Wirtschaftswunder statt Hinterwäldlerei
„Einen Unfall zwischen einem Touareg und einem Hummer, das habe ich noch nie gesehen“, staunt Frank Scholze. Der Deutsche steht auf einer Straßenkreuzung im Zentrum der kasachischen Metropole Almaty und wundert sich über Jeeps und Edelkarossen mitten in Zentralasien. 15 Jahre nach Staatsgründung boomt in Kasachstan, dem neuntgrößten Staat der Erde, die Wirtschaft. Zehn Prozent Wirtschaftswachstum schätzen Experten für das Land im Jahre 2006. Dank umfangreicher Erdöl- und Erdgasvorkommen ist Kasachstan mit seinen 15 Millionen Einwohnern stärkste Wirtschaft in Zentralasien und damit weit erfolgreicher als seine Nachbarstaaten Turkmenistan, Tadschikistan, Kirgisistan und Usbekistan.
Zentralasien ist sonst eher als rückständige Region bekannt. Hier liegt der austrocknende Aralsee und man findet noch in Jurten lebende Nomaden, alte sowjetische Lenin-Büsten treffen auf orientalische Basare. Doch die Finanzmetropole Almaty und die Hauptstadt Astana werden durch neumodisches Chrom, Glanz und Glitzer dominiert. Neben kleinen Kiosken und obstverkaufenden Omas, eröffnen schicke Nobel-Boutiquen.
Überall wird gebaut. / Cornelia Riedel, n-ost
Auch die Bundesregierung hat die Bedeutung Zentralasiens erkannt. „Definitiv werden wir der Region in den nächsten Jahren mehr Beachtung schenken“, hatte vor einigen Wochen der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier auf seinem Besuch in der kasachischen Hauptstadt Astana gesagt. Eine Zentralasien-Strategie soll während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im kommenden Jahr ausgearbeitet werden.
Doch das Interesse der Deutschen ist nicht allein den Energieressourcen geschuldet. Fast eine Million ehemaliger kasachischer Staatsbürger lebt heute als Spätaussiedler in Deutschland. Mehr als 200.000 Deutschstämmige – Deportierte und Nachfahren der von Stalin in die kasachische Steppe verbannten Wolga-Deutschen – gibt es noch in Kasachstan. Seit Staatsgründung am 16. Dezember 1991 ist Nursultan Nasarbajew der erste Mann an der Spitze des Landes am Kaspischen Meer zwischen Russland und China. Der Despot fördert die Wirtschaft und herrscht gleichzeitig mit harter Hand: Oppositionelle werden eingeschüchtert. Unlängst hat der Präsident ein neues Gesetz unterschrieben, das die Freiheit der Medien in Kasachstan noch mehr beschränkt. Vorläufiger Höhepunkt einer Reihe von Repressionen war die Ermordung Altynbek Sarsenbajews im Frühjahr 2006. Der Kasache war führender Politiker der Partei „Für ein gerechtes Kasachstan“ und einflussreicher Gegner des Präsidenten. Aufsehen erregte auch der Mord an einem französischen Journalisten im August in Almaty, der bislang ebenfalls unaufgeklärt ist.
Lenin-Büste im Family-Park, einem Erlebniszentrum fern der Innenstadt.
/ Cornelia Riedel, n-ost
Doch die Wirtschaft boomt und selbst wenn die offizielle Angabe vermutlich geschönt ist, nach der 91 Prozent der Kasachen bei den Präsidentschaftswahlen vergangenen Winter Nasarbajew wiedergewählt haben, so unterstützt doch die deutliche Mehrheit der Bevölkerung den seit 15 Jahren regierenden Ex-Kommnisten. Er gilt als Garant für den Aufschwung. Tochter Dariga Nasarbajewa ist Herrin über ein Medienimperium, ihr Ehemann Rachat Alijew ist Vizeaussenminister, Nasarbajews zweiter Schwiegersohn ist der einflussreichste Mann einer der beiden staatlichen Ölgesellschaften. Für 2009 hat sich die kasachische Regierung um den OSZE-Vorsitz beworben. Im Januar trifft sich Nasarbajew mit Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin.
Vom Reichtum im Lande Dschingis Khans bekommen nicht alle etwas ab und einige sehnen sich sogar zurück in die Sowjetunion – auch wenn die meisten Jungen die UdSSR nur noch aus den Geschichten ihrer Eltern kennen: „Jetzt haben wir die Freiheit und können reisen, wohin wir wollen und es gibt alles zu kaufen, doch wir haben kein Geld dazu“, sagt die 27-jährige Nadja Burluzkaja, die als Sekretärin 300 Dollar im Monat verdient. Zu Sowjetzeiten, als Kasachstan noch die Kasachische Sowjetrepublik war, sei das anders gewesen. „Meine Eltern sind damals einfach so nach Moskau geflogen und jetzt macht sich meine Mutter schon Sorgen, wenn ich mal nicht zur rechten Zeit nach Hause komme, weil es so gefährlich geworden ist“, erzählt die 19-jährige Nastja. Sie hat Germanistik studiert und träumt davon, nach Deutschland zu fahren. „Kasachstans ökonomische Fortschritte sind enorm, doch die Demokratie bildet sich nur langsam heraus“, sagt Christopher Krafchak, Anwalt bei der amerikanischen Nichtregierungsorganisation ABA, „wir hoffen, dass sich Kasachstan von einer Politik der Rückwärtsbewegungen, wie sie in anderen Staaten der Region stattfindet, abwendet.“