Polen

Omega

Ich lernte Omega nach einer seiner Lesungen kennen. Er hatte sich im hinteren Teil der Bar breit gemacht, inmitten einer bunten Schar von Kumpanen, die andächtig den Worten und Gesten eines Menschen folgten, den man lesen und den man sogar im Fernsehen sehen konnte. Omega hatte zu diesem Zeitpunkt bereits sein zweites Buch veröffentlicht und glänzte in der Aureole einer »großen Hoffnung der jungen Literatur«, die gerade Gestalt annahm. Der erste Eindruck war fatal: blass, geradezu bläulich vom Kiffen, gekleidet nach der neuesten Mode (nicht, dass ich mich damit auskennen würde, aber ich hatte so ähnliche Sachen im Fernsehen gesehen), blickte er seine Gesprächspartner nicht an, sondern über sie hinweg, allenfalls auf die Spitzen ihrer Köpfe.

Er erkannte mich und kam auf mich zu, wir unterhielten uns eine Weile, und es stellte sich heraus, dass wir gegenseitig unsere Bücher gelesen hatten, zwar nur flüchtig, aber doch genau genug, um einander ein Bier auszugeben. Ich halte ohnehin das Bierausgeben für wichtiger als das Wiedererkennen. Wir unterhielten uns mehrere Stunden lang, doch das Wichtigtuerische, das man Omega nachsagte, machte sich nicht ein einziges Mal bemerkbar. Vielleicht, weil er mich als gleichwertig ansah, oder vielleicht – und diese Version ist mir lieber – weil er sich einfach darüber freute, dass es jemanden gab, der nichts von ihm wollte und der nicht gleich vor ihm auf die Knie fiel.

Wir hatten unterschiedliche Interessen, aber eine ähnliche Sensibilität, die Welt zwickte uns auf die gleiche Weise, wir hatten eine ähnliche Art, mit Menschen umzugehen, eine ähnliche Art, über sie zu sprechen, na, und wir waren beide erst vor Kurzem nach Warschau gezogen. Jeder von uns war über seine eigenen Kanäle in die Hauptstadt gelangt und musste mit seiner eigenen Verlorenheit fertig werden. Omega kam einen Tick besser zurecht, denn er konnte gut mit Menschen, er wusste, wen er anrufen und was er sagen musste, um sich selbst ins mediale Licht zu rücken, das Schriftstellern normalerweise versagt blieb. Einige Male half er mir, verschaffte mir einen Job oder stellte mich jemandem vor, was jedes Mal mit einer willkommenen Überweisung auf mein Konto einherging. Er tat das aus reiner Sympathie, auch wenn man dazusagen muss, dass wir keine Konkurrenz füreinander darstellten – ich hatte mich als Autor fantastischer Erzählungen etabliert, Omega hingegen stellte sich auf den Kopf, um als moderner Autor zu gelten.

Omegas Tage sahen alle gleich aus. Er wachte gegen Mittag auf, scheuchte seine jeweilige Eroberung aus dem Bett, stellte sicher, dass sie nicht wiederkam, und wenn doch, dann wenigstens mit einem Bier in der Hand, anschließend setzte er sich hin und schrieb irgendetwas (einen Blog oder ein Essay) oder er sinnierte über seinen nächsten experimentellen Roman, während er auf dem Gamepad seiner Playstation herumdrückte oder seinen virtuellen Hintern durch die Tiefen von YouTube schleuste. Irgendwann nachmittags verließ er das Haus und raste los, das Ziel seines Rasens blieb jedoch mir und seiner Umgebung ein Rätsel. Man sah Omega, wie er mit seinem Laptop auf dem Rücken durch die Gegend rannte, wie er in Taxis herumzappelte, irgendjemanden anrief, nervös auf eine Internetverbindung wartete, immer in Bewegung, wie er in die Gebäude von Redaktionen und Nichtregierungsorganisationen hinein- und wieder hinausstürmte, unterwegs etwas notierte, jemanden anschrie und so weiter. Abends landete er dann in irgendeiner Kneipe, wo er seinen ganzen Charme spielen ließ, um am nächsten Tag nicht allein aufzuwachen. Es gab nichts, um das wir einander hätten beneiden können.

