„Ethnische Säuberungen wie in Ex-Jugoslawien“
Der georgische Außenminister Gela Beschuaschwili greift zu drastischen Formulierungen: „In Russland handelt es sich nicht mehr einfach um xenophobische Stimmungen. Was dort in Bezug auf die georgischen Bürger vor sich geht, ist nichts anderes als eine abgemilderte Form von ethnischen Säuberungen.“
Wie Russland derzeit gegen Georgier vorgeht, zeigt das Beispiel des 37-jährigen Lascha Subari. Er hat in den letzten 15 Jahren seines Lebens in der russischen Hauptstadt gelebt und in einem georgischen Restaurant als Koch gearbeitet. Im Vergleich zu seiner Heimatstadt Tiflis, in der das durchschnittliche Monatseinkommen in der Regel ein Viertel bis ein Fünftel dessen ausmacht, was man in Moskau pro Monat verdienen kann, ging es Lascha Subari in Russland finanziell und auch privat mit jedem Jahr immer besser. Bis eines Tages, Anfang Oktober, die Idylle zu Ende war. Lascha wurde von der Moskauer Miliz als Georgier identifiziert, festgenommen und nach einem 1,5-tägigien Aufenthalt in der Untersuchungshaft zurück nach Georgien abgeschoben.
„Zurück“ bedeutet in Laschas Fall einen kompletten Neuanfang. Abgesehen von seiner georgischen Staatsbürgerschaft verbindet den 37-Jährigen mit seiner Heimat nur noch wenig: In Moskau hingegen hat er seine russische Ehefrau Irina und die 5-jährige Tochter zurücklassen müssen. Bis vor kurzem hat sich Lascha um Politik nicht viel gekümmert. Als der Kreml als Reaktion auf die Verhaftung von der Spionage bezichtigten russischen Offiziere in Georgien gegen das kleine Land im Südkaukasus scharfe Sanktionen einführte, bekam Lascha quasi über Nacht den langen Arm der Politik zu spüren. „Es ist doch nicht so wichtig, wer von den beiden Präsidenten letztendlich das Recht hat - ob Saakaschwili oder Putin. Es sind wir, die in Russland lebenden Georgier, die im Moment die Sündenböcke der großen Politik geworden sind“, klagt er.
Was in Russland und insbesondere in Moskau vor sich geht, erinnere am ehesten an ethnische Säuberungsaktionen, wie sie einmal im ehemaligen Jugoslawien erlebt wurden, sagt Tsovinar Nazarova, die Vorsitzende der Nichtregierungsorganisation People's Harmonious Development Society. In den letzten Wochen haben Tsovinar Nazarova und ihre Kollegen alle Hände voll zu tun: Auf dem Tifliser Flughafen empfangen sie die aus Russland ankommenden Abgeschobenen, befragen sie und sorgen sodann für die weitere Unterbringung der Opfer dieses schrecklichen Rachfeldzuges Russlands gegen Georgien.
Von den Zwangsdeportierten sind die unglaublichsten Geschichten zu erfahren: etwa wie sie am hellen Tage direkt auf der Straße oder sogar in den eigenen Wohnungen geschnappt und Hals über Kopf nach Georgien abgeschoben wurden. Dabei gehe es der Miliz in erster Linie nur um eins: die Festgenommenen sollen einen georgischen Namen oder eine georgische Staatsbürgerschaft besitzen. Nicht einmal das Alter spielt eine Rolle. Den 11-jährigen Tengis Schweljan hat die Miliz bis in den Unterricht in einer Moskauer Schule verfolgt. Zum Glück konnte der Junge seine Eltern über Schulfreunde noch informieren, wo er zu finden sei. Nur so hat Tengis’ Mutter ihren Sohn in einer Moskauer Milizabteilung ausfindig machen können. „Sie haben meinen Jungen fast verhungern lassen! Noch einige Tage danach hatte das Kind wahnsinnige Kopfschmerzen – vor Stress und Hunger“, berichtet die 41-jährige Marina Tataschwili.
Für diese antigeorgischen Schnellverfahren der russischen Exekutive spielt es überhaupt keine Rolle, dass die meisten festgenommenen Georgier in Russland bereits über zehn Jahre gelebt und dort sogar ein gewisses Vermögen oder auch Immobilien erworben haben. Nach Auskünften der georgischen Landsmannschaft leben allein in der russischen Hauptstadt 100.000 Georgier. In ganz Russland sind es rund eine Million.
Der Mechanismus der Rache-Maschinerie sei einfach, berichtet der 25-jährige Tigrij Akirtava: Nachdem die Abschiebe-Sammelstellen in der Miliz voll werden, würden die Festgenommenen nach Georgien zurück geschickt. Bezichtigt werden sie in der Regel fehlender Anmelde-Dokumente (auf Russisch: propiska). Aber auch diejenigen, die eine Anmeldung besitzen, kommen kaum davon: Dokumente werden zerrissen und man nötigt sie, eine Erklärung darüber zu unterschreiben, in Russland keine Anmeldung zu besitzen. Es sei denn, man kauft sich von der Miliz frei. Die in diesem Fall verlangte Summe beträgt nicht weniger als 500 US-Dollar, gibt aber keine Garantie dafür, dass die Tortour für einen nicht vom Neuen beginnt.
Mehr als 800 Menschen sind inzwischen nach Georgien ausgeflogen worden. Bald, fürchtet Tsovinar Nazarova, werden die Abschiebe-Maßnahmen noch ungemütlicher aussehen. Denn die russischen Flugzeugtransporte hatten in erster Linie das Ziel, die in Georgien lebenden Russen zurück nach Russland zu befördern. Da es in Georgien nur noch wenige Russen gibt und die Flugzeugverbindung zwischen Russland und Georgien eingestellt wurden, könnten sich die russischen Behörden für zukünftige Zwangsdeportationen etwas anderes einfallen lassen, befürchtet Tsovinar Nazarova. Die Menschenrechtler berichten bereits von einigen Fällen, bei denen die Menschen einfach an die nächste Grenze, zum Beispiel an die ukrainische, gebracht und dort einfach abgesetzt wurden. „Es scheint, dass die russischen Behörden nur die von oben erhaltenen Quoten erfüllen wollen“.
Der georgische Präsident Michail Saakaschwili reagierte auf die Verfolgung von georgischen Bürgern in Russland mit scharfen Tönen: „Natürlich wird Georgien alle seine Bürger empfangen und ihnen dabei helfen, den von schlimmen Stress des Erlebten zu überwinden. Doch geht es um die Zwangsabschiebungen, soll man den Menschen wenigstens menschenwürdige Bedingungen schaffen und sie nicht mit Flugzeugen, mit denen sonst das Vieh transportiert wird, losschicken. Sollen diejenigen, die solche Entscheidungen treffen, selber diese Viehflieger benutzen.“
Tsovinar Nazarova von der Gesellschaft für die harmonische Entwicklung der Menschen teilt die Meinung des georgischen Präsidenten nicht. Georgien habe weder das Geld noch die Kapazitäten, allen aus Russland abgeschobenen Georgiern zu helfen, sagt sie. Was den zwangsumgesiedelten Georgiern jetzt bleibt, ist in erster Linie eine moralische Hilfe. Zu erwarten wäre sie von westlichen Ländern, die das Vorgehen Russlands scharf verurteilen müssten, was bislang nicht geschieht.