Verflechtung über vier Zeitzonen hinweg
Nadja Burluzkaja ist eine von denen, die es nicht geschafft haben, sich ihren Traum von einem Leben in Deutschland zu erfüllen. Die 27-Jährige lebt in Almaty, der ehemaligen kasachischen Hauptstadt, 5.000 Kilometer von Deutschland entfernt. „Klar bin ich Deutsche“, sagt sie, in fließendem Deutsch mit dem rollenden „R“ der Leute aus dem Osten. Ihre Mutter ist deutschstämmig, ihr Vater Russe, doch ihrem Aufnahmeantrag zur Ausreise nach Deutschland wurde bisher nicht zugestimmt. Im Deutschen Haus in Almaty arbeitet sie als Chefsekretärin.
Ungefähr 220.000 Deutschstämmige gibt es noch im neuntgrößten Land der Erde, der ehemaligen Kasachischen Sowjetrepublik, in deren Steppe Stalin in den 1930er und 1940er Jahren auch die Deutschen von der Wolga deportieren ließ. Die meisten der ehemals knapp eine Million Deutschstämmigen sind schon in den 1990er Jahren nach Deutschland ausgereist. Seit Anfang 2005, seitdem ein Sprachtest für alle Ausreisewilligen Bedingung ist, gingen die Aussiedlerzahlen noch einmal drastisch zurück. Während Mitte der 90er Jahre jedes Jahr 120.000 ins Land ihrer Vorfahren umzogen, so sind 2005 gerade mal 35.000 nach Deutschland ausgewandert. „Ich rechne damit, dass die Übrigen jetzt hier bleiben“, sagt Alexander Dederer, Chef der „Wiedergeburt“, der Organisation der Russlanddeutschen in Kasachstan.
Deutscher Gebrauchtwagen in Almaty. / Cornelia Riedel, n-ost
„Den Bleibewillen stärken“ ist auch der Leitsatz, unter dem Deutschland seit Anfang der 90er Jahre die Minderheit in dem zentralasiatischen Land subventioniert. So werden unter anderem die Organisation „Wiedergeburt“, Gesundheitsversorgung, Kulturangebote und Sprachunterricht gefördert. Anlaufpunkt und Zentrale der Deutschstämmigen in Kasachstan ist das Deutsche Haus in Almaty. Hier sitzt der Rat der Deutschen, die „Wiedergeburt“, es gibt ein soziales Zentrum, eine Jugendorganisation, eine kleine deutschsprachige Zeitung und die „Deutsch-Kasachstanische Unternehmer-Assoziation“. „Die Unterstützung aus Deutschland ist in den letzten Jahren rückläufig und die Hiesigen müssen eigene Wege finden, ihre Strukturen zu finanzieren“, sagt Annegret Westphal von der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), die im Auftrag des Bundesministeriums des Innern (BMI) das Programm für die deutsche Minderheit leitet und sie in die Selbständigkeit führen soll. Noch ist die „Wiedergeburt“ zu 100 Prozent aus deutschen Mitteln finanziert, 21 regionale Zentren der deutschen Minderheit gibt es in ganz Kasachstan.
Der Berliner Alexander Schröder leitet in Almaty die „Deutsch-Kasachstanische Unternehmer-Assoziation“. / Cornelia Riedel, n-ost
Doch eine Förderung für die nach Deutschland strebende Zielgruppe sei schwierig zu organisieren. „Angehörige der Minderheit, die hier in den 90ern ausgebildet wurden, sind ausgewandert, und man musste immer wieder neu angefangen, die Strukturen aufzubauen. Hier in Kasachstan entwickelt sich die Wirtschaft positiv und damit auch die Situation der Russlanddeutschen“, erzählt die Deutsche, die seit anderthalb Jahren für die GTZ in Kasachstan arbeitet. Noch krankt es an vielem: „Kommunikationsprobleme und fehlendes Management auf Seiten der Minderheit erschweren den Übergang in die Selbstverwaltung“, erzählt Westphal. „Kasachstan ist eine wichtige Chance für das BMI und die GTZ, ein positives Beispiel für die Selbstorganisation der Deutschstämmigen zu werden“, ist sie überzeugt. „Wenn es uns gelänge, die „Wiedergeburt“ hier zu erhalten und ein eigenständiges Management für Eigentum und Organisation aufzubauen, dann wäre das gut“, so Westphal. Denn beide Seiten scheinen von den engen Beziehungen zu profitieren: Jeder hier in Kasachstan hat Freunde oder Bekannte im 5.000 Kilometer entfernten Deutschland. Wer kann, lässt sich nach Deutschland einladen oder bittet seine Leute in Europa, einen Gebrauchtwagen gen Osten zu schicken.
Der russlanddeutsche Unternehmer Juri Wegelin. / Cornelia Riedel, n-ost
Kontakte dieser Art will sich auch Alexander Schröder von der Deutsch-Kasachstanischen Assoziation der Unternehmer zu nutze machen. Seine Organisation hilft kasachischen und deutschen Unternehmern und setzt dabei vor allem auf die Deutschstämmigen. Deren Geschäfte entwickeln sich sehr gut in Kasachstan. „Der kasachische Markt ist im Gegensatz zum deutschen ein Wachstumsmarkt. Da sollte es doch gerade für die Spätaussiedler, die beide Länder kennen, berufliche Möglichkeiten geben“, glaubt Schröder. Mitglieder seiner Organisation sind unter anderem ein Fleischproduzent, ein Möbelhändler und ein Hotelier– alle in Zentralasien geboren, nach Deutschland ausgewandert, zurückgekehrt und jetzt in Kasachstan geschäftlich erfolgreich. Doch Schröder bleibt realistisch: „Kasachstan ist kein einfacher Markt, man braucht unternehmerische Erfahrung und gleichzeitig Gespür für die Mentalität hier.“Aufsehen hatte der Fall des Deutschstämmigen Juri Wegelin erregt. Er war Anfang der 90er als Spätaussiedler ausgereist und kam 1998 mit deutschem Pass nach Kasachstan zurück, um ein Unternehmen für Weinkelterei, Obst- und Gemüseproduktion aufzubauen. Dem Hamburger werden von der kasachischen Finanzpolizei Weinpanscherei und Steuerhinterziehung vorgeworfen. Der Firma drohte der Bankrott und ihm eine langjährige Gefängnisstrafe – Beweise für seine Schuld gibt es laut Schröder keine. Doch wenige Tage vor Urteilsspruch im August kam der Deutsche Wegelin nicht vom Angeln zurück. Jetzt fahndet die kasachische Staatsanwaltschaft nach ihm.