Omegas erster Gedichtband war ohne größeres Echo geblieben, also wandte der junge Autor sich der Prosa zu. Er bediente sich hierbei eines eindrucksvollen formalen Mittels: Lieber nicht bestand aus einem guten Dutzend kurzer Erzählungen, in denen er die Werke der bedeutendsten polnischen Schriftsteller, von Iwaszkiewicz bis zu Żulczyk und Masłowska nachäffte. Sämtliche Texte waren nach der gleichen Methode verfasst: Omega wählte ein für den jeweiligen Autor charakteristisches Thema und imitierte genial dessen Sprache, nur um sie anschließend einer Dekonstruktion zu unterziehen. Die Sätze verzerrten sich ins Groteske, jedes Kapitel schien die vorhergehenden zu bedrängen, sie zu zerquetschen oder zu parodieren, kurz gesagt, das Ende der Erzählung bedeutete in sprachlicher Hinsicht ein Massaker an ihrem Ausgangspunkt. Ähnlich verhielt es sich mit der Thematik. Omega wählte ein für den jeweiligen Autor typisches Sujet, nur um es anschließend effektvoll zu zertrümmern. Eine der Erzählungen handelte von einem Schwulen, der mithilfe diverser Nichtregierungsorganisationen gegen seine Diskriminierung ankämpft und schließlich einen vollständigen Sieg erringt. Nachdem er auf diese Weise seinen Lebensinhalt verloren hat, beginnt er sich selbst zu diskriminieren. Das Buch verkaufte sich nur mittelmäßig, erregte jedoch das lebhafte Interesse der Kritiker sowie wütende Proteste der in ihm beschriebenen Schriftsteller. Die Letzteren konnten nicht viel ausrichten. Omega nährte sich von ihnen, übertraf sie und glänzte, wobei er sich als echtes Medientalent erwies. Auch seine imposante Statur, sein Stiernacken und seine mächtigen Schultern ließen seine Kontrahenten von einer direkten Auseinandersetzung Abstand nehmen.

Als ich mich mit Omega anfreundete, stand er vor der unangenehmen Notwendigkeit, ein zweites bedeutendes Werk zu schreiben. Ihm war klar, dass er aus der Nummer nicht herauskam, dass er nicht ewig von Feuilletons über die Subkultur, von Frauenzeitschriften und vom Genuschel in irgendwelchen Talk Shows würde leben können, dass eines Tages andere kommen würden, die versierter waren, besser aussahen und die vor allen Dingen besser nuschelten als er. Beim Wodka klagte er mir so oft sein Leid, dass es schon langweilig wurde, fortwährend wiegte er seinen Kopf und jammerte, er sei zwar noch jung, und die Idee zu seinem Debüt sei ganz einfach gewesen, man musste nur ein wenig lesen und schreiben können, aber jetzt? Was tun? Ich riet ihm, etwas in meiner Richtung zu schreiben, etwas für das Publikum, vielleicht eine Liebesgeschichte oder etwas über die Arbeit in einer großen Firma, vielleicht einen Justiz-Thriller im Stil von John Grisham, den Omega sehr mochte. Er rümpfte daraufhin seine markante Nase, und über seiner hohen Stirn zogen Wolken auf. Dann sagte er etwas wie: »Lieber nicht.«

Er machte eine Pause und erklärte dann weiter: »Es geht nicht, dass ich mich vom Leser abhängig mache. So ein Buch verkauft sich oder nicht. Das kannst du vorher nie wissen, Alter, du kannst noch so viel Geld in die Werbung stecken, überall dein Gesicht zeigen, auf jedem Kanal, und dann verkaufen sich nur etwas über tausend Exemplare, was machst du dann, was kaufst du dir davon? Man muss doch von etwas leben. Kurz gesagt, das Verhalten der Buchkonsumenten lässt sich nicht vorhersagen, dafür aber die Meinung der Kritiker, und für diese Meinung gibt es Zuschüsse und Stipendien. So ist das. Außerdem weiß ich gar nicht, wie ich schreiben soll, um zu gefallen, mit wem ich da konkurrieren soll und mit wem nicht.«

Wir kannten uns etwas über ein Jahr, als Omega mir verkündete, er beginne an einem neuen Roman zu arbeiten, dem fiktiven Blog eines Homosexuellen, der aus seinem Heimatdorf in die große Stadt auszieht, ins Clubleben eintaucht und sich schließlich outet, wodurch er in Konflikt mit seiner Familie und dem kleinpolnischen Provinzmilieu gerät. Neben dem Blog, der den Haupttext ausmachen würde, sollte der Roman auch Fotos, Fragmente von Rezensionen nicht existierender Bücher, einen Stadtplan mit echten und fiktiven Schwulenclubs sowie ein Dossier über die wichtigsten realen und erfundenen Prominenten der homosexuellen Szene enthalten. Das Ganze wirkte sehr ambitioniert. Omega machte sich mit Feuereifer an die Arbeit und sorgte dafür, dass das Buch bereits in aller Munde war, bevor er auch nur eine Zeile geschrieben hatte. Ich wusste damals nichts von seinen wirklichen Absichten, ich wusste nicht einmal, ob er sich überhaupt in der Schwulenszene auskannte – wenn er sich auskannte und in ihr verkehrte, dann hatte er es vor mir verheimlicht.

