Rumänien

"Wir Kesselroma leben gut"

Nicolae Caldarars grüne Augen leuchten, wenn die Kunden auf dem Markt in Hermannstadt stehen bleiben, um seine Verkaufsauslage zu bewundern - Schnapskessel, Stieltöpfe und andere Gefäße aus Kupfer oder Messing. Er ist Kupferschmied – Kesselrom, wie die Roma, die im metallverarbeitenden Gewerbe tätig sind, in Rumänien genannt werden. „Unsere Tradition ist etwa 400 Jahre alt, und hoffentlich wird es sie auch in 400 Jahren noch geben.“

Neben ihm auf dem Markt steht sein Bruder Emilian Caldarar. „Die Kunst der Kupferbearbeitung habe ich von meinen Vorfahren gelernt und meinen Söhnen weitergegeben,“ sagt dieser. Dabei zeigt er auf ein 4-jähriges Kind, das sich zwischen den bunten Röcken der Frauen versteckt: „Er kann bereits einen Hammer in der Hand halten,“ lacht er stolz und erwähnt er seinen Ältesten, der seit der Kindheit ein berühmter Handwerker sei und auf Märkten und Festivals sein Können zeigte. Während der Vater erzählt, verhandelt einer der Söhne in perfektem Englisch mit einem Touristen.

„Wenn man begabt ist, lernt man unser Handwerk in wenigen Jahren, wenn nicht, reicht das ganze Leben nicht.“ Kupferschmieden ist eine schwere Arbeit, erklärt Emilian Caldarar. Dabei zeigt er seine Hände – den Daumen kann er nicht mehr voll ausstrecken. „Uns ist die Tradition sehr wichtig,  darum werden wir weitermachen.“

Emilian Caldarar (Foto: Ruxandra Stanescu)

Früh übt sich

Die Familie Caldarar lebt in Brateiu, einer kleinen Gemeinde der Nähe der rumänischen Stadt Sibiu/Hermannstadt. Der 60-jährige Nicolae Caldarars ist auf dem Markt eher ein Zuschauer, das Verkaufen übernehmen jüngere Familienmitglieder.  Seine Kompetenzen liegen in der Weitergabe der handwerklichen Fertigkeiten – er ist ein Meister seines Faches: „Zehn Kinder aus unserem Dorf kommen zu mir und lernen, wie man Kupfer in Roma-Tradition bearbeitet,“ erzählt er. Manche sind erst sieben Jahre alt. “Ihr Spielzeug liegt unbeachtet in ihren Zimmern, sie klopfen lieber mit mir zusammen Kupferteile aus.“

Einige der Schälchen oder Teller, die die kleinen Handwerker hergestellt haben, werden auf dem Markt verkauft. Nach jedem Verkaufstag erhalten die Kinder eine symbolische Geldsumme. „Damit lernen sie, dass gute Arbeit auch gutes Geld bringt,“ erklärt Nicolae Caldarar. Alle zehn Kinder in der Gemeinde, die sein Handwerk lernen, sind Jungen.

Althergebrachtes Rollenverständnis

Die Mädchen werden eine andere Rolle in der Familie spielen – hauptsächlich als Ehefrauen und Mütter. In Brateiu ist das nicht anders als in den meisten Roma-Gemeinden in Rumänien.

Marian Chiriac, Journalist und Roma-Experte, sieht in der patriarchalischen Familienstruktur eine wesentliche Ursache dafür, dass Roma nicht stärker am gesellschaftlichen Leben teilhaben. „Viele Probleme der Roma in Rumänien kann man lösen, in dem man für sie verschiedene Pogramme entwickelt – etwa für Wohnungen, Arbeitsplätze, Kulturförderungen. Der rumänische Staat stellt beispielsweise seit Jahren in Schulen und Universitäten Ausbildungsplätze für Roma zur Verfügung. Doch solange diese der Meinung sind, dass Mädchen dort nichts zu suchen haben oder dass die Schule nicht hilft, Geld zu verdienen, ist keine positive Entwicklung abzusehen.“

Das traditionelle Rollenverständnis zeigt sich auch beim Verkauf der Waren: Die Männer verhandeln, die Frauen sitzen im Hintergrund, reichen die gewünschten Gegenstände und passen auf die Kinder auf.

