Rumänien

Angst vor Billigarbeitern

Westeuropa befürchtet eine Welle rumänischer Arbeitsmigranten – aber die sind längst daBraşov (n-ost) - „Tausend Euro Gehalt im Monat, plus 33 Euro für jede Überstunde, dazu doppelte Bezahlung am Wochenende. Maximal 1600 Euro monatlich”, so kalkuliert Viorel Nitescu, während er die Wände eines Kaufhauses im siebenbürgischen Braşov (Kronstadt) streicht. Knapp sieben Mal mehr als der Durchschnittslohn in Rumänien wird Nitescu in Spanien verdienen. Den Vertrag mit einer Baufirma hat er bereits im März 2006 unterschrieben. Nach dem erfolgreichen EU-Beitritt Rumäniens wartet der ehemalige Ingenieur nun noch auf die letzten Dokumente, dann fährt er los. Für seinen Plan hat er bereits im Frühling sein Haus in  Braşov verkauft. Seitdem wohnt er bei Bekannten oder in den Gebäuden, in denen er arbeitet. Kein leichtes Leben, wenn man über 50 ist.Nach der Wende in Rumänien 1990 hoffte Nitescu auf das große Geschäft, machte sich mit einem Handwerksbetrieb selbstständig. Doch der Staat habe ihn betrogen, sagt er. Er machte pleite. Nun habe er das rumänische System satt und will ins Ausland.
 
Viorel Nitescu ist einer von vielen Rumänen die mit dem EU-Beitritt des Landes eine neue Chance sehen, im Ausland zu arbeiten und ein besseres Leben zu führen. Doch mehr als die Hälfte der nun 27 EU-Staaten fürchtet sich vor einer Einwanderungswelle rumänischer und bulgarischer Arbeitskräfte. Einschränkende Übergangsklauseln sollen für zwei bis maximal  sieben Jahre die einheimischen Arbeitsmärkte vor den Billigarbeitern abschotten. Die Angst scheint nicht unbegründet: Seit der Osterweiterung vor drei Jahren wanderten allein aus Polen schätzungsweise eine Million Arbeiter nach Westen ab, vor allem nach Großbritannien und Irland, die damals ihren Arbeitsmarkt öffneten.Rumänische Politiker bemühen sich, die Ängste zu entkräften. Die Migration von Arbeitskräften aus Rumänien müsse für die EU keine Bedrohung sein, zumal die „rumänische Ökonomie immer besser bezahlte Arbeitsplätze anbietet” und einheimische Firmen um die Emigranten werben, sagt der rumänische Premierminister Călin Popescu Tăriceanu. Deutschland, eines der beliebtesten Ziele rumänischer und bulgarischer Arbeiter, schließt bis mindestens Ende 2008 seinen Arbeitsmarkt. Auch Großbritannien, Irland, Österreich, Griechenland, Belgien, Luxemburg oder die Niederlande erlauben nur unter besonderen Bedingungen die Arbeitsaufnahme. Selbst die von rumäischen Arbeitern wegen der sprachlichen Verwandtschaft bereits seit Jahren bevorzugt angesteuerten Länder Spanien und Italien haben eine Sperrzeit von zwei Jahren vorgesehen. Ausnahmen werden für besonders qualifizierte Arbeitskräfte gemacht, teilweise aber auch für Bauarbeiter und in der Landwirtschaft. Bereits jetzt arbeiten hunderttausende Rumänen auf spanischen und italienischen Bauernhöfen.Viorel Nitescu streicht in Rumänien wände. In Spanien wird er auf der Baustelle arbeiten. Foto: Laura Capatana-Juller„Rumänen wollen nicht wie Bürger zweiter Klasse” behandelt werden, klagt der rumänische Staatspräsident Traian Băsescu. Wenn manche Länder auf Einschränkungen setzen, so werde Rumänien in gleicher Weise antworten. Băsescu zeigt sich besonders entäuscht von der „diskriminierenden” Entscheidung Großbritanniens, das noch bei der Osterweiterung 2004 seinen Arbeitsmarkt für alle neuen Bürger der Union geöffnet hatte. In England ist die Maßnahme umstritten. So zieht die liberale Zeitung The Independent eine positive Bilanz der polnischen Arbeitsmitgration und wirft der Regierung vor, sie fache nun eine „Einwanderungshysterie” an. „Ohne diese unqualifizierten Arbeiter wäre die Wirtschaft in ernsten Schwerigkeiten.”Experten befürchten, dass Beschränkungen auf dem Arbeitsmarkt vor allem die Schwarzarbeit fördere. Die Illegalen seien von Ausbeutung bedroht und würden keine Steuern zahlen.
 
