Rastlose Rentner
Weil ihre Rente kaum zum Leben reicht, ist für viele Polen Ruhestand ein Fremdwort
Olsztyn (n-ost) - Wenn Bogusia Godlewska morgens um Sechs das eiserne Tor des bewachten Parkplatzes aufschiebt, damit die Autobesitzer zur Arbeit fahren können, hat sie schon acht Stunden Dienst hinter sich. Die kleine drahtige Frau wirkt trotzdem nicht müde, packt sofort ihren Besen und die Kehrschaufel und beginnt, das Laub zwischen den Autostellplätzen zusammenzufegen. „Ich mag meinen Job. Muss ich ja, schließlich verdiene ich damit mein Geld“, sagt Godlewska resolut. Keine ungewöhnlichen Worte, wenn sie nicht schon 74 Jahre alt wäre. Und die Rente? „Die Rente“, Godlewska macht eine wegwerfende Handbewegung, „von der Rente bleiben mir nach Zahlung von Miete und Nebenkosten 520 Zloty (140 Euro). Soll ich etwa davon leben?“ Auf dem Parkplatz in der Kormoransiedlung im ermländischen Olsztyn (Allenstein) arbeitet Godlewska schon seit fünf Jahren. Bis sie 60 Jahre alt war hat sie in Krankenhäusern im Reinigungsdienst gearbeitet. Dann ging sie in Rente und direkt wieder arbeiten: Als Hausmeisterin. Ihren Dienst auf dem Parkplatz versieht sie montags bis freitags von 5.00 - 8.30 Uhr. Dazu kommen die Nachtwachen. Mal nur eine die Woche, dann wieder mehrere Tage hintereinander.
In Godlewskas Bekanntenkreis gehen alle Rentner noch arbeiten, sofern sie einen Job finden und körperlich in der Lage sind, ihn auszuüben. „Wie lange ich noch arbeiten werde? Na, so lange bis ich wieder in die Windeln mache“, sagt sie drastisch.Zu wenig Geld für den Ruhestand. Rentner Karol Wiechec arbeitet als Portier bei einer Wohnungsgesellschaft. Foto: Julia Klabuhn„Die Renten in Polen sind nicht so hoch, dass alle Rentner von dem Geld im Alter durch die Welt reisen können“, betont Michal Kraszewski, Sprecher der staatlichen Rentenversicherungsanstalt ZUS in Olsztyn. Er beziffert die monatliche Durchschnittsrente in Polen auf 1200 Zloty, das sind etwas über 300 Euro. „Allerdings sind die Lebenshaltungskosten in Polen noch geringer als in Deutschland“, gibt Kraszewski zu bedenken. Er sieht das Hauptproblem der niedrigen Altersbezüge vor allem in dem Unwillen, privat für das Alter vorzusorgen.Immerhin hat er die Hoffnung, dass sinkenden Geburtenraten in Polen keine Gefahr für das polnische Rentensystem darstellen werden. Schon 1997 hat das Land eine Reform durchgesetzt. Die Einzahlungen in die staatliche Rentenversicherung werden nun durch Anlagen in Rentenfonds ergänzt. Arbeitnehmer und Arbeitgeber müssen in einen von zwölf Fonds einzahlen. Abgesichert ist das System durch eine Bürgschaft des Staates.
„Ob die Renten dadurch höher ausfallen, können wir zur Zeit noch nicht sagen, die ersten Auszahlungen aus den Fonds werden 2015 erfolgen“, erklärt Kraszewski. „Es gibt auch Stimmen, die sagen, dass die Renten eher sinken werden“, ergänzt er. Eine weitere Änderung im Rentengesetz tritt im kommenden Jahr in Kraft. Die Möglichkeit, fünf Jahre früher in den Ruhestand zu gehen, wird abgeschafft. Künftig sollen Frauen in jedem Fall bis 60 arbeiten, Männer bis 65. Ob die Arbeitnehmer aber so lange arbeiten können ist unklar. „Der Arbeitsmarkt für Ältere ist schwierig, über 50-Jährige, die arbeitslos werden, haben große Probleme, wieder einen Job zu finden“, gibt Kraszewski zu.Ein Teil der älteren Jobsuchenden und Rentner wendet sich deshalb an Agenturen, die darauf spezialisiert sind, Ruheständler in Arbeit zu vermitteln. Ein wachsender Geschäftszweig ist dabei der Wachdienst. „Allein in der Region um Olsztyn gibt es etwa 50 Security-Agenturen“, schätzt Jan Sobolewski, selbst Gründer eines solchen Unternehmens. Seine Agentur „Effekt Warmia“ hat ihren Sitz in einem ehemaligen Kasernengebäude am Westrand der Stadt. „Wir beschäftigen zur Zeit 300 Personen, ehemaligen Polizisten und Soldaten, aber auch Rentner aus zivilen Berufen“, erzählt er und fügt hinzu: „Als Hausmeister oder im Wachdienst können die Ruheständler ihr verfügbares Einkommen verdoppeln.“ Er selbst konnte als Polizist schon mit 45 Jahren in Ruhestand gehen. „Man bekommt dann nur 60 Prozent der Rente und deshalb ist es gut weiterzuarbeiten, aber vor allem war es für mich psychologisch wichtig, weiter gebraucht zu werden“, meint Sobolewski. Während Bogusia Godlewska endlich das eiserne Tor zum Parkplatz hinter sich schließen kann, ist Karol Wiechec noch im Dienst. Er hat 24-Stundendienst als Portier im Verwaltungsgebäude einer Wohnungsgesellschaft. „Bis vor kurzem waren es immer nur 16 Stunden hintereinander. Aber die längeren Dienste sind besser, weil ich ja auch zwischendurch länger frei habe“, lächelt der ältere Herr. Wiechec war Soldat und hat zu Beginn seines Ruhestands noch als Bibliothekar im selben Truppenteil gearbeitet, in dem er diente. „Der Truppenteil ist aufgelöst worden - deshalb bin ich jetzt Tag- und Nachwächter.“ *** Ende ***
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