Rumänien

„Wir sind nicht die Vereinigten Staaten von Europa“

Warum eine Sprache nicht reicht – Leonard Orban über seine Arbeit als erster rumänischer EU-Kommissar in Brüssel

Bukarest/ Brüssel (n-ost) – Leonard Orban wird ab 1. Januar das Amt des EU-Kommissars für Sprachenvielfalt übernehmen. Das Europaparlament in Brüssel hat am Dienstag den bisherigen Verhandlungsführer Rumäniens für den Beitritt zur Europäischen Union in dieses Amt gewählt. Gleichzeitig wurde die Bulgarin Meglena Kunewa zur Kommissarin für Verbraucherschutz bestimmt. Orbans Ressort  Mehrsprachigkeit fiel neben Erziehung und Kultur bislang ins Aufgabengebiet des slowakischen Kommissars Jan Figel, ab 2007 wird es eigenständig. Der parteilose Leonard Orban (45) übertrifft die europäische Maxime der Mehrsprachigkeit „Muttersprache plus zwei“: Er spricht fließend Rumänisch, Englisch und Französisch. Italienisch und Ungarisch beherrscht er passiv. Warum er den Europäern das Sprachenlernen ans Herz legt und was Europa von den Rumänen zu erwarten hat, erklärt er im Interview mit unserer Mitarbeiterin Katharina Lötzsch.FRAGE: Herr Orban, ab Januar werden Sie als erster Rumäne Mitglied der EU-Kommission sein. Bislang haben Sie das Gremium aus der Perspektive des rumänischen Verhandlungsführers erlebt, dessen Arbeit streng überwacht wurde. Fühlten Sie sich dabei fair behandelt? Immerhin stand doch der Beitritt Rumäniens lange auf der Kippe. Orban: Ob das fair war, ist schwer zu beurteilen. Es war jedenfalls Tatsache. Und die Kommission hatte dafür zwei Gründe: Erstens ist die Erweiterungsstimmung in der EU nicht mehr so positiv wie 2004 und zweitens wusste die Kommission durch den Beitritt der zehn Staaten um die schwierigen Punkte – sie wollte nicht die gleichen Probleme noch einmal mit Rumänien und Bulgarien haben. FRAGE: Zum Beispiel?Orban: Die Kommission bestand etwa darauf, die Verwaltungsstellen für Strukturfonds und Fördergelder zur Finanzierung vom Umwelt- und Verkehrsprojekten viel schneller einzurichten. Man wollte das in trockenen Tüchern haben.FRAGE: Welche war die härteste Phase der Erweiterungsverhandlungen für Rumänien?Orban: Die letzten Monate des Jahres 2004. Die Reform staatlicher Subventionsstrukturen war unglaublich hart. Wir mussten die Spielregeln dafür in Rumänien komplett ändern. Hinzu kamen viele schwierige Aspekte bei der Umgestaltung des Justizsystems. FRAGE: Eine Umfrage unter EU-Mitarbeitern in Brüssel ergab, dass mehr als die Hälfte Rumänien für altmodisch und unordentlich halten. Was antworten Sie Ihren künftigen Kollegen?Orban: Das stimmt nicht (schüttelt energisch den Kopf). Ja, in einigen ländlichen Bereichen ist die Modernität noch nicht ganz angekommen und Rumänien braucht ein besseres Organisationsmanagement. Aber man kann die Dynamik des Landes fühlen. Die junge Generation ist enorm zukunftsorientiert. Ich weiß, Rumäniens Image ist in vielen Ländern nicht gut. Aber das spiegelt einfach nicht die Realität wieder. Rumänien muss seinen Erfolg besser kommunizieren. FRAGE: Nun klopfen die Türkei und Kroatien als nächste Länder an die Tür der EU. Welchen Rat geben Sie deren Verhandlungsführern?Orban: Sie müssen den Beitrittsprozess als interne Transformation verstehen, weniger als diplomatische Verhandlung mit der EU. Für die beiden Länder wird der Wandel noch schwieriger als für Rumänien. Die heiklen Kapitel des Acquis Communautaire werden sehr früh verhandelt werden. FRAGE: Kritiker frotzeln, ihr neues EU-Ressort „Mehrsprachigkeit“ sei „viel zu dürftig“ für einen EU-Kommissar. Wurden die Rumänen als Neumitglieder mit einem „Hausmeisterposten“ abgespeist?Orban: Das Thema wird eindeutig unterschätzt. Es hat politische, wirtschaftliche und soziale Auswirkungen. Sprachenvielfalt dient als Fundament – mit Verbindungen zu Kultur, Bildung und Wettbewerbsfähigkeit. Es betrifft die linguistischen Rechte von Minderheiten und die offiziellen Sprachen der EU. Ich werde künftig für mehr als 3400 Mitarbeiter zuständig sein, mehr als 15 Prozent des