Sogar das ehemalige kommunistische Nachbarland Ungarn hat sich zu keiner kompletten Freigabe seines Arbeitsmarktes für Rumänen und Bulgaren entschließen können, öffnete aber 219 penibel aufgelistete Bereiche. Geradezu hoffnungsvoll blickt dagegen Polen nach Rumänien und Bulgarien. Da seit dem polnischen EU-Beitritt rund fünf Prozent des arbeitsfähigen Personals nach Westen abgeflossen ist, werden in Polen im Bauwesen und in Krankenhäusern händeringend Angestellte gesucht. „In einigen Monaten wird die polnische Wirtschaft dank ausländischer Arbeitnehmer reicher werden”, heißt es in einem Leitartikel der Gazeta Wyborcza.Den 22-jährigen Rumänen Gică zieht es ebenfalls aus Braşov nach Spanien. Rumänen, die dort bereits arbeiten, haben ihm eine Arbeitsgenehmigung für eine Baustelle verschafft. Sobald er genug Geld gesammelt hat, will er aber in ein anderes EU-Land weiterziehen. „Deutschland nicht! Die Sprache ist schwer, aber vielleicht Holland. Dort kann man frei rauchen!”, freut sich der  Taxifahrer. Arbeitsverträge oder Aufenthaltsgenehmigungen machen ihm keine Sorgen. Sobald er im Westen ist, könne ihn niemand mehr kontrollieren. Kollege Nitrescu sieht das skeptischer: „Schlag dir die Dummheiten aus dem Kopf, du kriegst Probleme wegen der Krankenversicherung”, versucht er dem 22-Jährigen klarzumachen.Die EU ist nicht nur wegen ihrer besser bezahlten Arbeitsmöglichkeiten beliebt, auch das „kapitalistische System, die Freiheit und die gute Organisation mit der man dort arbeitet” sind für Rumänen eine Attraktion. Der 46-jährige Elektriker Gheorghe Cenuşă arbeitet in Braşov in einer Autowerkstatt. Er hat vor dem EU-Beitritt bereits in Belgien Geld verdient, aber die Familie wollte ihn wieder daheim haben. Trotzdem würde er gerne wieder in ein westliches Land gehen, insbesondere wegen der Arbeitsbedingungen. Das Geld wäre für ihn weniger wichtig. „Geld haben wir hier, Gott sei Dank, genug”. Als EU-Bürger wird es für seine Familie in Zukunft leichter sein, ihn im Ausland zu besuchen. Irgendwie wird es schon gehen, so ist die Meinung der meisten Rumänen, die auf gepackten Koffern sitzen. Wenige kennen tatsächlich die neuen Regelungen und Sperrklauseln, die der EU-Beitritt mit sich bringt. Wenn sie es als legale Arbeiter nicht schaffen, so gelangen sie eben als Touristen ins erwünschte Land. Von dort aus findet sich jeder zurecht. EU-Beitritt hin oder her: Nach Angaben aus Bukarest arbeiten bereits jetzt zwei Millionen Rumänen im Westen, davon 1,3 Millionen legal.  *** ENDE ***-----------------------------------------------------------
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