"Kaum Überlebenschancen für Lukaschenko-Regime"
Dr. Andrej Okara, Politologe im Zentrum für osteuropäische Forschung in Moskau, über die Beziehungen zwischen Russland und Weißrussland nach Unterzeichnung der neuen Gaslieferverträge FRAGE: Wie sehen Sie die Zukunft der russisch-weißrussischen Union nach der Unterzeichnung der Verträge über die neuen Gaspreise für Weißrussland und über den Verkauf von 50 Prozent der Aktien von Beltransgas? OKARA: Diese Verträge, die zwei Minuten vor dem Jahreswechsel unter hohem Druck unterzeichnet wurden, betrachte ich als Schlusspunkt in der Geschichte der Integration zwischen Russland und Weißrussland. Obwohl einige russische Propagandisten behaupten, die Verträge hätten der Zukunft der weißrussisch-russischen Union eine neue Perspektive verliehen, bin ich überzeugt: Diese Union wird nur noch nach dem Gesetz der Trägheit eine Weile existieren - als ein polittechnologisches Projekt und als Anlass für gewisse Manipulationen und Propaganda.FRAGE: Warum?OKARA: Welche Grundlage hat es für die Existenz der weißrussisch-russischen Union gegeben? Es war die geopolitische Loyalität Weißrussland gegenüber Russland als Tauschobjekt für die relativ günstigen Öl- und Gaslieferungen aus Russland. Russland hat diese Grundlage vernichtet und somit jeden Grund für die Existenz der weißrussisch-russischen Union zugrunde gemacht. Geblieben ist faule Propaganda: Darüber, dass Russland und Weißrussland Brudervölker seien und zusammen gehörten. FRAGE: Wie sehen Sie die Perspektiven für das Regime Lukaschenko nach der Unterzeichnung der Verträge?OKARA: Die Grundlage von Lukaschenkos Regime waren die günstigen Energieträger aus Russland gewesen. Jetzt ist dieses Regime stark angeschlagen. Ohne die Unterstützung von Gasprom werden die Überlebenschancen des Lukaschenko-Regimes stark gemindert, und die einfachen Weißrussen ihrerseits werden die Gürtel enger schnallen müssen.FRAGE: Braucht sich der Westen nun keine Sorgen mehr zu machen wegen der gefährdeten Gaslieferungen aus Russland?OKARA: Europa hat schon einen Grund, sich weiterhin Sorgen zu machen. Denn Lukaschenko hat vor kurzem wieder das Thema der Bildung einer Union der Länder zwischen dem Baltikum und dem Schwarzmeerraum aufgegriffen. Russland, das auf Weißrussland einen solchen Druck ausübt, riskiert, sein gesamtes Transitgebiet für die Gaslieferungen nach Europa zu verlieren. In diesem neuen Raum zwischen dem Baltikum und dem Schwarzen Meer könnten theoretisch Weißrussland, die Ukraine, Moldau und die baltischen Länder landen, und somit könnte sich Gasprom eines Tages in einer Isolation vorfinden. Die Energielieferungen in den Westen wären gefährdet, zumal die Zukunft der nordeuropäischen Gas-Pipeline im Moment ziemlich ungewiss erscheint.
Leiden darunter wird vermutlich vor allem die russische Bevölkerung. Gasprom könnte die Gastarife für die eigene Bevölkerung stark anheben und somit nicht nur die einfachen Menschen sondern auch die großen Betriebe gefährden.
FRAGE: Wer ist Ihrer Meinung nach der Gewinner und wer ist der Verlierer des Gasstreits zwischen Moskau und Minsk? OKARA: In diesem Gasstreit gab es nicht zwei, sondern ganze drei bis fünf Parteien. Der Verlierer ist eindeutig Russland als ein Staat mit geopolitischen Ansprüchen, denn es verliert somit seinen letzten treuen Verbündeten auf dem postsowjetischen Raum. Verlierer ist auch Weißrussland, weil seine wirtschaftliche Zukunft nun in Frage gestellt wird. Verloren hat auch die weißrussisch-russische Union. Der Gewinner dieses Streites ist Gasprom, das in diesem Monopolsystem höhere Gewinne einfahren wird. Außerdem gewinnen die amerikanischen Interessen in Europa, denn die USA ist am Scheitern der Beziehungen zwischen Europa und Russland interessiert, vor allem der Beziehungen zwischen Russland und Deutschland.
FRAGE: Hat die weißrussische Opposition nach der Unterzeichnung dieser Gasverträge mehr Chancen bekommen?OKARA: Berücksichtigt man den Zustand der weißrussischen Opposition, ihre schlechte Strukturierung und ihre ineffektive Arbeit, so sind die Chancen der Opposition nicht viel höher geworden. Was jedoch die Zukunft des Lukaschenko-Regimes beeinflussen könnte, wäre weiterhin Russland und der Druck aus Moskau. Der Riegel für die Zukunft Weißrusslands liegt nach wie vor nicht bei der Opposition sondern in Moskau. *** Ende ***--------------------------------------------------------------------------------------------------
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