Ostsee-Zwischenfall kein Grund zur Panik
Nach Schüsse polnischer Grenzbeamter auf deutsches Fährschiff bemühen sich beide Länder um DeeskalationStettin/Warschau (n-ost) - Es ist wieder mal so ein Fall aus der unendlichen Geschichte deutsch-polnischer Missverständnisse: Von „Schüssen auf ein deutsches Ausflugsschiff“ in einem polnischen Hafen war in deutschen Medien gestern die Rede: Und tatsächlich hat die polnische Grenzwacht wohl lediglich zwei harmlose Leuchtspurpatronen in den polnischen Himmel geschossen. Und in Polen schrieben die Zeitungen über eine „Entführung dreier polnischer Zollbeamte“ nach Deutschland, die wohl tatsächlich – ohne ihre Zustimmung – auf dem Schiff einen Kilometer weiter westlich der Grenze mit sämtlichen Passagieren an Land gehen konnten. Passiert ist also niemandem etwas und zu keiner Zeit war irgendjemand an Leib und Leben bedroht.Aber zu einem Zeitpunkt, zu dem das politische Verhältnis beider Staaten zueinander ohnehin zum Zerreißen gespannt ist und einzelne kleine Provokationen gleich eine Protestwelle auslösen, kommt es schnell zu Irritationen. Erst im Laufe des Tages klärte sich der Sachverhalt nach und nach auf, so dass ein tatsächlicher diplomatischer Schaden wohl abgewendet werden konnte. Hafeneinfahrt nach Swinemünde mit dem Wahrzeichen der Stadt: der weißen Windmühle auf der Hafenmole. Foto: Andreas MetzAber was war geschehen? Seit dem polnischen EU-Beitritt vor zweieinhalb Jahren gibt es auf der Ostsee zwischen Deutschland und Polen keine so genannten Butterfahrten mehr, denn der zollfreie Einkauf ist hier nun verboten. Aber immer noch verkehren dieselben deutschen Ausflugsschiffe zwischen den deutschen Kaiserbädern Bansin, Heringsdorf und Ahlbeck auf Usedom und den polnischen Häfen Swinemünde und Misdroy als maritimer kleiner Grenzverkehr für Touristen. Eines dieser Schiffe ist die „Adler Dania“, der gleichnamigen deutschen Adler-Reederei mit Sitz in Sylt. Die meisten Crew-Mitglieder auf dem beliebten Ausflugsschiff sind Polen, schon wegen der niedrigeren Löhne. Das Schiff hat auch einen eigenen kleinen Supermarkt an Bord, der erst öffnet, wenn das Schiff polnische Gewässer erreicht. In dem Laden werden Parfüm, Schokolade, sowie Alkoholika und Zigaretten verkauft. In Polen kostet eine Stange Markenzigaretten etwa 12-15 Euro, also ein Drittel des deutschen Preises, und jeder Passagier darf eine Stange zollfrei mit in Deutschland einführen.Auf dem Schiff selbst werden die polnischen Zigaretten mit einem kleinen Zuschlag verkauft, den der deutsche Reeder angeblich in Polen nicht versteuert. Ähnliches wird auch auf dem Polenmarkt unweit des Fußgängergrenzübergangs praktiziert. Schon in der Vergangenheit haben polnische Zollbeamte der Finanzbehörde im nahen Stettin regelmäßig das Schiff kontrolliert. Mehrfach ist es dabei zur Beschlagnahmung großer Mengen Zigaretten gekommen. Zu Unrecht, wie der deutsche Kapitän erklärte. Am Dienstagnachmittag gaben sich drei Personen an Bord des Schiffes kurz nach Abfahrt in Swinemünde als Zöllner zu erkennen. Sie monierten, dass Alkoholika und Zigaretten ohne die vorgeschriebene Steuermarke erhältlich seien und verlangten die Rückkehr des Schiffes in den Hafen. Nach Darstellung der polnischen Seite sei der Kapitän zunächst der Aufforderung nachgekommen, habe dann aber kurz vor dem Ufer plötzlich kehrt gemacht und sei in Richtung der rund zwei Kilometer entfernten deutschen Grenze „durchgebrochen“. „Seit Jahren arbeite ich hier schon beim Zoll, aber so etwas habe ich noch nie erlebt“, wird einer der drei Zöllner ohne Nennung seines Namens in der Lokalzeitung „Glos Szczecinski“ (Stettiner Stimme) zitiert, die in Swinemünde eine Lokalredaktion unterhält. Die Zeitung spricht von Flucht, und auch die für den Grenzverkehr zuständige polnischen Grenzwacht interpretiert das so, weil der Kapitän der „Adler Dania“ nicht auf die Versuche eines rasch ausgelaufenen Schnellbootes reagiert habe, das Schiff zum Umkehren zu bewegen. Die polnischen Zöllner hatten über Funk Grenzalarm ausgelöst. „Es ist aber nicht wahr, dass wir auf das deutsche Schiff geschossen haben. Wir haben nur zwei Signalpatronen abgefeuert“, wehrte sich Mariusz Gruchalla, Sprecher der polnischen Grenzwacht in Pommern, im Gespräch mit dieser Zeitung. Und vor diesen Signalschüssen habe man Funkkontakt mit dem Kapitän des deutschen Schiffes gehabt und ihm zum Umdrehen aufgefordert. Die zwei Signalpatronen seien von dem Schnellboot der Grenzwacht mit der Signatur SG-145 abgefeuert worden. „Unsere Grenzschützer wussten auch gar nicht, dass sich in diesem Augenblick polnische Zöllner auf dem Schiff befanden“. Im Übrigen verwies er darauf, dass die Zöllner selbst keine Waffen tragen würden.
Der von der Reederei erhobenen Vorwurf, es seien Schüsse aus einer Handfeuerwaffen abgegeben worden, sei unbegründet. Zumindest von politischer Seite bemühte man sich nach der Aufregung um Schadensbegrenzung. So sagte Ruprecht Polenz (CDU), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages, gestern anlässlich eines zeitgleichen Besuches seines polnischen Amtskollegen Pawel Zalewski von der Regierungspartei: „Wir waren uns beide einig, dass das eine polizeiliche Angelegenheit ist, keine politische und wir sollten es nicht zu einem politischen Thema machen“. Die beiden Politiker bereiten gerade den Staatsbesuch des polnischen Premierministers Jaroslaw Kaczynski (PiS) vor, der in seinem Umfeld schon von einer Deeskalation der Spannungen zwischen Deutschland und Polen geredet haben soll.Die Adler Dania aber wird wohl einige Zeit nicht mehr in Richtung polnischer Gewässer auslaufen. Sie ist zum unerwünschten Schiff erklärt worden, ein Verfahren gegen den deutschen Kapitän wurde eingeleitet. Noch unklar ist, welche Seite davon den größeren Schaden hat. Das Schiff brachte täglich hunderte deutscher Touristen auf die polnische Seite, die in den Grenzorten günstig einkauften und dort polnische Arbeitsplätze sicherten. Die Steuerausfälle könnten dadurch am Ende höher sein, als durch die falsch versteuerten Zigaretten.Ende-----------------------------------------------------------------
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