Serben im Kosovo: Leben ohne Perspektive
Umgeben von albanischen Dörfern war Gracanica noch vor drei Jahren einer der bestbewachten Orte im Kosovo: Bewaffnete KFOR-Soldaten auf hohen Holztürmen und Panzer mit Kanonen im Anschlag überwachten die Einfahrt in diese zweitgrößte serbische Enklave in der immer noch zu Serbien gehörenden Provinz, die seit 1999 von der UNO verwaltet wird. Heute erinnern an diese Zeit nur noch die riesigen Sandsäcke, die den Straßenrand säumen. Die verkehrsreiche Straße, die mitten durch den Ort läuft, ist wieder offen und verbindet Kosovos Hauptstadt Pristina, die nur zehn Kilometer nördlich von Gracanica liegt, mit dem Südosten des Landes. Soldaten der schwedischen KFOR-Truppe stehen nur noch vor dem 700-Jahre alten serbischen Kloster, das im Sommer 2006 von der UNESCO als Weltkulturerbe anerkannt wurde.
Leben in kleinen Enklaven
Obwohl es keine zuverlässigen Bevölkerungszahlen für das Kosovo gibt, sind sich die meisten einig, dass Albaner knapp über 90 Prozent der zwei Millionen Einwohner Kosovos ausmachen. Rund 100.000 Serben harren noch im Kosovo aus. Mehr als die Hälfte von ihnen konzentriert sich nach Angaben der UNO-Mission im Kosovo (UNMIK) rund um die geteilte Stadt Mitrovica im Norden der Provinz. Die andere Hälfte lebt in kleinen Enklaven wie Gracanica.Derzeit wird darüber spekuliert, dass Mitrovica nach der Entscheidung des Welt-Sicherheitsrates über den zukünftigen Status des Kosovo einen speziellen Status bekommen könnte. Doch für die Serben im restlichen Kosovo ist solch eine Perspektive eher unrealistisch - viele Enklaven sind einfach zu klein, um politisch oder wirtschaftlich überlebensfähige Gemeinden zu bildenUnd so wandern aus Angst um die eigene Sicherheit mehr und mehr Serben aus dem Kosovo aus. Rund 240.000 haben laut UNO-Angaben mittlerweile das Kosovo verlassen. Im Gegensatz dazu sind nur wenige Hunderte wieder zurückgekommen.
Der serbische Staat versucht viel, um die Serben in Kosovo zu halten. Er zahlt weiter Gehälter und Renten an verbleibende Serben und verweigert ihnen gleichzeitig jegliche Unterstützung für eine Abwanderung nach Serbien. „Niemand wartet auf uns in Serbien,“ erzählt Ilja Mladenovic, ein 28-jähriger Serbe aus Gracanica. „Dort gibt es schon genug Arbeitslose. Es gibt eigentlich auch hier keine Perspektive, aber wir haben gelernt von Tag zu Tag zu leben.“
Das 700- Jahre alte serbische Kloster in Gracanica steht unter dem Schutz der UNESCO. / Marina von König, n-ost
Sorgen um die Sicherheit
Er selber pflegt noch immer Kontakte mit seinen früheren albanischen Freunden in Pristina. „2003, als ich für die UNO als Übersetzer arbeitete, wurde ich aus Sicherheitsgründen von bewaffneten KFOR-Soldaten zu Arbeit eskortiert“, erzählt Ilja. „Heute fahre ich mit meinem eigenen Auto nach Pristina.“Diese Verbesserung ist nicht zuletzt auf die Bemühungen der internationalen Gemeinschaft zurückzuführen, die Sicherheit in der ehemaligen serbischen Provinz zu stärken. So ist die multiethnische Polizei eine der Erfolgsgeschichten des internationalen Einsatzes. Mittlerweile kommen mehr als 16 Prozent der lokalen Polizisten aus ethnischen Minderheiten.
Doch obwohl die Sicherheitssituation sich deutlich verbessert hat, misstrauen sich Albaner und Serben weiterhin. „Ich kann zwar durch Pristinas Strassen gehen, doch wenn ich von jemandem auf Albanisch angesprochen werden, schaue ich weg und versuche schnell zu verschwinden... Es würde sie nur provozieren, wenn ich auf Serbisch antworte“, sagt Ilja.Die Erinnerung an einen Zwischenfall im Sommer 2004, als ein serbischer Junge von einem vorbeifahrenden Albaner auf der Durchfahrt in Gracanica erschossen wurde, ist immer noch lebendig. Damals beschuldigten die Serben die KFOR-Truppen, nicht ausreichend für die Sicherheit der Enklaven gesorgt zu haben. Eine drohende Eskalation konnte nur dadurch verhindert werden, dass alle Zu- und Ausfahrten Gracanicas von der KFOR gesperrt wurden.
Statusfrage
Viele Serben in Enklaven wie Gracanica sind nun besorgt, dass eine weitere Verzögerung der Statusentscheidung, die nun nach den Wahlen in Serbien Ende Januar gefällt werden soll, zu erneuten Unruhen führen könnte. Auch die International Crisis Group, eine angesehene Expertengruppe, warnte: „Je länger die Kosovo-Albaner gezwungen sein werden zu warten, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich mit unilateralen Unabhängigkeitserklärungen oder Gewalt diskreditieren würden.“
„Es könnte noch schlimmer kommen als 2004“, fürchtet gar ein hochrangiger Sicherheitsbeamter der UNMiK. „Damals war Kosovo im Westen fast in Vergessenheit geraten. Erst nach den Unruhen kam die Statusfrage wieder auf die Tagesordnung der westlichen Staaten.“ Im März 2004 verloren dabei alleine in Mitrovica 19 Menschen ihr Leben.„Zurzeit kann ich mich nicht beklagen“, sagt Ilja. „Aber irgendwann einmal will ich heiraten. Und ich bin mir sicher, dass mein Kind nicht im Kosovo geboren wird.“ Iljas Freunde, die sich rund um seinen Tisch versammelt haben, nicken zustimmend.