Rumänien

Werbewahnsinn in Bukarest

In Bukarest toben sich Werbefirmen mit großflächigen Plakaten an Häusern ausBukarest (n-ost) - Im Wohnblock von Florentina Bantea – neun Etagen, vermutlich 100 Mieter – riecht es nach Weißkohl und Hausmüll. Von außen wirkt der triste Neubaublock im Bukarester Zentrum bunt und kitschig, weil an ihm ein leinwandgroßes Werbeplakat hängt. Florentina Bantea freut sich, auch wenn die Werbeposter vor ihrem Fenster ihr den Ausblick und das Tageslicht nehmen. Bantea verdient an der Werbung 40 Euro monatlich, das ist ein Viertel ihres Lohnes als Ingenieurin. Als Mutter zweier Kinder braucht sie „das Geld und nicht den Ausblick“. Die Hausgemeinschaft ist, seit das Plakat am Wohnblock hängt, zerstritten. „Wir verzichten nicht auf unser Tageslicht“, sagen die einen. Florentina Bantea meint hingegen:„Würden wir zusammenhalten, könnten wir mehr verdienen. Dann hinge Werbung am gesamten Block.“ Jetzt spannt sich die Reklame über fünf Etagen, zu übersehen ist sie dennoch nicht. Für Werbefirmen ist die rumänische Hauptstadt Bukarest ein Paradies, weil sie an den ungewöhnlichsten Orten plakatieren dürfen: Nicht nur an Bushaltestellen, mit Plakataufstellern oder an Supermärkten – wie in so vielen Städten dieser Welt - sondern auch an Investruinen, Häuserblocks aus der Ceausescu-Ära und historischen Gebäuden, die allmählich verfallen. Hunderte Reklameposter, die wiederum hunderte Quadratmeter groß sind, verhängen allein die Bukarester Innenstadt, die saniert, das Paris des Ostens sein könnte – so wie einst die Bukarester ihre Stadt vor hundert Jahren genannt haben. Doch derzeit wirkt das Zentrum wie ein riesiger unaufgeräumter Supermarkt, in dem jeder, wo Platz ist, seine Werbung aufhängen kann. Der Journalist Dragos Bucurenci sagt über die Innenstadt, sie sei der „Inbegriff von wildem Kapitalismus, wo nur das Gesetz des Geldes zählt“. Bucurenci ist einer der wenigen zwei Millionen Bukarester, der sich über die Plakatierung empört, „die anderen denken, zur neuen Freiheit gehört, dass jeder tun kann, was er will.“An Bukarester Fassaden tobt sich der Werbewahnsinn aus. Foto: Annett MüllerDie Bukarester Stadtverwaltung, die jede Reklame genehmigen muss, könnte mit den Werbeeinnahmen bis zu 18 Millionen Euro verdient, und damit ihren Haushalt und schließlich die Innenstadt sanieren. In Wirklichkeit nimmt die Stadt gerade mal eine Million Euro ein, da für viele Reklamen die „offiziellen Verträge“ fehlen, sagt Oberbürgermeister Adriean Videanu. Kritik an der undurchschaubaren Vertragsgabe gibt es nur selten, es verdienen zu viele daran: zum Beispiel die Werbefirmen, die die Aufträge vergeben, die Stadtsektoren, die die Reklamen gegen ein privates Entgelt abnicken, oder die Hausverwaltungen. Häuserblocks sind bei den Werbefirmen besonders beliebt, weil sie bieten, was Werbestrategen suchen: sie sind groß, auffällig, belebt.Ein Plakat vor dem eigenen Fenster wäre für Florin Tuca unvorstellbar. Tuca ist der Geschäftsführer der Werbefirma Euromedia, dem Branchenführer auf dem rumänischen Werbemarkt, der auch mehrgeschossige Häuserblocks vermietet: „Wir werden unsere Kunden mit Sicherheit nicht zur Konkurrenz schicken, nur weil wir wissen, dass sich eine Reklame vor einem Wohnzimmer eigentlich nicht gehört.