Als das Buch zu etwa einem Viertel geschrieben war, bemerkte ich einige Veränderungen an Omega. Er war deutlich magerer und zugleich männlicher geworden, unter seinem dünnen Hemd stachen zwei wohlgeformte Bizepse hervor, obwohl ich nichts davon gehört hatte, dass er ein Fitnessstudio besuchte. Außerdem hatte er seinen Kleidungsstil geändert, er schlüpfte jetzt in enge Jeans und körperbetonte Hemden, die an den Schultern etwas weiter geschnitten waren, sodass sich seine Figur zu einem verführerischen »Vau« fügte. Hatte er früher einen Dreitagebart getragen, wie ein Cop in einem amerikanischen Action-Film, präsentierte er sich jetzt glatt rasiert und mit präzise gegeltem Haar, sogar seine Stimme war gleichsam schlanker geworden und wies jetzt eine gewisse Weichheit auf, die mit einer vorsichtigeren Wortwahl einherging. Überrascht über diese Veränderung wagte ich nicht einmal, ihn zu fragen, was geschehen war. Vielleicht hatte ihn das Thema so sehr vereinnahmt, oder vielleicht hatte er irgendetwas in sich entdeckt – Fakt war, dass er immer seltener und lustloser mit Frauen flirtete, bis er ungefähr in der Mitte seiner schöpferischen Arbeit ganz damit aufhörte. Männer sah ich nicht an seiner Seite. Wenn ich ihn auf diese Veränderungen ansprach, tat er alles mit einem Witz ab und starrte auf die zahlreichen Ringe, die jetzt seine Finger zierten.

Omega schrieb etwa sechs Monate, bis er kurz vor den Ferien mir und einigen anderen Auserwählten eine erste Version seines neuen Romans präsentierte. Ich las, lobte und meldete einige Zweifel an, alles in allem äußerte ich die Meinung, dass es nicht schlecht war, jedoch noch einiger Überarbeitung bedurfte. Im Grunde interessierte ich mich weniger für das Buch als vielmehr für die Veränderungen, die mit Omega vorgingen. Sogar seine körperlichen Merkmale hatten sich verändert, was mir anfangs so unglaublich erschien wie eine Hexe, die im Mondschein auf ihrem Besen reitet, oder ein Elefant mit zwei Köpfen. Die traurige Wahrheit wurde jedoch durch Fotografien und Filme aus dem Jahr 2006 bestätigt. Man musste sie nur mit früheren Aufnahmen vergleichen – das waren zwei verschiedene Männer! Und doch derselbe: Omega, der vor Kurzem noch die Figur eines Wrestlers gehabt hatte, war jetzt in den Schultern eingesunken und um mindestens zehn Zentimeter geschrumpft, der Umfang seiner ehemals mächtigen Handwurzel hatte sich auf nahezu mädchenhafte Dimensionen verkleinert, dazu waren auch noch seine Haare verschwunden, nicht nur im Gesicht, sondern auch an den Schultern.

Ehrlich erschüttert fragte ich Omega, ob er vielleicht krank sei, ob etwa der Krebs seinen Leib vertilgte, seine Knochen zermalmte und seine Haarzwiebeln schmorte. Omega verneinte, behauptete im Gegenteil sogar, er habe sich niemals besser gefühlt als jetzt – schlank, leicht und mit einer Stimme wie ein Mädchen. Omegas Rechnung, die noch aus der Zeit stammte, als er dick, schwer und volltönend gewesen war, ging hundertprozentig auf. Ich wählte das Risiko – diesen Titel trug sein Werk nämlich – stürmte vielleicht nicht gerade die Bestsellerlisten, erntete dafür aber ausgezeichnete Kritiken in der Presse, Omega selbst gab eine Menge Interviews, heimste einige Preise ein, darunter auch einen renommierten, der von einer einflussreichen polnischen Wochenzeitschrift vergeben wurde, dann setzte er sich hin und verkündete, er könne, abgesehen von einigen kleineren Jobs, die Schreiberei für ein Jahr an den Nagel hängen. Als das Interesse der Medien allmählich zurückging, nahm Omega seine früheren Beschäftigungen wieder auf, er schlief und spielte, nur dass er jetzt weniger dabei nachdachte. Darüber hinaus stellte ich fest, dass auch sein früheres Äußeres langsam wieder zurückkehrte.

