Tal der Pyramiden in Bosnien
Als er im April 2005 nach Bosnien zurückkam, wollte er einfach nur seine Heimat besuchen, ohne sich wirklich länger dort aufzuhalten. Doch der bosnisch-herzegowinische Archäologe Semir Osmanagic, der schon seit Jahrzehnten in den Vereinigten Staaten lebt, entdeckte etwas, was zum Mittelpunkt seines Lebens und seiner Arbeit geworden ist und es sicherlich in den nächsten Jahren bleiben wird.In der Stadt Visoko, die 20 Kilometer von der Hauptstadt Sarajewo entfernt liegt und Sitz des mittelalterlichen bosnischen Königreichs gewesen ist, besichtigte Osmanagic auch das örtliche Heimat-Museum. „Der Leiter des Museums, Professor Senad Hodric, schwärmte mir stundenlang von der reichen mittelalterlichen Geschichte Bosniens und den Resten der damaligen Hauptstadt Visoki vor, die sich auf dem Berg Visocica befand. Und ganz nebenbei erwähnte er auch, dass der Berg eine streng pyramidale Form hat.“ Diese beiläufige Bemerkung begann Osmanagic zu fesseln. „Da die Natur nur selten Gebirgen eine geometrische Form schenkt, begann ich den Berg intensiv zu beobachten und bemerkte, dass die vier Seiten der Pyramide den vier Himmelsrichtungen folgen, wie bei den meisten Pyramiden in der Welt“. Osmanagic war sich sicher: unter der dünnen Erdschicht befindet sich die erste in Europa entdeckte Pyramide.
Der pyramidenförmige Berg Visocica aus der Vogelperspektive / Sasa Gavric, n-ost
Das bosnische Wissenschaftsministeriums und die Denkmalschutzbehörde zeigten sich kooperativ, so begannen im August 2005 die ersten archäologischen und geologischen Untersuchungen, die schnell für internationale Aufmerksamkeit sorgten, bahnte sich doch in den bosnischen Bergen eine archäologische Sensation an. Am Montag dieser Woche stellte nun Osmanagic bei einer internationalen Pressekonferenz die Ergebnisse seiner eineinhalbjährigen Ausgrabungen vor. Demnach verbergen die Erd- und Waldmassen um die Stadt Visoko insgesamt fünf Pyramiden: die Pyramide der Sonne, des Mondes, der Erde, des Drachens und der Liebe. Mit einer Höhe von 220 Metern sei die „Pyramide der Sonne“ als größtes der fünf entdeckten Bauwerke um ein Drittel größer als die Cheops-Pyramide von Ägypten. Ihre Seiten seien insgesamt 365 Meter lang und stünden im 60-Grad-Winkel zueinander. Die bosnische „Pyramide der Sonne“ sei damit die größte Pyramide der Welt. Ihre Entstehung datiert Osmanagic auf das Jahr 10500 vor Christus. „Ausgrabungen, die dutzendweise am Berg Visocica durchgeführt wurden, zeigen Steinplatten die kontinuierlich die Seitenwände der Pyramide bilden und es wurden auch mehrere Eingänge in ein Tunnelsystem gefunden, das die einzelnen Pyramiden verbindet“, teilte Osmanagic mit. „Dort fanden wir immer wieder Inschriften, die die Spuren der ältesten europäischen Schrift sein könnten.“
Der Archäologe Semir Osmanagic. Foto: Sasa Gavric
Gestützt werden Osmanagics Interpretationen durch die ägyptische Archäologin Lamiya El Haddydi, die zwei Wochen lang Teil des hundertköpfigen Ausgrabungsteams gewesen ist: „Dies ist eine archäologische Lokalität mit Steinstrukturen, die durch Menschenhand geschaffen wurden. Die Natur kann eine Seite des Berges an die Himmelrichtungen anpassen, aber auf keinen Fall drei oder vier Seiten am gleichen Berg. Hier handelt es sich klar um eine Pyramide.“Die internationale Fachwelt reagiert dennoch kritisch auf die Nachrichten aus Visoko. In der US-amerikanischen Fachzeitschrift „Archeology“ sind die bosnischen Pyramiden in mehreren Beiträgen diskutiert worden, jedes mal mit dem gleichen Resultat: in Bosnien gibt es keine Pyramiden. Auch der weltbekannte Ägyptologe Dr. Zahi Hawass betont, dass die „Pyramide“ in Wahrheit nur ein steiler Berg neben einem Dorf sei. „Das was dort ausgegraben wurde, sind nur große Steinmassen, die auf eine natürliche Art und Weise entstanden sind. Ähnlich äußerte sich der US-amerikanische Archäologe Dr. Robert Schoch, der vor Ort eigene Untersuchungen anstellte. Auch die Europäische Archäologen-Vereinigung hält wenig von Osmanagics Thesen, genau wie die bosnische Archäologen-Vereinigung, die immer wider betont, dass sie mit den Untersuchungen in Visoko nichts zu tun habe.
Die Stadt im Geiste der PyramidenAuch wenn die Arbeiten in Visoko in Fachkreisen auf wenig Gegenliebe stoßen, die Region profitiert schon jetzt von Osmanagics Vision: Die Stadt Visoko, noch vor zwei Jahren eine unbedeutende Kleinstadt in der Umgebung Sarajewos, ist zur Anlaufstelle für Fernsehteams aus aller Welt geworden. CNN, BBC, ABC, ARD - das sind nur einige Namen von internationalen TV-Stationen, die die Ausgrabungen besucht haben.
Die Berichterstattung hat dazu beigetragen, dass Visoko zum Touristenmagnet geworden ist. „Jedes Wochenende kommen bis zu 10 000 Besucher zur Besichtigung der Pyramiden. Früher hat es Jahre gedauert bis wir diese Zahl erreicht haben“, sagt Muamer, einer von vielen Souvenirverkäufern, die kleine Plastik-Pyramiden, T-Shirts mit Pyramidenaufdruck und ähnlichen Nippes im Sortiment haben. Dass es so positiv weiter geht, erhoffen sich nicht nur die Souvenirverkäufer. Die ganze Gemeinde lebt im Geiste der Pyramiden und erwartet nun mit großer Hoffnung die Ankunft einer UNESCO-Kommission, die im Jahr 2007 die vielen aufgestellten Hypothesen untersuchen soll. Sollte sie sich überzeugen lassen, müssten große Teile der europäischen Geschichte neu geschrieben werden.