Kommissionspersonals. Nein, es wird keinesfalls ein Aufgabenbereich „light“.FRAGE: Ab Januar wird die Europäische Union 23 offizielle Sprachen haben: Gaelisch, Rumänisch und Bulgarisch kommen hinzu. Sollten wir uns der Einfachheit halber nicht auf eine Lingua Franca einigen?Orban: Nein. Dieses Nebeneinander offizieller Sprachen bewahrt die einmalige kulturelle Vielfalt Europas. Wir sind nicht die Vereinigten Staaten von Europa! Der Sprachenreichtum bestimmt unser Kulturerbe. FRAGE: Aber ein Übersetzungstag kostet die EU rund 90.000 Euro.Orban: Ja, wir müssen diese Kosten im sinnvollen Rahmen halten. Deshalb wird die Anzahl der übersetzten Dokumente limitiert, nicht alle Unterlagen werden in alle offiziellen Sprachen übertragen – einige nur in Englisch, Französisch und Deutsch. FRAGE: Wenn Dokumente nicht in alle Sprachen übersetzt werden, haben die EU-Bürger keinen vollen Zugang zum Entscheidungsprozess. Trägt das nicht zum  vielbeschworenen Demokratiedefizit in der EU bei?Orban: Gesetze, die das Leben der Menschen betreffen, müssen natürlich in deren Muttersprachen übersetzt werden. Es gibt übrigens nicht nur eine starke Lobby für umfassende Übersetzungen in alle offiziellen Sprachen, sondern auch eine für Regionalsprachen. Fast zehn Millionen Europäer sprechen Katalanisch. Sie fragen, warum Maltesisch, was von etwa 500.000 Menschen gesprochen wird, eine offizielle Sprache ist, Katalanisch aber nicht. FRAGE: Sie haben angekündigt, das Sprachenlernen zu fördern; „Muttersprache plus zwei“ heißt das Credo. Bildung fällt allerdings eher der nationalen Gesetzgebung zu. Kann man die Menschen in Europa zwingen, Fremdsprachen zu büffeln? Orban: Nein, wir werden auch die Mitgliedsstaaten zu nichts zwingen. Aber die Kommission kann Sprachenlernen stimulieren und herausragende Projekte unterstützen. Die Mobilität und die Ausbildung der Sprachlehrer können verbessert werden, um die Qualität der Kurse zu maximieren. FRAGE: Etwa 30 Prozent der Bürger Europas sprechen bereits „Muttersprache plus zwei“. Reicht das nicht – für die Wettbewerbsfähigkeit zum Beispiel?Orban: In rumänischen Supermärkten findet man einige Elektroprodukte, deren Gebrauchsanleitung nur auf Englisch beiliegt. Für die Käufer kann das kompliziert werden. Internationale Unternehmen müssen heute in der Lage sein, in der Muttersprache ihrer Kunden zu kommunizieren und dafür brauchen sie eine gute Strategie für Mehrsprachigkeit – vor allem kleine und mittelständische Firmen, wenn sie auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähig sein wollen. FRAGE: Mehrsprachigkeit also als Wirtschaftsfaktor?Orban: Mehrere Fremdsprachen zu lernen, verbessert die Mobilität der Menschen, was wiederum Arbeitsplätze sichern hilft und die soziale Integration fördert. Ein Beispiel: Innerhalb der EU haben wir leider nur sehr wenige Menschen, die Chinesisch oder Indisch sprechen. Das wird letztlich die Konkurrenzfähigkeit der EU beeinflussen, denn immer mehr Chinesen und Inder lernen Englisch und Französisch. Das ist global ein enormer Vorteil. Ende
ZUR PERSON:Leonard Orban (45) ist studierter Ingenieur und arbeitete im Traktorenbau. Die Politiklaufbahn des parteilosen Orban begann 1993 als Berater des rumänischen Parlaments in EU-Fragen. Im Zuge des Beitritts zur Europäischen Union wurde er 2001 stellvertretender Verhandlungsführer, 2004 schließlich Chefunterhändler seines Landes und Staatssekretär des Ministeriums für Europäische Integration. Auf dem Beitrittsvertrag steht seine Unterschrift neben der des rumänischen Präsidenten Traian Basescu. Für den Posten des EU-Kommissars für Sprachenvielfalt wurde zuerst der rumänische Senator Varujan Vosganian vorgeschlagen. Die Nominierung wurde wegen Vosganians Verstrickung in Korruptionsaffären in Brüssel heftig kritisiert und zurückgenommen. Leonard Orban wird mit seiner Frau nach Brüssel umziehen, die Tochter legt in Rumänien ihren Schulabschluss ab. ENDE------------------------------------------
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