“ Frustrierte Mieter, die sich gegen die Reklame vor ihren Fenstern wehrten, seien eher selten, sagt Tuca. Die meisten macht ein Geldbetrag gefügig – in der Armut zählt jede Einnahme. Dennoch: Die Firmen bekommen nicht immer, was sie sich wünschen. So hatte Euromedia beim höchsten Hotel im Zentrum nachgefragt, das von weither zu sehen ist. Eine Werbung könnte nicht auffälliger platziert sein. Die Gäste wünschten ein helles Zimmer mit Ausblick, selbst wenn sie nur für einen Tag blieben, lehnte die Hotelleitung das Angebot von Euromedia ab.Die Bukarester Innenstadt wirkt wie eine Zeitreise, wo neobarocke Bauten neben kommunistischen stehen, zwischen den Häuserzeilen versteckt, sind orthodoxe Kirchen zu finden. Der Bukarester Oberbürgermeister Adriean Videanu weiß, welch „touristische Perle“ seine Stadt wäre, würde sie nicht seit Jahrzehnten verfallen. Derzeit versteckt die Werbung das graue Anlitz. Dass das nicht die Lösung sein kann, weiß auch Videanu, der sich von seinen Bürgermeister-Kollegen aus Paris und Berlin beraten lässt, wie man einen historischen Stadtkern renoviert, „ohne kitschig zu wirken“. Seinen russischen Kollegen hat er nicht kontaktiert, weil sich beide Städte so ähnlich seien: „Bei uns fehlt, wie in Moskau, das Machtwort der lokalen Autoritäten“, sagt Videanu. Mehr Aufmerksamkeit mit ihrer Werbekritik erreicht eine Gruppe Jugendlicher, die sich beepfashion nennt, zu ihr gehört der 24-jährige Dragos Bucurenci. Per Aufruf im Internet und im Radio klären sie die Bukarester auf, dass sie das Werbechaos ihrer Stadt nicht hinnehmen müssen, und schon gar nicht am geschichtsträchtigen Platz der Revolution. An einem Ort, wo hunderte Menschen beim Sturz des Ceausescu-Regimes starben, würden Kerzen und Mahnmale besser passen als der Werbespot eines Supermarktes, heißt es im Aufruf. Das hat die Bukarester wachgerüttelt. 30.000 riefen die Petition im Internet auf, 2.500 haben sie unterschrieben. Dragos Bucurenci nennt das bereits Erfolg, „weil die Leute lernen, dass sie in ihrer Stadt mitbestimmen können, und demnächst wissen ein paar mehr, dass man Aufrufe vor allem unterstützt, indem man unterschreibt.“„Eine außergewöhnliche Idee“, nennt Oberbürgermeister Adriean Videanu die Petition der jungen Leute. Unterschrieben hat er den Aufruf dennoch nicht. Das Werbechaos steht zwar auf seiner Agenda, doch gibt es dringendere Dinge. So muss das gesamte Kanalisations-, Gas- und Wasserleitungsnetz der Hauptstadt erneuert, ihr Verkehrs- und Parkchaos gelöst, und vielerorts Fassaden restauriert werden. „Bukarest wird in den nächsten Jahren eine riesige Baustelle sein“, prognostiziert der Oberbürgermeister, dem Milliarden Euro zur Stadtsanierung fehlen. Warum sollte er in dieser finanziellen Lage auf die Einnahmen der Werbefirmen verzichten?Die Gruppe beepfashion lässt dennoch nicht locker. Sie fordert Einsicht in die Reklame-Verträge, damit öffentlich wird, „wer in der Stadtverwaltung das Reklame-Chaos zu verantworten hat“, sagt Dragos Bucurenci. Er weiß, es wird nicht einfach sein, das Knäuel von Seilschaften aufzurollen: „Wir haben rechtlich einwandfreie Gesetze und wir haben ebenso viele Regelungen, die Gesetze zu umgehen.“ Der junge Mann weiß, die Verträge zwischen Stadt und Werbefirmen werden mit Sicherheit schwer anzufechten sein. „Vielleicht muss die Bukarester noch einmal auf andere Weise wachrütteln“, überlegt Bucurenci. „Wir sollten Gleichheit für alle fordern und Werbeposter an unseren orthodoxen Kirchen aufhängen.“ Mit dieser Idee ließe sich ein öffentlicher Aufschrei provozieren und zwar in ganz Rumänien.-Ende-------------------------------------------
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