Im selben Maße, in dem er sich von seinem Roman löste und neuen Projekten entgegenstrebte, wuchs er auch wieder, seine Schultern wurden breiter, seine Brust muskulöser und seine Stimme sonorer, der Dreitagebart und der Brustflokati kehrten zurück und mit ihnen auch das Interesse an Frauen. Er war sich überhaupt nicht bewusst, was mit ihm geschehen war, dass er und der Autor von Ich wählte das Risiko zwei völlig unterschiedliche Personen waren, und allmählich fand auch ich mich mit dieser verblüffenden Tatsache ab. Omegas Körper veränderte sich mit jedem seiner Bücher, und genau dies sollte eine Konstante seines Schaffens bleiben.

Dies äußerte sich auf verschiedene Weise. Als Kaczyński und Macierewicz das Thema Lustration aufbrachten, veröffentlichten Wolski, Twardoch und Wildstein ihre neuen Romane, also beschloss auch Omega, etwas über ehemalige Mitarbeiter der Staatssicherheit zu schreiben, dieses Mal aus der Sicht der politischen Mitte. Der Roman spielte gegen Ende der siebziger Jahre und handelte von einer Gruppe Oppositioneller, die sich gegenseitig denunzieren und gemeinsam nach dem Denunzianten suchen. Auch an waschechten Apparatschiks mangelte es dem Roman nicht. Die Form war ebenfalls originell: Omega wich von der traditionellen Romanstruktur ab und kompilierte seinen Roman stattdessen aus fiktiven Berichten, Stenogrammen, Telefongesprächen und dergleichen. Damals hatte ich wirklich Angst um ihn, denn er zeigte sämtliche Merkmale eines Prügelopfers und -täters.

In der Kneipe erschien er mit verbeultem Gesicht, abgeschürften Fingerknöcheln und ausgeschlagenen Zähnen, die gebrochenen Finger wuchsen zum Glück rasch wieder zusammen. Omega ging jetzt tief gebeugt und ähnelte immer mehr einem Spitzbuben, der jeden Moment bereit war zuzuschlagen, er sprach nur wenig und sehr bedächtig, als wollte er nicht zu viel preisgeben, was offenbar aus seiner Erfahrung mit Verhören resultierte. Eine Zeit lang glaubte ich, er werde tatsächlich von jemandem misshandelt, bis ich nach einem durchzechten Abend bei ihm übernachtete und Omega am nächsten Morgen mit einer ganzen Palette neuer, auf wundersame Weise entstandener Verwundungen aufwachte. Ich starrte auf die schrecklichen blauen Flecken, die geschwollenen Lippen und flehte ihn an, er möge aus Rücksicht auf seine Gesundheit kürzer treten, bekam jedoch nur ein hingemurmeltes »Lieber nicht« zur Antwort.

Sein schlimmstes Drama erlebte Omega, als er Funktionen schrieb, eine globalisierungskritische Saga im Stil der zwanziger Jahre, die vom Konsumismus und von der Arbeit in großen Konzernen handelte. Er magerte erneut ab und legte sich eine Brille zu, obwohl seine Augen vor Kurzem noch völlig in Ordnung gewesen waren, seine Finger wurden länger und seine Stimme weicher. Mit sanfter Stimme formulierte er jetzt Sätze, die so lang waren, dass sie kaum zu enden schienen. Die ganze Welt wandte sich gegen Omega: Er aß bei KFC und übergab sich anschließend bis zum Morgengrauen, ähnlich reagierte sein Magen auf alles, was er in großen Supermärkten einkaufte, Markenhosen erwiesen sich als zu eng oder rissen augenblicklich im Schritt auseinander, Schuhe zerschlissen innerhalb einer Woche, außer er kaufte sich die billigsten Sportschuhe auf dem Flohmarkt. Es fehlte nicht viel, und das Buch wäre nie entstanden, denn Omegas Computer spielte völlig verrückt, er hängte sich auf, löschte Textstellen oder fügte von sich aus etwas hinzu. Diese seltsamen Vorkommnisse endeten erst, als er von Vista auf Linux umstieg.

