„Das war eine Putsch-Strategie“
Der Schriftsteller György Konrád verurteilt die Krawalle anlässlich des 50. Jahrestages des Ungarn-Aufstandes 1956 und greift die Opposition scharf anBudapest (n-ost) – In Ungarn begannen am vergangenen Wochenende die Feiern zum 50. Jahrestag des Aufstandes von 1956. Doch die geplante gemeinsame Würdigung der Kämpfer für mehr Demokratie entwickelt sich zum Desaster: Die Opposition boykottiert die Festrede, zehntausende Demonstranten fordern den Rücktritt der Regierung und Randalierer verwandeln Budapest in ein Schlachtfeld. Die Nation ist gespalten wie noch nie.In dieser angespannten Situation meldet sich der Schriftsteller und politische Beobachter György Konrád zu Wort. Konrad war an der demokratischen Wende in seinem Land vor 16 Jahren aktiv beteiligt. Weltweit bekannt wurde er als Präsident des internationalen PEN-Clubs, Präsident der Berliner Akademie der Wissenschaften. Er erhielt zahlreiche internationale Ehrungen, darunter den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und den Karlspreis.Proteste vor dem Parlament in Budapest gegen die amtierende Regierung. Foto: Oszkar Jankovich.Im Gespräch mit dieser Zeitung greift Konrad die von Victor Orban geführte konservative Oppositionspartei Fidesz scharf an. Diese verfolge eine gefährliche Strategie. „Ich wage zu sagen, eine Putsch-Strategie.“ Orban stachele die Demonstranten auf und führe so einen „kalten Bürgerkrieg, der manchmal ziemlich warm wird.“Am Montag hatte der Fidesz die Gedenkfeier im Parlament boykottiert und eine eigene Großkundgebung auf der Straße veranstaltet, zu der rund 100.000 Regierungsgegner kamen. Orbán forderte die Demonstranten zwar auf, friedlich zu bleiben, kritisierte aber gleichzeitig die Regierung und bezeichnete sie als „unrechtmäßig“. Außerdem forderte er eine Volksbefragung, um das Land „auf den demokratischen Weg zurückzubringen, von dem es durch die Lüge abgebracht wurde.“„Das ist keine demokratisch-rechtsstaatliche Strategie“, kommentiert Konrád. Die derzeitige Regierung unter Führung der Sozialistischen Partei nimmt der Schriftsteller dagegen in Schutz, trotz des Sparprogramms, über das man die Bürger vor den Parlamentswahlen im Frühjahr im Unklaren gelassen hatte – mit Absicht, wie der ungarische Premierminister Ferenc Gyurcsany öffentlich einräumen musste. „Die Leute mögen einfach keine Steuern zahlen“, meint dazu Konrád. „Früher haben sie alles von oben 'bekommen', wurden wie Kinder behandelt, und heute wollen sie nicht für sich selber sorgen.“ Dieses Erbe der kommunistischen Zeit laste schwer auf den Ländern Osteuropas, die heute generell eine hohe Staatsverschuldung zu tragen hätten.Bei den Demonstrationen am Montag wurden die Sozialisten als direkte Nachfolger der kommunistischen Partei gesehen und dafür angefeindet. „Wir haben kein West-Ungarn“, meint Konrád in Anspielung auf Deutschland. Das heißt, in Ungarn hätten keine gewachsenen demokratischen Parteien die Macht übernehmen und auch kein Personal aus dem Westen die Spitzenpositionen besetzen können. „Die führenden Funktionäre haben selbst an der Wende vom Kommunismus zur Demokratie gearbeitet“, erklärt Konrad. Es habe einfach keine antikommunistische, bürgerlich-konservative Bewegung gegeben, die das allein hätte bewerkstelligen können, sondern „nur wenige bürgerliche Figuren.“ Abzurechnen gebe es nichts: „Die meisten alten Kommunisten sind schon im Grab und in der Sozialistischen Partei MSZP sind von damals nur noch drittrangige Funktionäre“, sagt Konrád. „Und jetzt sollen diese ehemaligen Funktionäre, die nichts gemacht haben, verurteilt werden?“Konrád, der vor 1989 zu den prominentesten Regime-Gegnern im Lande gehörte und der liberalen Partei nahe stand, setzt auf Versöhnung und verweist darauf, dass die letzten 20 Jahre unter den Kommunisten ohne Terror verliefen. „Ich war der letzte der verhaftet wurde, für eine Woche.“ Die Wende sei damals einvernehmlich und ohne Blutvergießen verlaufen. „Es war der Wunsch der Gesellschaft, alles in Absprache zu machen.“Einen Ausweg aus der vergifteten politischen Atmosphäre und tiefen Spaltung des Landes erwartet Konrad nicht vor den nächsten Parlamentswahlen 2010. „Das ganze ist ein Spiel, und den Ausgang eines Spiels kann man nicht vorhersehen.“ Orbans Ziel, die Regierung durch Demonstrationen zu stürzen, sei wohl gescheitert. „Orban hat sich nicht zum Sturm entschlossen, jetzt muss er wohl auf parlamentarische Mittel warten“, so Konrad, der es nicht für ausgeschlossen hält, dass Orban nach dem Scheitern seiner Strategie von seinen eigenen Parteimitgliedern gestürzt wird.Konrad selbst schlägt eine neue Diskussionskultur vor: „Ich würde einen neuen runden Tisch schaffen, an dem sich Politiker und Nicht-Politiker regelmäßig treffen und wo der intellektuelle Diskurs gepflegt würde.“ Für Demagogen soll am runden Tisch kein Platz sein. „Die werden ausgeschlossen.“Die Krawalle jedenfalls werden nicht weitergehen, ist Konrád überzeugt. „Die Menschen werden sich bald abkehren vom Hass und bereit sein zum Gespräch.“ Die Demokratie habe sich letztlich als lebensfähig erwiesen: „Gerade im Vergleich mit dem vermeintlichen Vorbild 1956 wird klar: ein Nachmittag hat damals gereicht um die Diktatur zu stürzen, Demokratien aber sind flexibler und damit auch zäher. Zumal die Mehrheit der Ungarn die Randalierer ablehnt.“
Informationen zur Person:
György Konrád ist Schriftsteller, Essayist und politischer Beobachter. Er war Präsident der internationalen PEN-Clubs, Präsident der Berliner Akademie der Wissenschaften und erhielt zahlreiche internationale Ehrungen, darunter den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und den Karlspreis. Seine Äußerungen zum politischen Geschehen sind oft umstritten, weil er Position bezieht. Andererseits haben sie Gewicht, da Konrád zu den führenden Intellektuellen des Landes gehört und als Regimekritiker und Demokrat der ersten Stunde internationale Anerkennung genießt.*** ENDE*** -----------------------------------------------------------
Wenn Sie einen Artikel übernehmen oder neu in den n-ost-Verteiler aufgenommen werden möchten, genügt eine kurze Nachricht an n-ost@n-ost.org Der Artikel wird sofort für Sie reserviert und für andere Medien aus Ihrem Verbreitungsgebiet gesperrt. Das marktübliche Honorar überweisen Sie bitte mit Stichwortangabe des Artikelthemas an die individuelle Kontonummer des Autors: Thorsten Herdickerhoff Zwei Belegexemplare bitte an:
n-ost
Schillerstraße 57
10627 Berlin