Von der Landkarte ausgelöscht
Trotz Klimawandel setzt Tschechien auf BraunkohlePrag (n-ost) – Horni Jiretin, eine kleine Gemeinde in Nordböhmen, am Rande des Erzgebirges. Eine denkmalgeschützte Kirche, eine Gaststätte, eine Grundschule und knapp 2.000 Einwohner. Bis zur sächsischen Grenze sind es nur noch wenige Kilometer. Auf den ersten Blick wirkt hier alles sehr idyllisch. Doch schon in wenigen Jahren könnte Horni Jiretin für immer von der Landkarte Tschechiens verschwunden sein. Der Grund dafür wird vom maroden Barockschloss Jezeri aus sichtbar, das den Blick auf eine weitläufige Mondlandschaft in der Talsenke offenlegt. Braunkohle wird hier gefördert, ein bedeutender Wirtschaftsfaktor im Erzgebirge – doch zugleich auch das Todesurteil des Dorfes, unter dem weitere Kohlevorkommen vermutet werden. „Horni Jiretin war schon im Kommunismus zur Vernichtung verurteilt gewesen, wie viele andere Orte in der Umgegung auch“, sagt der stellvertretende Bürgermeister, Vladimir Burt. Investiert wurde hier schon vor der politischen Wende kaum, das zeigen auch die Schäden am Schloss Jezeri, an dem der Zahn der Zeit nagt. Die Regierung sei Jahrzehnte lang davon ausgegangen, dass die Gemeinde eines Tages ohnehin abgebaggert werden soll, um den nahe gelegenen Tagebau auszuweiten, erklärt der parteilose Ortsvorsteher.
Martin Mileska: „Was die Braunkohleförderung angerichtet hat, ist mit nichts zu entschuldigen“. Foto: Veronika WengertUmziehen will die große Mehrheit jedoch nicht: Noch im Vorjahr stimmten drei von vier Bürgern bei einem Referendum für den Erhalt von Horni Jiretin. In der Zwischenzeit habe die Bergbaugesellschaft jedoch einige Einwohner mehr auf ihre Seite ziehen können, so Burt. Mit Flugblättern, Kundgebungen und Aufklebern auf ihren Autos kämpfen die Bewohner von Horni Jiretin gemeinsam für den Erhalt ihres Dorfes. Das Angebot der Regierung: Drei neue Standorte zur Auswahl, für den Neuaufbau von Horni Jiretin. Es sei jedoch ein Irrwitz, so Burt, denn die vorgeschlagenen Stellen würden sich allesamt ebenfalls auf Braunkohle-Gebiet befinden. Daher sei es auch dort nur eine Frage der Zeit, wann das Dorf erneut abgetragen werden müsse.Die winzige Kirche mit rotem Zwiebeldach im Zentrum von Horni Jiretin, die noch aus dem 14. Jahrhundert stammt, ist jedenfalls kein Grund für den Erhalt der Ortschaft. Vize-Bürgermeister Burt verweist auf das viel größere Gotteshaus in der nahe gelegenen Kleinstadt Most. Als die dortige Altstadt in den 1970er Jahren abgebaggert wurde, versetzte man die Kirche kurzerhand um einige hundert Meter. Heute sticht das pastellgelbe Sakralgebäude direkt an der Autobahn von Prag nach Dresden den Reisenden sofort ins Auge.Allein steht Horni Jiretin mit seinem Schicksal nicht da: Abgebaggert werden soll auch der benachbarte Ortsteil Cernice. Die Liste lässt sich beliebig fortsetzen: Rund 200 Orte in Tschechien mussten in den vergangenen 50 Jahren dem Bergbau weichen, mitsamt ihrer kulturellen Tradition. Ähnlich wie in Sachsen: Hier haben die Bewohner von Heuersdorf, rund 30 Kilometer südlich von Leipzig, erst vor einem Jahr den Kampf gegen den Kohleabbau verloren. Mit dem Urteil wurde der jahrelange Gerichtsstreit zwischen Anwohnern und Tagebaubetreiber MIBRAG beendet. Das Kohlevorkommen von Heuersdorf reicht dabei gerade mal knapp viereinhalb Jahre, um das sächsische Kraftwerk Lippendorf weiter zu betreiben.
