinden im Land stark schrumpfen ließ. Die Hälfte zählt heute weniger als 50 Gemeindemitglieder, die Zukunft setze man daher in erster Linie auf die Städte, sagt der Bischof optimistisch.ENDE-------------------------------------------------------------------------------------
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