James Bond aus „Hollywood East“
Tschechien hat sich für ausländische Filmemacher als Alternative zum Westen etabliert Prag (n-ost) - Zu Zeiten des Kalten Krieges waren die Widersacher von James Bond nicht selten Spione aus dem Ostblock. Auch für „Casino Royale“ hat sich 007 in ein Land hinter dem ehemaligen Eisernen Vorhang begeben. Diesmal jedoch nicht, um einen feindlichen Agenten auszuschalten - sondern um dort sein neustes Abenteuer zu drehen.Erstmals in der über 40-jährigen Geschichte der Agenten-Reihe ist ein Bond-Film - bislang das Flaggschiff der britischen Filmindustrie - nicht in den Londoner Pinewood-Studios entstanden. Stattdessen war Tschechien Produktionsstandort und Hauptdrehort für „Casino Royale“. Das 72 Millionen Dollar-Projekt zog aus finanziellen Gründen in den Osten um. 80 Prozent des Bond-Streifens wurden hier gedreht. Die meisten Szenen für die 21. Bondepisode wurden in den Prager Barrandov-Studios aufgenommen: In den Ateliers Nummer 5, 6 und 7 entstand beispielsweise die Poker-Szene im Casino Royale, die laut Drehbuch in Montenegro spielt.Heute zimmern Schreiner im Studio 7 die Häuserkulisse für eine neue US-Produktion: „Psych 9“ – ein Thriller um eine Mitarbeiterin eines Krankenhauses, das mit einer grauenvollen Mordserie in Verbindung gebracht wird. Bis vor wenigen Wochen drehte im benachbarten Atelier Eli Roth die Fortsetzung seines Horrorschockers „Hostel“. Jetzt wird hier das Bühnenbild für eine russische Komödie vorbereitet; nebenan, in Studio Nummer 5, ist gerade ein Werbespot abgedreht worden.Großes Kino in Prag: Immer mehr internationale Filme werden aus Kostengründen im Osten gedreht – nicht nur in Tschechien brummt die Filmproduktion, sondern auch in den Nachbarländern. Barrandov ist dabei die größte Filmfabrik in Osteuropa und eine der größten in Europa. Die Europäische Audiovisuelle Informationsstelle in Strasbourg hat 2005 insgesamt 21 in Tschechien produzierte Spielfilme gezählt, 2003 waren es erst 14. Internationale Projekte kommen meist aus den USA und Großbritannien. „Omen 666“ oder „Die Chroniken von Narnia” zählen zu den großen Produktionen der jüngeren Vergangenheit. Auch deutsche Filmemacher zieht es immer häufiger ins östliche Nachbarland: „Der letzte Zug“ oder „Napola“ entstanden hier. Die Liste ließe sich lange fortsetzen.Ausländische Produzenten haben den Osten Europas Mitte der 90er-Jahre entdeckt. Davor waren die 1931 von Milos Havel, dem Onkel des späteren Präsidenten Vaclav Havel, gegründeten Studios vor allem für tschechische Märchenfilme wie „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ (1973) bekannt. In den frühen 80er Jahren entstand – noch unter kommunistischer Regierung –die amerikanische Produktion „Amadeus“, deren acht Oskarauszeichnungen die Aufmerksamkeit der Filmwelt erstmals nach Prag lenkten. Seitdem mit „Mission Impossible“ 1995 der erste Blockbuster in Prag gedreht wurde, kamen immer mehr ausländische Produzenten nach Tschechien. Mittlerweile hat sich Prag als Alternative zu Hollywood und Studios in Westeuropa etabliert und wird oft als „Hollywood East“ bezeichnet. Die Zahl der Filme, die aus Kostengründen im Ausland gedreht werden, steigt in Westeuropa und den USA. In den Vereinigten Staaten hat sie sich seit 1990 sogar mehr als verdoppelt. Die so genannten Runaway Productions kosten nach amerikanischen Medienberichten die US-Wirtschaft jährlich mehrere Milliarden Dollar.Für auswärtige Produzenten sind vor allem die niedrigen Kosten ausschlaggebend. Filmemacher können in Tschechien bis zu 30 Prozent gegenüber westeuropäischer