Antonin Blazek, ehemaliger Bürgermeister von Nova Vies, passt heute auf den Windkraft auf. Foto: Veronika WengertBraunkohle spielt in Tschechien nach wie vor eine große Rolle: Sie macht bei der Stromgewinnung gut 60 Prozent aus, während 35 Prozent auf die Kernkraft entfallen. Alternative Energiequellen stecken hingegen noch in den Kinderschuhen. Vorigen Sommer wurde jedoch ein neues Gesetz zur Förderung erneuerbarer Energien verabschiedet. Dieses sieht vor, den Anteil von grünem Strom bis 2010 auf acht Prozent anzuheben – das ist fast doppelt so viel wie heute. Das neue Gesetz garantiert den Betreibern alternativer Anlagen zudem die Abnahme von Öko-Strom auf 15 Jahre. Wichtigste Lieferanten von grünem Strom sind bislang Wasser und Biomasse, die Windkraft spielt in Tschechien unterdessen noch eine untergeordnete Rolle. Doch gerade auf den Wind setzt die Umweltorganisation „Duha“ (Regenbogen) ihre Hoffnung. Die Vereinigung gilt als einflussreichste Naturschutzvereinigung in Tschechien und hat bei der Iniitierung des neuen Stromgesetzes maßgeblich mitgewirkt. Martin Mikeska ist Experte für erneuerbare Energien bei Duha: „Was die Braunkohleförderung angerichtet hat, ist mit nichts zu entschuldigen“, sagt der 27-Jährige. Die Zukunft liege in der Windkraft, die vorhandene Kapazität müsse erweitert werden, selbstverständlich im Einklang mit der Natur und den Anwohnern. Diese hätten oftmals Angst vor dem Lärm der Windräder, was jedoch unbegründet sei, beschwichtigt Mikeska. Rund ein Dutzend Windparks gibt es heute in Tschechien. Einer davon befindet sich in Nova Ves, nur wenige Kilometer vom Braunkohletagebau entfernt, der Horni Jiretin zu verschlingen droht. An diesem Herbstmorgen bläst der Wind hier vom Erzgebirge besonders eisig herüber. Antonin Blazek zieht sich die Schirmmütze tief ins Gesicht und zeigt auf die beiden monoton rotierenden Windräder: Hier sei die beste Gegend für Windkraft in Tschechien, das habe eine Studie des Bezirksamts Usti nad Labem ergeben. Zwei Dörfer könne man mit der Kapazität der Anlage versorgen. Blazek war 32 Jahre lang Bürgermeister von Nova Ves, heute passt er auf den Windpark auf. Wenn es Störungen gibt, ruft Blazek in der Zentrale in Brandenburg an, wo der deutsche Investor seinen Hauptsitz hat. Alleine könnte sich die Gemeinde solch eine Anlage nicht leisten, denn die Kosten von rund zwei Millionen Euro pro Windrad übersteigen das Jahresbudget um fast das Zehnfache. Geld für seine Arbeit bekommt Blazek nicht, dafür begleitet er das Projekt von Anfang an. Allerdings profitiert die Gemeinde davon: Monatlich gehen 700 Euro für die beiden Windräder ein. Mit dem Geld wurden bereits Kino und Kulturzentrum in Nova Ves modernisiert. Seither sei auch die Bevölkerung weniger skeptisch: Acht von zehn Bewohnern würden die Windkraft inzwischen befürworten, sagt Blazek.Dass in ganz Tschechien unterdessen eine zunehmende Sensibilisierung für die Umwelt eingesetzt hat, machen die jüngsten Wahlen zum Abgeordnetenhaus im Juni dieses Jahres deutlich: Dabei stimmten 6,3 Prozent der rund acht Millionen Wahlberechtigten für die Grüne Partei, die „Strana zelenych“. Diese engagiert sich nicht nur für alternative Energiequellen, sondern auch dafür, dass Ortschaften wie Horni Jiretin künftig nicht nur in den Geschichtsbüchern weiter bestehen werden.ENDE
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