Export traditioneller Handarbeit

Wer durch Brateiu fährt, kann die Roma-Gemeinde nicht übersehen,: Am Straßenrand sind große Kessel und jede Menge Töpfe und Teller aufgestellt. Die Männer sitzen rauchend daneben. Mit Kaufinteressierten wird lautstark verhandelt, und die Männer versuchen, potenzielle Käufer vom Nachbarstand abzuwerben. Die Produkte der Kupferschmiede sind nicht billig, vor allem seit das Rohmaterial teuerer geworden ist. Doch jeder Besucher ist willkommen, auch wenn er nichts kaufen mag – vielleicht hat er ja eine Zigarette oder Bonbons für die Kinder, die er dafür fotografieren darf.

Seit dem EU-Beitritt Rumäniens bietet ein Teil der Familie die Waren auf den Märkten im Ausland, beispielsweise in Italien, feil. „Dort haben wir weitaus mehr Erfolg als hier,“ sagt Nicolae Caldarar. Nicht viele Handwerker in  Europa sind noch in der Lage, große Kupferkessel in Handarbeit herzustellen. „In einer italienischen Stadt verkauften wir 20 Schnapskessel auf einmal – übrigens die einzige Stadt Italiens, wo man Schnaps brennen darf, “ erinnert er sich vergnügt. 

Nicolae Caldarar will keinesfalls wie viele seiner Landsleute als unqualifizierter Arbeiter nach Italien oder Spanien gehen. Das Handwerk soll seine Zukunft – und die seiner Kinder und Enkelkinder - sichern.

Kesselroma in Brateiu (Foto: Ruxandra Stanescu)

Das Schicksal in die eigenen Hände nehmen

Der Zugang zur Erwerbstätigkeit ist für die Roma in Rumänien – wie in anderen Ländern Osteuropas – beschränkt: Das rumänische Institut für Statistik gibt für 2002 an, dass die Anteil der Arbeitlosen unter den Roma mit 64 Prozent doppelt so hoch ist wie in der übrigen Bevölkerung. Und viele von denen, die eine Beschäftigung haben,  sind nicht ausgebildete Hilfsarbeiter. Mehr als 80 Prozent der Roma identifizieren Arbeitslosigkeit und unzureichendes Einkommen als ihre größten Probleme.

Der Journalist Marian Chiriac sieht eine Ursache dafür im fehlenden Engagement lokaler Autoritäten. „Die Bürgermeisterämter müssten sich stärker dafür einsetzen,  auch für die Roma-Gemeinden Arbeitsplätze zu schaffen, Wohnungen und moderne Schulen zu organisieren. Dafür braucht man Geld und Willen, meistens fehlt es an beidem.“ Auf Dauer könnten auch die vereinzelten Förderprogramme der EU keine Abhilfe schaffen. Letztlich sei es Aufgabe des rumänischen Staates und der Roma selber, ihre Traditionen zu schützen und für ihre Zukunft zu sorgen.

Die Gemeinde der Kesselroma in Brateiu kann mit ihrer traditionellen Arbeit ihren Lebensunterhalt verdienen. „Wir Kesselroma leben gut. Wir haben Handwerker-Bescheinigungen,  zahlen Steuer und arbeiten viel,“ fasst Nicolae Caldarar zusammen. Schon im Sozialismus waren seine Schnapskessel und Töpfe gefragt, und er  ist sicher, dass die EU – von der er recht wenig weiß – ein großer und reicher Käufer seiner Kupfergegenstände ist.

Nicolae Caldarar kann stundenlang über die kleine Gemeinde und ihre Arbeit erzählen. Nebenbei verkauft er einen kunstvollen Stieltopf, der aus einem einzigen Stück Kupfer geschlagen würde.

Dieser Text ist dank einer Förderung der Allianz Kulturstiftung entstanden.


Weitere Artikel