Polen

Kaczynski-Zwillinge verlieren Warschau

Liberale Hanna Gronkiewicz-Waltz triumphiert bei den Kommunalwahlen in der polnischen Hauptstadt
 
Warschau  (n-ost) - Als die Nachricht über ihren Wahlsieg über die Ticker lief, stimmten die Parteifreunde von der liberalen Bürgerplattform PO spontan das polnische  Festtagslied „Sto lat, sto lat…“ an. „Sto lat“ – also hundert Jahre soll Hanna Gronkiewicz-Waltz, die neue Bürgermeisterin von Warschau, leben, als Lohn für einen historischen Wahlsieg, der die politischen Verhältnisse in Polen verändern dürfte. Die Wahlsiegerin, die den eigentlich populären Kandidaten der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), Kazimierz Marcinkiewicz, mit 53,18 Prozent zu 46,82 Prozent der Stimmen überraschend deutlich und entgegen der meisten Vorhersagen abhängte, betonte sogleich die Signalwirkung ihres Sieges: „Ich glaube, diese Ergebnis ist der Anfang zur Rückkehr zur Normalität in Polen“. Fast ohnmächtig hatte die Bürgerplattform, die im zurückliegenden Jahr jeweils knapp bei den Wahlen zum polnischen Parlament und im Rennen um die Präsidentschaft der PiS unterlegen war, den Aufstieg der beiden konservativen Zwillinge Jaroslaw und Lech Kaczynski an die Spitze des polnischen Staates mit ansehen müssen. Das Brüderpaar kündigte die Abrechnung mit den alten kommunistischen Eliten an, rief dazu die so genannte „IV. Republik“ aus und begann mit Unterstützung der euroskeptischen Bauernpartei Samoobrona und der rechtsradikalen Liga der polnischen Familien eine Politik, die Polen von Deutschland entfremdete und auch auf EU-Ebene immer weiter in die Isolation führte, wie zuletzt anhand des polnische Vetos gegen die EU-Kooperationsgespräche mit Russland zu studieren war. Der Kandidat der PiS, Kazimierz Marcinkiewicz, war bis zum Juli noch polnischer Ministerpräsident, musste dann aber zugunsten von Jaroslaw Kaczynski von seinem Posten zurücktreten. Als Warschauer Bürgermeister übernahm er damals ein Amt, das Staatspräsident Lech Kaczynski vor ihm ausgeübt hatte.  Der Verlust dieses Amtes trifft die PiS daher unerwartet und bis ins Mark, denn Marcinkiewicz gilt in Polen immer noch als beliebtester Politiker. Trotzdem konnte er die Wahl in Warschau nicht für sich entscheiden. In Warschau lag die Wahlbeteiligung bei 53 Prozent, landesweit übersprang sie gerade die 40-Prozent-Marke, was die allgemeine Politikverdrossenheit in Polen unterstreicht. Ähnliche Niederlagen wie in der Hauptstadt fuhr die PiS auch in den Großstädten Krakau, Stettin und Lublin ein. Dies sei kein Wunder, sagt Jaroslaw Zbieranek vom unabhängigen wissenschaftlichen Institut für Öffentliche Angelegenheiten (ISP) in Warschau, denn die Kommunalwahlen seien „ein Referendum über die Politik der Regierung”, der erste große Stimmungstest für die Kaczynski-Brüder, die bisher vor allem damit beschäftigt waren ihre Regierung zusammenzuhalten Ob diese Regierung so weiter bestehen bleiben kann, oder sich die Kaczynski-Zwillinge nun mehr für die Liberalen öffnen, bleibt abzuwarten. Der Anfang ist zunächst nicht viel versprechend. So verweigerte Jaroslaw Kaczynski der Wahlsiegerin seine Glückwünsche, weil sie seiner Ansicht nach ihn und die PiS im Wahlkampf beleidigt habe. Gronkiewicz-Waltz habe mit Hilfe der Linken gewonnen. „Das bedeutet, dass das Alte zurückkommt. Dem müssen wir uns entgegensetzten“, sagte Kaczynski. Hanna Gronkiewicz-Waltz ist verheiratet und hat eine Tochter. Sie wurde am 4. November 1952 in Warschau geboren. Sie ist gelernte Juristin und lehrte zuletzt als Professorin an der Warschauer Universität. Gronkiewicz-Waltz engagierte sich bereits in den 80er Jahren in der oppositionellen Solidarnosc-Bewegung. Sie war unter anderem an der Herausgabe illegaler Bücher und Magazine beteiligt. Im Jahre 1989 wurde sie