James Bond auf Ost-Kurs
„Casino Royale“, der neueste Streifen des Geheimagenten, entstand in den Barrandov Filmstudios bei PragPrag (n-ost) – Altgediente James-Bond-Fans müssen in diesen Tagen einen Tabubruch nach dem anderen verkraften: Daniel Craig, der neue Geheimagent im Dienste ihrer Majestät, ist blond und legt keinen Wert mehr darauf, ob sein Wodka-Martini gerührt oder geschüttelt wurde. Der größte Tabubruch aber fand hinter den Kulissen des neuen Agentenabenteuers „Casino Royale“ statt: Die Produzenten haben den Pinewood-Studios bei London den Rücken gekehrt und die wichtigsten Dreharbeiten nach Prag verlagert. Grund ist ein Streit ums Geld: Die englische Regierung hat die Finanzierung heimischer Filmprojekte auf Sparflamme gedreht. Um dennoch einen veritablen Bond hinlegen zu können, entschieden sich die Produzenten, für die meisten Studioaufnahmen nach Osteuropa auszuweichen. So wurde das „Casino Royale“ in den legendären Barrandov-Filmstudios in Prag aufgebaut. Die Außenaufnahmen des Hotels Splendide, in dem sich das Casino befindet, besorgte das Filmteam im tschechischen Bäderort Karlsbad. Im Film selbst stehen Hotel und Casino in Montenegro.Die Barrandov Studios wurden bereits 1931 gegründet. Nachdem sie während des Zweiten Weltkrieges für Nazi-Propagandastreifen herangezogen wurden, erfolgte 1945 ihre Verstaatlichung durch die neu gegründete Tschechische Republik. Die 60er und 70er Jahre wurden dank der Barrandov-Studios zur goldenen Ära des tschechischen Films. Vor allem die tschechischen Kinderfilme wurden international bekannt. Jindrich Polak drehte in Barrandov 33 Pan-Tau-Episoden. Auch Filme wie „Lucie, der Schrecken der Straße“ oder „Die kleine Meerjungfrau“ fanden den Weg von Prag ins deutsche Fernsehen. Wandgemälde an den Barranov-Filmstudios in Prag. Foto: Barranov-StudiosHeute entstehen in Barrandov zwar jährlich immer noch etwa 20. rein tschechische Filme, doch mit cirka 17. Millionen Euro Einnahmen im Jahr machen sie nur einen kleinen Teil aller Filmproduktionen aus. Die meisten Gelder fließen aus der Produktion von Werbespots (ca. 70 Millionen Euro) und durch ausländische Auftragsarbeiten, mit denen die Barrandov Filmstudios allein im vergangenen Jahr 72 Millionen Euro verdienten. Vor dem aktuellen James-Bond-Abenteuer wurden in Barrandov Welterfolge wie Mission Impossible, Die Bourne Identität, Oliver Twist, Les Miserables oder The Story of Joan d’ Arc gedreht. Regisseure wie Roman Polanski und Terry Gillian und Schauspieler wie Bruce Willis und Robin Williams haben hier gearbeitet. Auch der derzeit in den deutschen Kinos laufende Film „Der letzte Zug“ von Joseph Vilsmaier entstand zum großen Teil in Barrandov, sowie neun weitere deutsche Produktionen allein im Jahre 2006. Angelockt werden die Produzenten vor allem durch die im Vergleich mit westeuropäischen oder amerikanischen Standorten um 30 bis 40 Prozent günstigeren Preise. Doch es gibt noch andere Gründe, wie Ludmila Claussová, Leiterin der Tschechischen Film Commission erklärt: „Prag bietet eine gute Infrastruktur, hier sind alle architektonischen Stile aus allen Epochen zu finden. In den Barrandov-Studios können alle möglichen Landschaften nachgebaut werden. Wir verfügen über sehr gute Handwerker, kreative Künstler, ein junges und dynamisches Team sowie hervorragende Casting-Möglichkeiten, da in Prag sehr viele Menschen auch gut englisch sprechen.” Ludmila Claussová kümmert sich intensiv um ihre ausländischen Auftraggeber, hilft bei der Suche nach Schauspielern und der Organisation der gewünschten Technik.Zusammen mit den zahlreichen Freiberuflern arbeiten in den Barrandov Studios etwa 5.000 Menschen. 160.000 Quadratmeter Fläche, das sind umgerechnet rund 30 Fußballfelder, stehen für Dreharbeiten zur Verfügung, Wiesen und Wälder schließen sich an das Studio an und können ebenfalls genutzt werden. Das Requisiten- und Kostümarchiv gehört zu den größten in Europa. In Barrandov hängt zum Beispiel ein großer Teil der Oskar-prämierten Kollektion aus dem Film „Amadeus“ von Milos Forman. Von tschechischen Produzenten wird zurzeit verstärkt Zivilkleidung aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs und aus den 60er Jahren ausgeliehen – daran lassen sich die Trends in der heimischen Filmindustrie ablesen.
Über aktuelle Produktionen schweigt man in den Barrandov-Studios. Darauf legten viele Produzenten wert, erklärt Jan Schäfer, Pressesprecher der Filmstudios. Manchmal gehe dies so weit, dass man in Barrandov nicht einmal wisse, um welche Art Film es sich handele. Besonders die russischen Filmproduzenten seien da misstrauisch, so Schäfer. Er steht im Studio 7 vor einem künstlichen Wald mit einer Holzhütte, die gerade auf Bestellung aus Russland gebaut wurde. „Oft kennen wir nur den Arbeitstitel des Films und Angaben zu den einzelnen Bühnenbildern, die wir nachbauen müssen. Von diesem Film zum Beispiel wissen wir nur, dass ein Teil davon im Wald spielt”, erzählt er.Während das Geheimnis des russischen Filmes noch eine Weile ungelüftet bleiben wird, kann sich Pressesprecher Schäfer nun wenigstens im Kino darüber informieren, was bei den Dreharbeiten von „Casino Royale“ am Ende herausgekommen ist.Ende-------------------------------------------------
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