Studios sparen, bis zu 50 Prozent sind es verglichen mit Hollywood. Auch wenn die Löhne seit Jahren stetig steigen, ist der Osten noch immer günstig: Ein Komparse beispielsweise kostet in Tschechien gut 30 Euro am Tag, in Hollywood muss mitunter das Vierfache gezahlt werden. Vom Casting bis zur Synchronisation wird in Tschechien rund um die Filmproduktion alles angeboten. Bühnenbildner gelten als besonders geschickt, was viele Fantasy- und Historienfilme anlockt. „Beim Setbau sind wir unschlagbar“, wirbt Ludmila Claussová, Leiterin der tschechischen Filmkommission, einer Anlaufstelle für internationale Filmemacher, für den Filmstandort. Hier gebe es „viel Qualität für wenig Geld“, erklärt Claussová weiter. Das Land biete zudem architektonischen Reichtum, vielseitige Naturkulissen und eine sehr gute Infrastruktur: alte Bausubstanz, malerische Dörfer, Schlösser, Fabriken, Wälder und Berge – alles in leicht erreichbarer Nähe. „Es gibt einen Reichtum an wunderschönen Orten und wir waren beeindruckt von den extrem talentierten Technikern, die gemeinsam mit der britischen Crew arbeiten“, erklärten die Bond-Produzenten Michael G. Wilson und Barbara Broccoli zum Drehstart von „Casino Royale“. „Ich habe in praktisch allen Studios um die Welt gearbeitet oder sie zumindest besucht, und ich denke, dass hier ist hier ist das feinste“, sagte Regisseur Roman Polanski 2004 einer Prager Zeitung. Für seinen Film „Oliver Twist“ wurde in Barrandov damals das London des 19. Jahrhunderts nachgebaut.Die tschechische Filmwirtschaft hat nach einer Studie des Kulturministeriums im vergangenen Jahr gut 70 Millionen Euro Umsatz mit ausländischen Produktionen erwirtschaftet – bei einem Gesamtumsatz von rund 160 Millionen Euro. In diesem Jahr sollen die Zahlen ähnlich sein. Abhängig von der Größe der Produktionen können es aber auch mal knapp 180 Millionen Euro allein an ausländischen Produktionen sein, wie im Jahr 2003. Doch die östliche Konkurrenz lauert: Auch in Ungarn, Rumänien oder Bulgarien kann bei der Filmproduktion viel Geld gespart werden, zumal die Lohnkosten dort noch niedriger sind. So diente Budapest als Paris-Kulisse für Steven Spielbergs Politthriller „München“. Derzeit werde viel in Rumänien gedreht, sagt der deutsche „Napola“-Produzent Harald Kügler. Doch sei Tschechien noch der professionellste Standort. Bei der Wahl des Landes spielen „viele Aspekte“ eine Rolle, erklärt Claussová. So könne Tschechien beispielsweise kein Meer bieten, Bulgarien und Rumänien hingegen schon. Die Konkurrenz mache sich zwar bemerkbar, jedoch nicht „massiv“, meint Claussová. Allerdings müsse die Regierung Anreize wie Steuererleichterungen schaffen. Andernfalls werde Tschechien als Produktionsland in zehn Jahren mit Problemen rechnen müssen.Noch steht das Land in der Beliebtheit aber ganz oben. Das zeigt auch, dass der Barrandov-Eigentümer, der tschechische Stahlkonzern Moravia Steel, zu den bestehenden elf Ateliers ein neues Studio hat bauen lassen. Im Dezember soll die größte schallgeschützte Studiohalle Europas eingeweiht werden. „Die Nachfrage war so groß, dass unsere Kapazität nicht reichte“, sagt Studio-Sprecher Jan Šusta. Ab Januar soll in dem neuen Atelier der erste Film gedreht werden, bis September ist das Studio vorerst ausgebucht. Die 007-Produzenten haben unterdessen angedroht, auch den nachfolgenden Film außerhalb Großbritanniens zu drehen. Vielleicht kommt James Bond ja bald schon wieder nach Tschechien.ENDE-------------------------------------------------------------
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