Historisch korrekt und mörderisch spannend
Der polnische Autor Marek Krajewski schickt den deutschen Kriminalrat Eberhard Mock durch das Breslau der VorkriegszeitBreslau/Wroclaw (n-ost) - Der Mann ist beileibe kein Held. Im Gegenteil: Kriminalrat Eberhard Mock von der Breslauer Polizei trinkt, schreckt vor Gewalt nicht zurück und kommandiert seine Untergebenen ab, um die eigene Frau zu beschatten. Trotzdem – oder gerade deshalb – lieben ihn die polnischen Leser. „Er ist ein Mensch aus Fleisch und Blut“, sagt Marek Krajewski über den Antihelden Mock, den er selbst erschaffen hat. Ein bisschen wie Philipp Marlowe, ein wenig wie die Helden aus den Gangsterfilmen des französischen Film Noir - Autor Krajewski ist Krimiliebhaber und kennt sich aus: „Mock hat viele typische oder auch archetypische Charaktereigenschaften eines Polizisten.“ Soeben ist der vierte Krimiband mit Kriminalrat Mock aus seiner Feder erschienen. Unter dem Titel „Festung Breslau“ sucht Mock in den Trümmern des von der Roten Armee besetzten Breslau nach dem Mörder eines jungen Mädchens. Langfinger über den dächern von Breslau. Foto: Andreas MetzKrajewski ist Altphilologe, Dozent an der Universität Wroclaw und schreibt höchst erfolgreich Kriminalromane, die im deutschen Breslau spielen – in einer düsteren und dekadenten Welt voller Krimineller, Drogensüchtiger und Prostituierter. 1999 erschien sein erstes Buch „Tod in Breslau“. Mit dem zweiten Teil der Mock-Serie, auf Deutsch erschienen unter dem Titel „Der Kalenderblattmörder“, gelang ihm der Durchbruch - das Buch wurde in Polen „Krimi des Jahres“ 2003. Seitdem erhielt Krajewski eine Reihe weiterer Auszeichnungen, unter anderem den Preis des Buchhandels „Witryna“ für das beste Buch 2005 und den Literaturpreis „Paszport“ der Wochenzeitung Polityka. Nicht nur die Kritiker, auch die Leser sind begeistert. Einen Tag nach Erscheinen stand „Festung Breslau“ auf Platz eins zweier Internet-Bestsellerlisten, seitdem hält es sich dort. Im kommenden Jahr will der polnische Regisseur Patryk Vega drei der vier Krimis mit Klaus Maria Brandauer in der Hauptrolle verfilmen. Und Krajewski wird von Radio- und Fernsehstationen herumgereicht, ist landauf, landab auf Lesereise. Auch in Wroclaw selbst – dort haben Buchhändler ganze Schaufenster mit seinen Büchern dekoriert. „Wir freuen uns, denn das bedeutet ein größeres Interesse für die Stadt“, sagt Anna Skudarska vom Haus des Buches am Markt. Dort legt Kunde Mikolaj Marszalek die vier Mock-Krimis auf den Tresen: „Ich habe bisher eins gelesen, jetzt kaufen wir alle.“ Krajewski schreibe einfach gute Bücher. „Und schließlich kommen wir aus Wroclaw“, sagt seine Mutter. Marek Krajewskis Krimis über das deutsche Breslau sind zu Bestsellern geworden. Foto: Piotr HawalejAuch der Autor selbst, Jahrgang 1966, ist von der deutschen Vergangenheit seiner Heimatstadt fasziniert. Die Geschichten aus dem alten Breslau haben seine kindliche Fantasie beflügelt - wie zum Beispiel die Legende, dass sich unter den Straßen unterirdische Korridore erstrecken, in denen sich noch in den 50er-Jahren SS-Männer versteckten. „Bis zur Wende war die Vergangenheit der ehemals deutschen Gebiete ein Tabuthema - und was tabu ist, das interessiert uns“, erklärt Krajewski. Als Jugendlicher lernte er deshalb die Sprache der früheren Breslauer, sein liebster Aufenthaltsort ist das Schlesisch-Lausitzische Kabinett der Unibibliothek Wroclaw: „Dort gibt es ganz fantastisches Material - alte Zeitungen, Adressbücher, Fotos und Wörterbücher. All dies habe ich benutzt, um eine nicht vorhandene Welt zu erschaffen.“ Und diese soll dem versunkenen deutschen Breslau möglichst ähnlich sein: „Ich habe mich bemüht, alles sehr genau zu recherchieren.“ Irgendwo da unten lauert das Verbrechen. Foto: Andreas MetzDas hat offenbar funktioniert: „Die Bücher sind sehr schön geschrieben und vor allem sind die historischen Fakten darin belegt“, sagt Urszula Sudolska von der Niederschlesischen Buchhandlung in der Swidnickastraße. Die Schauplätze könne man im Stadtbild wieder finden: „Die Leute aus Wroclaw interessieren sich einfach dafür, wie es hier früher aussah“ - und benutzen Krajewskis Romane bisweilen als historische Reiseführer. Nur Eberhard Mock wird man in den Archiven vergebens suchen - der Kriminalrat, betont Krajewski, ist zu hundert Prozent Fiktion.Bei der Stadt Wroclaw denkt man derweil darüber nach, den Mythos Mock zu nutzen, um Touristen anzuziehen. Dort liegen Pläne in der Schublade, auf welchen Wegen man Fans durch das Breslau Eberhard Mocks führen könnte. Schließlich suchen Reisende in Paris auch nach den Schauplätzen des Bestsellers „Sakrileg“, sagt Pawel Romaszkan, Direktor des Tourismusbüros. Und in Ystad, der Heimat von Henning Mankells Erfolgskommissar Kurt Wallander, verteilt die Touristinformation Broschüren zur Romanfigur. Auch Wroclaw kann einen solchen Mythos gebrauchen. Doch für den bärbeißigen Kriminalrat ist es noch zu früh, sagt Romaszkan: „Die Legende muss erst wachsen.“ Wer sich individuell auf die Spuren Eberhard Mocks begeben will, kann das schon jetzt – zwei der vier Krimis sind bereits ins Deutsche übersetzt, die beiden anderen sollen folgen. Eigentlich wollte sich Krajewski mit dem vierten Band von seinem düsteren Kriminalrat verabschieden, doch die vielfachen Bitten seiner Fans lassen ihn über eine weitere Fortsetzung nachdenken: „Ich bekomme viele Briefe und E-Mails, in denen steht: Verabschieden Sie sich noch nicht von Mock! Und ich höre auf meine Leser.“Service: Mock-Krimis auf Deutsch: „Tod in Breslau“ (btb, 320 S., 9 Euro) und „Der Kalenderblattmörder“ (dtv, 340 S., 14,50 Euro)Ende----------------------------------------------------------------------
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