Rumänien

Surfen auf der Fresswelle

Deutsche Unternehmen gehören zu den großen Nutznießern von Rumäniens EU-Beitritt

Sibiu/ Bukarest - Klatschend fließt der Beton von oben in den Schaltisch – wie Kinder mit Förmchen aus Sand kleine Burgen bauen, stellt Lupp Construct in Rumänien bis zu 40 Meter lange Fertigbauteile her. Anstatt von Sand quellen aber Beton und Stahl in die riesigen Holzmäntel und formen Stützen und Dachkonstruktionen. Sie bilden die Skelette für Supermarkthallen, in denen die Menschen Rumäniens künftig einkaufen werden.
Die Tochterfirma der Adolf Lupp GmbH aus dem südhessischen Nidda ist nur eines von circa 13.000 Unternehmen mit deutscher Beteiligung in Rumänien, die vom Aufschwung des EU-Beitrittslandes profitieren. „95 Prozent sind kleine und mittelständische Firmen“, sagt Dirk Rütze von der Deutsch-Rumänischen Außenhandelskammer (DRAHK) in Bukarest.

Rumänien wird sich in den nächsten fünf Jahren so dynamisch entwickeln, wie kein anders Land in Europa, so das Ergebnis einer aktuellen Umfrage der deutschen Industrie und Handelskammer. Und wenn Dirk Rütze die Vorteile rumänischer Standorte für deutsche Investoren aufzählt, dann reichen die fünf Finger einer Hand nicht aus: die Wirtschaft wächst jährlich um etwa sechs Prozent, die Renditen sind hoch, die Einkommenssteuer mit 16 Prozent niedrig, das Arbeitskräftepotenzial ist längst nicht erschlossen, die Mitarbeiter sind hoch motiviert, viele Menschen sprechen deutsch. Plus die auf lange Sicht niedrigen Löhne, etwa ein Zehntel des in Deutschland Üblichen. „Ein rumänischer Schweißer kostet zwischen siebzig Cent und einem Euro pro Arbeitsstunde“, rechnet Rütze vor. 

Die rumänischen Großstädte machen deutschen Unternehmen mit neu angelegten Industriegebieten den Hof. Ins siebenbürgische Hermanstadt/Sibiu konnte der deutsche Bürgermeister Klaus Johannis über 100 Firmen anlocken – mit dem Hannoveraner Reifenhersteller Continental sogar den größten deutschen Investor überhaupt. Auch Lupp baute die drei fußballfeldgroßen Hallen seines Fertigteilwerkes samt riesiger Kranbahn vor die Tore Sibius. „Die deutschsprachige Stadtverwaltung und die zentrale Lage im Herzen Rumäniens haben uns überzeugt“, sagt Projektleiter Frank Riede. 30 Mitarbeiter hat die Firma, die Managerriege ist aus Deutschland entsandt.

Trotz aller Standortvorteile – die Ansiedlung in Rumänien vor zwei Jahren hatte auch Tücken. Ein dichter Bürokratiedschungel zum Beispiel. „Stempel auf offiziellen Dokumenten sind in Deutschland eher zweitrangig, hier geht nichts ohne Stempel", erzählt Riede - mittlerweile geht kein Baustellenbetreuer ohne Firmenstempel vom Gelände. Oder der erste Scheck: „Schreiben Sie doch mal eine sechsstellige Zahl in rumänischen Worten aus“, sagt er und rollt die Augen.

Gefragt nach Korruption, winkt Frank Riede ab. Für seine Firma hat er vor einiger Zeit ein Projekt in Lateinamerika betreut: „Dort sind Gaunereien an der Tagesordnung – ein himmelweiter Unterschied zu Rumänien“, sagt er und sitzt die langen Wartezeiten bei Zoll oder Amt lieber aus, als die Prozedur mit ein paar Lei-Scheinen zu verkürzen. Von öffentlichen Ausschreibungen hält sich seine Firma außerdem nicht ohne Grund fern.

Noch ein Problem: Ausgebildete Facharbeiter werden rar. Die niedrigen Löhne in der Heimat treiben Rumänen ins Ausland, mehr als zwei Millionen verdienen ihr Salär bereits in der EU. Bis 2011 wollen die alten EU-Mitglieder, darunter auch Deutschland, zwar ihre Arbeitsmärkte für Rumänen verschließen; die Regierung in Bukarest rechnet dennoch kurzfristig mit einer halben Million Migranten in westliche Nachbarländer.

Trotz Wegzug – mit 22 Millionen Einwohnern bietet Rumänien einen fast jungfräulichen Konsummarkt, den zweitgrößten nach Polen in Osteuropa. Deutschland ist Importpartner Nummer eins und weil weit mehr Waren nach Rumänien verkauft als rumänische Güter gekauft werden, sichert der Handel auch deutsche Arbeitsplätze.

„Das Land ist jetzt ungefähr da, wo Deutschland 1950 war“, sagt DRAHK-Geschäftsführer Rütze und zeigt auf die Grafik mit einer gelben Pyramide, die Deutschlands Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg darstellt. Die Spitze hat er „Restrukturierung" genannt, da befindet sich Deutschland mit einem Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 30.000 Euro pro Kopf. „Rumäniens BIP von 3.800 Euro steht noch am Fundament der Pyramide, in der Fresswelle", erklärt Rütze. Auch der EU-Durchschnitt von bisher 22.300 Euro liegt in utopischer Ferne.

Doch selbst die Fresswelle beginnt erst zu wogen: Auf eine Million Einwohner kommen in Rumänien nur zehn Supermärkte. In Slowenien, das am 2007 den Euro einführt, sind es schon 250. Das nutzen deutsche Supermarktketten wie Kaufland, Real, Plus und Penny aus und expandieren scheinbar grenzenlos. Der deutsche Großhändler Metro zählt zu den umsatzstärksten Unternehmen in Rumänien überhaupt, noch vor vielen nationalen Konzernen. Gerade hat der Bau- und Gartenmarktbetreiber Hornbach zehn bis fünfzehn neue Märkte angekündigt, Praktiker eröffnet vor Jahresfrist seine sechzehnte rumänische Filiale.
Von diesem Boom profitiert auch Generalunternehmer und Fertigteilbauer Lupp, der Umsatz wird 2006 in Rumänien bei etwa 15 Millionen Euro liegen. In den kommenden Monaten werden noch viele Tonnen Beton in die Schaltische fließen. „Die Nachfrage ist so hoch“, sagt Frank Riede, „wir denken darüber nach, gleich ein weiteres Werk zu bauen“.ENDE-----------------------------------------------------
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