Omega hätte sich nie auf ein so gewaltiges Projekt eingelassen, wenn er sich Sorgen um seine Einkünfte hätte machen müssen. Funktionen wurde großzügig von einer amerikanischen Stiftung finanziert. Doch Omegas Leben wurde in eben jenem Moment unerträglich, als er das Stipendium erhielt. Was auch immer er sich für das Geld kaufte, wofür auch immer er es verschwendete, alles wandte sich gegen ihn. Er kaufte sich günstig einen gebrauchten Opel und wäre fast in ihm verunglückt, die Traumfrau, die er zu einem opulenten Abendessen einlud, erwies sich als Transvestit, ein Füllfederhalter versaute ihm seinen neuen Anzug, und GTA 4, das er sich leichtfertig von seinem amerikanischen Stipendium gekauft hatte, explodierte in seiner Konsole und setzte die Wohnung in Brand. Omega hatte jetzt den Braten gerochen und lebte während der letzten Wochen seiner Arbeit an Funktionen wie ein Eremit, er quartierte sich vorübergehend bei mir oder einer seiner Freundinnen ein, schnorrte Zigaretten und aß ausschließlich, was er von uns bekam. Die Einkünfte aus seinem Buch spendete er vorsichtshalber für wohltätige Zwecke und wendete so weiteres Unglück von sich ab.

Von seinem nächsten Buch, oder vielmehr Prosagedicht, behauptete Omega, es sei von den seltsamen Vorkommnissen inspiriert, die ihm während seiner Arbeit an Funktionen widerfahren waren. Er war sogar überzeugt, auf diese Weise den Zauber zu bannen, der auf seiner schöpferischen Arbeit lastete. Das unbetitelte und nie vollendete Werk sollte vom Verfall der Persönlichkeit handeln, von ihrer Auflösung respektive ihrem Verschmelzen mit dem Kollektiv. Omega war nämlich erschrocken darüber, wie wenig von uns selbst wir in uns finden. Seine Diagnosen fielen unterschiedlich aus, mal waren die neuen Medien schuld, mal der Katholizismus oder sogar die Diktatur der Toleranz, mit der er immer weniger d'accord ging. Das Schreiben fiel ihm schwerer als sonst, er hatte auch nicht damit gerechnet, dass die Motive seines Romans und seines wirklichen Lebens durch dasselbe trübe Flussbett treiben würden. Während Omega den Zerfall der Persönlichkeit untersuchte, verschwand er allmählich selbst. Für mich war dies eine seltsame und grauenvolle Erfahrung, die mit kaum etwas anderem vergleichbar war.

Omega verblasste, wurde grau, flach, zweidimensional, bis ich nur noch sein Profil sah, das da in der Bar an seinem Drink nippte. Er saß steif an seinem Tisch, und egal, von welcher Seite ich mich ihm näherte, immer erschien er mir im Profil, wie ein König auf einem Geldschein, ein polnischer König auf einem polnischen Geldschein, den es bald nicht mehr geben würde, so wie es Omega nicht mehr gibt.

Zurück blieben eine leere Wohnung, die noch die Spuren des kürzlichen Brandes trug, die geschmolzenen Überreste einer Spielkonsole und ein Prosagedicht, unvollendet, abgeschnitten, wie das Leben des jungen Schriftstellers. Manche behaupten, Omega habe es einfach satt gehabt und sei in Richtung Süden gefahren, schließlich konnte er den Winter nicht ausstehen. Ich allein kenne die Wahrheit: Omega war zu seinem eigenen Profil geworden und schließlich ganz verschwunden, fortgeweht vom Wind, der Blätter, Menschen und Literaturtrends gleichermaßen durcheinanderwirbelt. Und ich habe die eigentümliche Hoffnung, dass, wenn ich sein unvollendetes Werk in die Hand nähme, es überarbeitete, ihm vor allen Dingen einen Titel gäbe und es dem Verleger überreichte (denn er wartet noch immer darauf), Omega aus dem Land, in dem er sich gerade aufhält, zurückkehren würde. Er würde sich erneut aus den Zufällen und Notwendigkeiten zusammenfügen, die ihn erschufen, die ihm erlaubten zu existieren und die ihn mit einem Fluch belegten, er würde wieder anfangen zu schreiben und zu flirten und wir würden wieder bis spät in die Nacht zusammensitzen, vorläufig habe ich jedoch Angst, ich könnte sein Schicksal teilen, also sitze ich allein bis spät in die Nacht, denn einen Fluch würde ich, wenn möglich, lieber vermeiden.

Aus dem Polnischen von Heinz Rosenau

Die Erzählung »Omega« ist dem Band »Wolałbym nie. Antologia«, hrsg. von Grzegorz
Jankowicz, entnommen. Korporacja Ha!art, Kraków 2009, S. 59–66.
Copyright © by Łukasz Orbitowski

Copyright © for this edition by Korporacja Ha!art

Artikel erschienen erstmals auf Deutsch im Jahrbuch Polen 2011 Kultur, Wiesbaden 2011.
Dank an das Deutsche Polen Institut Darmstadt.


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