Vorsitzende der Solidarnosc-Sektion an der Warschauer Universität. Ihr Elternhaus weist sie als polnische Patriotin aus. Ihr Großvater war Polizist, der Vater kämpfte, wie im Übrigen auch der Vater der beiden Kaczynski-Zwillinge, im Warschauer Aufstand gegen die deutschen Besatzer. Das Interesse für Politik weckte ihr Vater, ein bekannter Anwalt - mit dem sie zu kommunistischen Zeiten regelmäßig das von München aus sendende „Radio Free Europe“ gehört und sich so über die oppositionellen Bewegungen im Warschauer Pakt informiert hat. Der Vater nahm sie auch zu politischen Prozessen mit ins Warschauer Gericht. Dort konnte sie etwa den Prozess gegen den bekannten Oppositionellen Jacek Kuron, mitverfolgen -  was ihre spätere juristische Karriere stark beeinflusste.Nach den ersten freien Wahlen in Polen wurde Hanna Gronkiewicz-Waltz 1992 zur Präsidentin der Polnischen Nationalbank gewählt. 1995 bewarb sie sich bereits als Kandidatin der Christlich-Nationalen Vereinigung um das Amt des Staatspräsidenten, erhielt aber nur drei Prozent der abgegebenen Stimmen. In der polnischen Bürgerplattform engagiert sie sich seit 2004, ein Jahr später wurde sie für die Partei ins polnische Parlament, den Sejm gewählt. Nun wird sie als erste Frau überhaupt die polnische Hauptstadt regieren.Den Ausschlag für ihren Wahlsieg in Warschau dürfte die Unterstützung durch die Sozialdemokraten gegeben haben. Deren Kandidat Marek Borowski unterstützte sie in der Stichwahl gegen Marcinkiewicz, genauso wie Ex-Staatspräsident Alexander Kwasniewski. Dieser gehörte auch zu den ersten, bei denen sich Gronkiewicz-Waltz nach ihrem Wahlsieg bedankte.Donald Tusk, der bislang recht blass und glücklos agierende Parteichef der Bürgerplattform, bezeichnete Hanna Gronkiewicz-Waltz als „Frau aus Stahl mit einem großen Herzen“. Er dankte ihr mit den Worten: „Hanna, ich bin sehr stolz auf Dich.“ Vor allem die Entschlusskraft der Juristin hat der Bürgerplattform bislang in den Auseinandersetzungen mit den Kaczynski-Zwillingen gefehlt. Die Wahlsiegerin setzte in ihren ersten Interviews aber auf eine Versöhnung der verschiedenen Lager. „Ich werde eine Präsidentin für alle Warschauer sein.“ Sie kündigte nun konkrete Arbeit für die Hauptstadt an, die sie voran bringen wolle. Ob Hanna Gronkiewicz-Waltz auch innenpolitisch ihr neues Gewicht als Bürgermeisterin von Warschau einsetzen wird, bleibt abzuwarten. Zunächst stehen die Warschauer Probleme im Vordergrund. Hanna Gronkiewicz-Waltz warb für sich mit dem Slogan „Gemeinsam für Warschau“. Ihr oberstes Ziel ist es, die Investitionen in der Hauptstadt beschleunigen. Um deutlich zu machen, wie sie sich die Entwicklung Warschaus bis 2014 vorstellt, hatte die liberale Kandidatin eine Karte der Hauptstadt verteilen lassen, auf der sie die wichtigsten Investitionen eingezeichnet hat. Sie will unter anderem neue Brücken, Straßen und Sportzentren bauen lassen und plant drei Metro-Linien, dabei ist die erste noch nicht fertig gestellt. Trotz seiner klaren Niederlage dürfte die Karriere von Kazimierz Marcinkiewicz noch lange nicht beendet sein. Mit einem dezidiert jugendlichen Wahlkampf hatte er versucht, sich vom konservativ-biederen Image der Kaczynski-Zwillinge abzusetzen. Unter den Klängen von „Let’s twist again” war sein Wahlkampfbus mit seinem überdimensionalen Porträt durch die Warschauer Straßen gefahren. In einem Internet Blog plauderte er Intimes aus seinem Privatleben aus. Marcinkiewicz sei trotz seiner Niederlage aus der PiS nicht wegzudenken, urteilt der Politikwissenschaftlers Jaroslaw Zbieranek dazu sei er “zu beliebt bei den Menschen” und damit “zu wichtig für die Partei”. *** Ende *** ----------------------------------------------------------------------------------
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