Vertriebene bringen Polen vor Gericht
Kritik von Präsident Lech Kaczynski und BundesregierungBerlin (n-ost) – Über 60 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg muss sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit der Frage beschäftigen: Muss Polen deutschen Vertriebenen Entschädigung zahlen? Die Vertriebenenfirma „Preußische Treuhand“ hat in Straßburg 22 Einzelbeschwerden gegen den polnischen Staat eingereicht. „Dabei handelt es sich um Enteignungen bis 1947“, sagte der stellvertretende Treuhand-Geschäftsführer Gerwald Stanko dieser Zeitung.Bereits die Ankündigung der Klagen hatte in Polen im Herbst 2004 zu heftigen Reaktionen geführt. Damals verlangte das polnische Parlament als Antwort, Warschau solle mit Berlin über Kriegsreparationen verhandeln. Der heutige polnische Präsident Lech Kaczynski stellte damals als Warschauer Oberbürgermeister eine Gegenrechnung auf und bezifferte die Kriegsschäden der polnischen Hauptstadt auf über 40 Milliarden Dollar.Dass die Vertriebenfirma nun Ernst macht, kritisierte Kaczynski. Die Klagen könnten "einige sehr gefährliche Mechanismen in Gang setzen, die die Beziehungen zwischen europäischen Ländern zerstören könnten", warnte er am Freitag in Brüssel. Auch in Berlin distanzierten sich Politiker aller Bundestagsparteien von den Entschädigungsforderungen. „Die Bundesregierung wendet sich gegen die jüngsten Versuche der Preußischen Treuhand, auf dem Klageweg Eigentumsrestitutionen durchzusetzen“, sagte ein Regierungssprecher am Freitag dieser Zeitung. Gegen Polen könnten keine Individualansprüche wegen der Enteignungen in Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg geltend gemacht werden. Bundespräsident Horst Köhler warnte im Sommer 2005 bei einem Staatsbesuch in Warschau vor der „kleinen Zahl von Verhärteten oder Verblendeten, die immer noch von Ansprüchen reden“.Experten bezweifeln, dass die Vertriebenenklagen in Straßburg Erfolg haben werden. „Ich glaube, dass die Klagen endlich scheitern werden“, meint auch der Deutschlandexperte Piotr Buras vom Zentrum für internationale Beziehungen in Warschau. Somit hätte die Klageeinreichung auch einen Vorteil. „Dann ist das Thema endlich vom Tisch“, sagte Buras dieser Zeitung.Polnischer Experte: Klagen könnten den Streit beendenWeil mehrere namhafte Juristen die „Preußische Treuhand“ als Mandaten abgelehnt hatten, verzögerte sich die Einreichung der Klageschrift. Zuletzt verlor die Firma im Oktober 2005 ihren Berliner Anwalt zwei Tage vor einer geplanten Pressekonferenz. Welcher Anwalt die Klage nun vertritt, will die Treuhand erst am Montag auf einer Pressekonferenz in Berlin mitteilen.Nach eigenen Angaben hat die Vertriebenenfirma rund 1000 Teilhaber, darunter die Landsmannschaft Schlesien des Bundes der Vertriebenen (BdV). Gegründet wurde sie Ende 2000 von der BdV-Landsmannschaft Ostpreußen. Im November 2005 verkaufte sie jedoch ihre Anteile. Dem Aufsichtsrat gehören der Bundesvorsitzende der Landsmannschaft Schlesien, der Leverkusener CDU-Ratsherr Rudi Pawelka und der BdV-Vizepräsident, Hans-Günther Parplies, an.Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte kann von jedem Bürger eines der 46 Mitgliedsstaaten des Europarates direkt angerufen werden. Die Beschwerde gegen eine vermeintliche Verletzung der Menschenrechtskonvention muss sich immer gegen einen Staat richten. Viele Eingaben scheitern schon an der ersten Hürde, der Zulassungsprüfung. Eine Voraussetzung ist, dass der Rechtsweg zuvor ausgeschöpft worden sein muss.Selbst ein Sieg in Straßburg bringt nicht zwingend Erfolg. Die Menschenrechtsrichter können ihre Urteile nämlich mangels Exekutivbefugnissen nicht immer durchsetzen. Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass Straßburger Sprüche in Deutschland lediglich berücksichtigt werden müssen, nicht aber bindend sind.Ende----------------------------------------------------------
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