Belarus

Hilfeschrei aus der Zelle

Der gefangene belarussische Oppositionsführer Alexander Kosulin ist seit vier Wochen im Hungerstreik
 
Berlin (n-ost) – Um Belarus ist es still geworden. Als es bei den Präsidentschaftswahlen im März 2006 kurzzeitig so aussah, die Opposition könnte das Regime des autoritär regierenden Präsidenten Alexander Lukaschenko stürzen, waren für einige Tage alle Augen auf die Demonstranten in Minsk gerichtet. Doch der Umsturz blieb aus, viele Oppositionelle fanden sich zumindest zeitweise in den Gefängnissen wieder. Und nach einigen Tagen kehrten auch die internationalen Berichterstatter dem Land wieder den Rücken.Mit einem Hungerstreik, der nun schon über vier Wochen dauert, versucht der Ex-Präsidentschaftskandidat Alexander Kosulin die internationale Aufmerksamkeit wieder auf Belarus zu richten. Kosulin, Chef der Belarussischen Sozialdemokratischen Partei Hramada und nach Alexander Milinkewitsch zweitwichtigster Oppositionsführer des Landes, wurde nach den Märzdemonstrationen verhaftet. Im Juli verurteilte ihn ein Gericht wegen „Rowdytums“ und „der Organisation von Gruppenaktivitäten gegen den Staat“ zu fünfeinhalb Jahren Gefängnis.Kosulin, früherer Rektor der größten Belarussischen Staatlichen Universität und zeitweise Bildungsminister, begann seinen Hungerstreik am 20. Oktober. Seine Hauptforderung richtet sich an den UN-Sicherheitsrat. Dieser solle die Menschenrechtssituation in Belarus endlich wieder auf die Tagesordnung setzen.
Bei einem Besuch anlässlich des neunten „Minsk-Forums“ forderte CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla im Gespräch mit dem belarussischen Außenminister Sergej Martynow die Freilassung Kosulins: „Es ist für uns unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten nicht akzeptabel, wie man mit Kosulin umgeht.“Am 25. November wird Kosulin 51 Jahre alt. Seine Sozialdemokratische Partei will zu diesem Datum eine Postkartenaktion starten. Bislang wurde in den belarussischen Medien nicht über seine Verurteilung und den Hungerstreik berichtet. Oppositionsgruppen bitten zudem darum, Kosulin Bücher ins Gefängnis zu schicken. Während der Gefangene nur einmal pro Woche duschen dürfe, sei ihm die Arbeit in der Bibliothek der Haftanstalt erlaubt.
Kosulin hungert nicht alleine. Mitglieder des Stabes der Sozialdemokratischen Partei, Kosulins Töchter Olga und Julia sowie sein Anwalt Igor Rynkewitsch fasten wechselweise drei bis fünf Tage, um den Protest des Gefangenen zu unterstützen. Auch in den Nachbarländern Polen und Ukraine sind Solidaritätsstreiks angekündigt. Der ehemalige Parlamentarier Sergej Skrebetz wurde am 15. November nach anderthalb Jahren Haft im Zuge einer Amnestie freigelassen. Den letzten Monat verbrachte er in einer Zelle mit Kosulin. Nach seiner Darstellung hat Kosulin bereits 17 Kilogramm abgenommen, 20 Prozent seines Normalgewichts. Medizinische Versorgung lehne er ab. „Physisch ist er sehr geschwächt, da er aber ein echter Kämpfer ist, ist er nicht totzukriegen“, so Skrebetz. Seiner Meinung nach ist der Hungerstreik das letzte verbliebene Mittel, auf die Lage in Belarus aufmerksam zu machen.Skrebetz berichtet von zahllosen Briefen und Telegrammen aus Belarus und anderen Ländern an Kosulin. „Ihm schreiben einfache Bürger, Studenten.“ Irina Kosulina, die Frau des Inhaftierten, ruft die Weltöffentlichkeit dazu auf, jeglichen Dialog mit der belarussischen Regierung mit der Frage nach Entlassung von politischen Gefangenen zu verknüpfen. „16 wichtige Oppositionelle sind derzeit hinter Gitter, weil ihre Meinung sich von der Lukaschenkos unterscheidet.“Eine Hauptforderung Kosulins richtet sich an die Opposition. Diese müsse bei den Kommunalwahlen in Belarus im Januar 2007 mit einer Stimme sprechen. Tatsächlich verlieren sich die Oppositionsparteien oft in internen Machtkämpfen. Der Politologe Kirill Posnjak ist derzeit skeptisch, was die Wahlaussichten betrifft. „Die Opposition muss sich im Umgang mit dem Volk einfacher ausdrücken und über einfachere Dinge reden. Man könnte sich Lukaschenko als Beispiel nehmen, insbesondere die ersten Jahre seiner politischen Karriere“, so Posnjak. Derzeit seien die Forderungen der Opposition „Für Freiheit, Wahrheit, Gleichheit, Solidarität“, einfach zu abstrakt.Der im Oktober 2005 zum gemeinsamen Kandidaten der vereinigten demokratischen Kräfte gewählte Alexander Milinkewitsch hat es nicht leicht, die Opposition hinter sich zu sammeln. Trotz Unterstützung durch die EU: Am 13. Dezember erhält Milinkewitsch in Brüssel den Sacharow-Preis, die höchste Auszeichnung des EU-Parlaments für Verdienste um die Menschenrechte. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier begrüßte die Wahl und betonte, niemand stehe in Belarus profilierter und couragierter für die Arbeit der demokratischen Opposition und den Kampf für die Meinungsfreiheit. „Sein bewundernswerter Mut und sein Engagement sind für viele Bürgerinnen und Bürger in Belarus ein Signal der Hoffnung“, so Steinmeier.Postadresse des gefangenen Alexander Kosulin:
Alexander Kosulin
kolonia “Witba-3”
poselok Witba, Witebsk Oblast
211300 Belarus*** Ende ***---------------------------------------------------
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