Kein EU-Beitritt vor 2012
Im Oktober 2005 wurde Kroatien der Status eines EU-Beitrittskandidaten zuerkannt. Die Freude in dem Adria-Staat war damals riesengroß. Von einem „historischen Schritt“ war die Rede. Nur ein Jahr danach macht sich im Adria-Staat Begräbnisstimmung breit. Die Regierung in Zagreb erhält derzeit aus Brüssel einen blauen Brief nach dem anderen. EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn und andere hochrangige Politiker bescheinigen darin dem Land fehlende EU-Reife. Kroatien solle seine Korruption energischer bekämpfen, sein Justizwesen reformieren, seinen öffentlichen Dienst entpolitisieren, seine Kooperation mit dem Haager Kriegsverbrechertribunal verbessern, seine Subventionen für marode Staatsbetriebe, vor allem im Schiffbau, abbauen und vieles andere mehr.
Am 1. Januar 2007 werden Rumänien und Bulgarien EU-Mitglieder, während Kroatien frühestens 2012 beitreten kann. Jelko Kacin, Abgeordneter des bereits seit 2004 im Europäischen Parlament vertretenen Nachbarn Slowenien, rechnet sogar erst für 2014 mit einer Beitrittsperspektive. Die Kroaten – seit zehn Jahren davon überzeugt, Europa warte nur auf sie – reagieren trotzig: In einer Repräsentativumfrage von Anfang Oktober befürworteten nur noch 49,9 Prozent der Befragten den EU-Beitritt und in den Medien des Landes tauchen nationalistische Kommentare auf, nach denen nur noch „verlogene“ Politiker die EU als „Chance“ und „Zukunft“ Kroatiens bezeichnen könnten, denn Kroatiens Chance und Zukunft sei – „allein Kroatien“.
Von Kroatiens Wirtschaft war in den jüngsten Brüsseler Kritiken kaum die Rede, dabei gibt gerade sie Anlass zu großer Sorge: Das Land ist im Ausland stark verschuldet, die Außenhandelsbilanz verzeichnet in diesem Jahr wohl ein Defizit von zwei Milliarden Euro, Kroatien verlässt sich zu sehr auf seinen Tourismus und vernachlässigt die restliche Wirtschaft, vor allem die Industrie.
Derzeit liegt Kroatien, das einst mit Schiffbau und Tourismus gut verdiente, etwa 30 Prozent unter seinem Wirtschaftsniveau von 1989, als es noch Teil Jugoslawiens war. Seit 2002 schreibt der Tourismus wieder schwarze Zahlen, hat 2005 und 2006 gute Jahre erlebt, droht aber nun in die Krise zu rutschen: Die Befreiung des Tourismus von der Mehrwertsteuer, die in Kroatien 22 Prozent ausmacht, fällt künftig fort. Dazu gehört auch die Subventionierung ausländischer Gruppenreisen. Zudem verleidet vielen Touristen die überbewertete Währung Kuna den Aufenthalt.
Noch bringen Tourismus und Überweisungen von gastarbajteri so viele Devisen ins Land, dass die schwindelerregende Auslandsverschuldung getarnt werden kann. Allein 2006 wird sie um knapp eine Milliarde auf 27,3 Milliarden Euro angewachsen sein. Das entspricht über 85 Prozent des Brutto-Inlandsprodukts (BIP). Anders gesagt: Das BIP pro Einwohner beträgt etwa 6.900 Euro im Jahr, aber statistisch ist jeder Kroate mit 6.200 Euro im Ausland verschuldet. Trotz der enormen Schuldenaufnahme bleiben dringende Investitionen in die immer noch zu übergroßen Teilen in Staatsbesitz befindliche Wirtschaft aus.
Die Folgen trägt das ganze Land: Kroatien ist zwar doppelt so groß wie Slowenien, aber Slowenien ist statistisch gesehen dreimal reicher als Kroatien! Noch wächst Kroatiens Wirtschaft um drei bis vier Prozent pro Jahr, aber die Tendenz ist fallend. Von einem echten Aufholprozess, der nötig wäre, um Anschluss an die EU zu finden, kann nicht die Rede sein. Die offizielle Arbeitslosenquote liegt bei über 18 Prozent, die Reale dürfte um etliches höher sein: Aus Angst, die symbolträchtige Schwelle von 400.000 Arbeitslosen würde überschritten, wird allerhand Kosmetik betrieben. Die Zagreber Kolumnistin Tanja Torbarina hat schon vor Jahren behauptet, Kroatien hätte „500.000 oder 600.000 Arbeitslose, wenn alle Betroffenen von den Arbeitsämtern erfasst würden".